Christian Lindner hat am Freitag in Berlin seine Liberalen auf den Bundestagswahlkampf eingestimmt. Nach acht Jahren will die FDP erneut Regierungsverantwortung im Bund übernehmen. Wüsste man nicht, dass dies hier ein Parteitag ist – mit Antragskommission, Aussprache und Abstimmungen –, man wähnte sich in einer Fernseh-Spielshow, deren Quizmaster Christian Lindner heißt. Während seiner knapp siebzigminütigen Rede spaziert der Partei- und Fraktionsvorsitzende auf der Bühne in Berlin hin und her und spricht frei in die Kameras. Hinter ihm sitzen im Halbschatten die Präsidiumsmitglieder an futuristischen Pulten. Und im Hintergrund prangt – Alarmgelb auf Discopink – der Slogan für die Bundestagswahl: „Nie gab es mehr zu tun.“
Tatsächlich ist die FDP im Sommer 2021 in der komfortablen Lage, wohl eine wichtige Rolle zu spielen, wenn es nach dem Wahltag am 26. September um die Bildung einer Regierungskoalition geht. Nach dem Desaster von 2017, als die Partei die Verhandlungen mit Union und Grünen platzen lassen hatte – „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ –, soll es diesmal tatsächlich etwas werden. Daran lässt Lindner keinen Zweifel. Er sei seit siebeneinhalb Jahren Vorsitzender dieser Partei – "jetzt kommt eine andere, neue Phase", sagt er. "Ich war niemals motivierter als jetzt, die FDP zurückzuführen in die Gestaltungsverantwortung für unser Land." Die Partei solle bei der Wahl so stark werden, dass sowohl schwarz-grüne als auch grün-rot-rote Mehrheiten ausgeschlossen seien. Aktuell liegen die Liberalen stabil im niedrigen zweistelligen Bereich.
Lindner macht in seiner Rede deutlich, dass seine Partei sich in einer Koalition mit Grünen und Union deutlich wohler fühlen würde als mit Grünen und SPD. Während er den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz als ferngesteuerten Handlanger seines linken Parteiflügels attackiert, geht die Sache für Armin Laschet und Annalena Baerbock deutlich glimpflicher ab. Den Unions-Kandidaten rühmt Lindner als "großen Integrator" – immerhin regiert die FDP mit ihm in Nordrhein-Westfalen. Die Grünen-Kandidatin verteidigt er gegen persönliche, auch gegen sie als Frau gerichtete Angriffe. Gleichwohl müsse sie die Frage beantworten, ob Annalena Baerbock sich im Fall der Möglichkeit von Grün-Rot-Rot von der Linken ins Kanzleramt wählen lassen würde.
Ausführlich arbeitet Lindner die Unterschiede zu den politischen Mitbewerbern heraus. In der Pandemie hätte die FDP sich nie bei Corona verleugnenden Bewegungen anheischig gemacht, sondern stets die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen im Blick behalten. Die Bürgerrechte seien jedoch während der zurückliegenden fünfzehn Monate "in die Defensive geraten", die Sensibilität für die Freiheit sei zusehends "verkümmert", sagt Lindner. Dem stelle sich die FDP entgegen. Zugleich hätten Partei und Fraktion stets nach „milderen Alternativen zu pauschalen Lockdowns“ gesucht, um die Wirtschaft zu schonen. Die FDP fühle mit denen, die um ihr Lebenswerk und ihre Existenz bangen müssten.
Für eine mögliche Regierungsbeteiligung verspricht Lindner in seiner Rede, dass es mit der FDP keine Steuererhöhungen geben werde. Er sei sich der Tragweite dieser Aussage bewusst, betont er. Statt höherer Belastungen biete die Partei einen „Entfesselungspakt“ an, mit dem auch die Mittelschicht entlastet werden solle. Nach der Krise müsse die Wirtschaft wieder so angekurbelt werden, dass Menschen sich durch ihre Arbeit eine eigene Wohnung, ein eigenes Haus leisten könnten. Größte Herausforderung sei es nach wie vor, dass in Deutschland immer noch Herkunft und Bildung entscheidend für beruflichen Erfolg seien. "Denjenigen, die überhaupt noch etwas erreichen wollen, denen müssen wir die Hürden reduzieren." Im Grunde stünden bei der Bundestagswahl im September "zwei politische Konzepte" zur Auswahl. Zum einen „mehr Staat, mehr Umverteilung und mehr Bürokratismus“. Die FDP hingegen setze auf "Vertrauen in die Menschen". Und ganz offensichtlich auf Christian Lindner.