Der Mordprozess gegen den Lebensgefährten der seit 1993 spurlos verschwundenen Jutta Fuchs endete im November 2018 vor dem Landgericht Bremen mit einem Freispruch für den damals 58-jährigen Angeklagten. Damit kann er nie wieder für das vermutete Verbrechen an Jutta Fuchs belangt werden. Auch nicht, wenn morgen die Leiche der Frau entdeckt würde und diese Spuren aufwiese, die eindeutig belegten, dass er doch der Täter war. In Deutschland darf niemand für dieselbe Tat zweimal vor Gericht gestellt werden. Selbst dann nicht, wenn es um Mord geht. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD hält dies für einen „unerträglichen Gerechtigkeitsverstoß“, den sie mit einem neuen Gesetz ändern aus der Welt schaffen will. Doch dagegen gibt es verfassungsrechtliche Bedenken.
„Niemand darf wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden“, heißt es in Artikel 103 des Grundgesetzes. „Ne bis in idem“ heißt dieser Jahrtausende alte Grundsatz, der auf das römische Recht zurückgeht, auf Lateinisch: „Nicht zweimal gegen das Gleiche.“ Er unterstreicht den hohen Stellenwert der Rechtskraft eines Urteils, steht gleichsam für Rechtssicherheit.
Dass dieser Grundsatz 1949 Einkehr in die Verfassung fand, kommt nicht von ungefähr: Zuvor, in der Nazizeit, galt er nicht. Missliebige Urteile konnten nach Belieben aufgehoben, Verfahren jederzeit wieder aufgenommen werden, „wenn die neue Verfolgung zum Schutze des Volkes notwendig“ war.
Laut § 362 Strafprozessordnung kann es jedoch auch nach heutigem Recht zulässig sein, ein durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren zuungunsten des Angeklagten wieder aufzunehmen. Aber nur aus vier Gründen: wenn im Prozess Urkunden gefälscht, Meineide abgelegt, Richter bestochen wurden oder wenn der Freigesprochene nachträglich doch noch ein glaubwürdiges Geständnis ablegt.
DNA-Analysen kein Grund für Wiederaufnahme von Verfahren
Neue kriminalistische Techniken wie etwa eine verbesserte DNA-Analyse sind demnach kein Grund für eine Wiederaufnahme. Genau hier setzt jetzt die Große Koalition in Berlin an. Sie hat im Juni das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ verabschiedet. Demnach soll ein Prozess zuungunsten des Verurteilten künftig auch dann möglich sein, wenn „neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte verurteilt wird“. Gelten soll das neue Gesetz nur für die schwersten Straftaten, für die es keine Verjährung gibt: Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen.
Kritiker halten dies für verfassungswidrig. So würde das Doppelbestrafungsverbot ausgehebelt. Einen Freispruch unter Vorbehalt dürfe es nicht geben. Zumal davon auch Unschuldige betroffen wären, die zu Recht freigesprochen wurden. Sie müssten mit der ständigen Angst leben, für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hätten, wieder vor Gericht zu landen.
Bedenken, die offenbar auch im Bundesjustizministerium geteilt werden. Das hat sich gegen die Gesetzesänderung ausgesprochen. Das letzte Wort dürfte, sofern nicht vorher schon Bundespräsident Walter Steinmeier der Gesetzesänderung seine Zustimmung verwehrt, das Bundesverfassungsgericht haben.