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Olaf Lies über die Hamburger Schlickpläne "So was macht man nicht unter Nachbarn"

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) hat das Festhalten Hamburgs an der Verklappung seines Hafenschlicks vor Scharhörn kritisiert. Einen Hamburger Alleingang halte er für absolut kontraproduktiv.
17.02.2022, 20:55 Uhr
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Von Peter Mlodoch

Herr Lies, für Niedersachsen Küste kommt es gerade dicke. Erst läuft vor Wangerooge ein Container-Riese auf Grund. Und jetzt will Hamburg auch noch seinen Hafenschlick vor Scharhörn verklappen. Müssen wir uns um das Wattenmeer Sorgen machen?

Olaf Lies: Ich schaue da schon mit Sorgen drauf. Wir fahren hier in Deutschland seit Jahren eine „Noch-einmal-Glück-gehabt-Politik“. Die hat jetzt auch nochmal funktioniert. Aber stellen wir uns vor, es hätte schlechtes Wetter geherrscht oder wir hätten ein zweites Schiff in einer solchen Lage gehabt. Dann wären wir schon an die Grenzen gekommen. Wir dürfen uns also nicht immer darauf verlassen, dass es schon klappen wird. Wir brauchen eine „N+1“-Strategie, um ganz sicher zu gehen. Es muss immer ein Schlepper mehr bereitstehen, als man braucht.

Für die Bergung der „Mumbai Maersk“ mussten zwei Schlepper aus den Niederlanden hereilen. Ist das nicht ein Armutszeugnis für Deutschland?

Dahinter steckt genau diese Haltung, dass es bisher immer gut gegangen ist. Das dürfen wir uns nicht länger erlauben. Dafür sind das Weltnaturerbe Wattenmeer, aber auch der touristische Raum viel zu wertvoll, dass wir hier ein Risiko eingehen können. Der Bund muss nicht gleich einen weiteren Schlepper kaufen. Aber er muss einen weiteren chartern, mit dem er in der Lage ist, jederzeit und gerade bei schlechtem Wetter vor Ort einsatzfähig zu sein. Ja, das kostet Geld. Aber ich möchte nicht überlegen müssen, was es kostet, wenn es zu einer echten Havarie mit Folgeschäden kommt. Beim ehemaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sind wir auf taube Ohren gestoßen, aber wir bleiben da hartnäckig.

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Können solche Havarien von vorn herein verhindert werden?

Die „Mumbai Maersk“ hat zwar die küstenferne Route genommen, und das bei gutem Wetter. Das ist aber nicht die Regel. Meine Forderung lautet, dass gerade die großen Container-Schiffe immer die küstenferne Route nehmen müssen. Heute nutzen die Schiffe selbst bei schlechtem Wetter nicht diese Route. Da ist das Risiko viel zu groß, dass das Schiff durch die Nähe zur Küste zur Gefahr für die Küste wird. Da muss der Bund endlich konsequent handeln.

Hat aber nicht gerade Deutschland ein von den Niederländern vorgeschlagenes küstennahes Fahrverbot für die Nordsee verhindert?

Die Niederländer haben das Problem verstanden. Als Hafennation wissen sie, dass Hafenwirtschaft wichtig ist. Aber sie wissen auch, wie wichtig Sicherheit ist. Ich bin total erschrocken vom alten Bundesverkehrsminister Scheuer, dass er sich nicht im Stande sah, diese zwei Themen zusammen zu denken. Die küstenferne Route heißt ja nicht, dass unsere Häfen nicht mehr angelaufen werden können. Das alles ist doch gut planbar. Ich hoffe, dass es uns gelingt, den neuen Bundesverkehrsminister Volker Wissing für eine sichere Lösung zu sensibilisieren.

Sind die Container-Schiffe nicht längst zu groß für die deutschen Küstengewässer?

Ich habe nichts grundsätzlich gegen größere Schiffe. Aber die Regeln haben sich nicht mit dem Wachstum der Schiffe gleichermaßen weiter entwickelt. Wir müssen die Ladungssicherung viel strenger betrachten und durchsetzen. Bei der Havarie der „MSC Zoe“ vor drei Jahren sind mehr als 300 Container über Bord gegangen. Außerdem ärgert mich, dass man gerade die Gefahrgut-Container nicht orten kann. Neben dem Verlust können sie für Umwelt und Natur, aber auch beim Anlanden an den Stränden auch für Menschen eine große Gefahr darstellen. Dabei wären sie mit einen geringen technischen Aufwand gut nachzuverfolgen. Das kostet Geld, aber in Bezug auf die heutigen Frachtraten und die häufige Nutzung von Containern geht das im Rauschen unter. Das tut der Container leider auch, nur finden wir ihn ohne solche Technik nicht wieder.

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Mit den Schlickplänen hat das SPD-geführte Hamburg seinen SPD-geführten Nachbarn Niedersachsen brüskiert. Können Sie das Verklappen direkt neben der Schutzzone Wattenmeer noch verhindern?

Ich hoffe doch sehr. Das Problem ist eine Folge der ständigen Elb-Vertiefung. Die führt dazu, dass man immer wieder ganz andere Sedimente aus der Fahrrinne und aus dem Hafen entnehmen muss. Diese Sedimente sind größtenteils belastet. Gemeinsam mit den Hamburgern suchen wir nach einer ökologischen Strategie der Trennung. Also mit der Entnahme des belasteten Materials und dessen Verbringung in die Außenwirtschaftszone sowie einer sinnvollen Nutzung des Feinsediments etwa zur Sicherung des Deichvorlands. Das geht aber nicht von heute auf morgen.

Und bis dahin?

Die Alternative wäre eine Verklappung in der Außenwirtschaftszone, also weiter draußen auf See. Doch jetzt plötzlich präsentieren die Hamburger eine Lösung, die gar keine ist: Sie wollen den belasteten Schlick den Niedersachsen vor die Küste kippen, direkt neben den Nationalpark Wattenmeer, nach dem Motto „wird schon gut gehen“. Doch das machen wir nicht mit.

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Das heißt?

Wir prüfen natürlich, welche rechtlichen Möglichkeiten wir gegen die Verklappung vor Scharhörn haben. Wir in Niedersachsen sind doch nachhaltig irritiert, dass Hamburg hier jetzt Fakten schaffen will. Normal wäre es, uns an dem Verfahren zu beteiligen und ohne unser Einverständnis dann auch davon Abstand zu nehmen. Schleswig-Holstein sieht das genauso. Auf der anderen Seite wollen wir lösungsorientiert agieren. Also gemeinsam mit Hamburg dafür sorgen, dass sie die Sedimente, die sie schnell loswerden müssen, in die Außenwirtschaftszone verbringen können. Aber sie müssen das Material dort verklappen, wo es ökologisch kein Problem ist.

Genau das aber behauptet Hamburg. Am Donnerstag hat Wirtschaftsstaatsrat Andreas Rieckhof unmissverständlich erklärt, an den Plänen festhalten zu wollen. 

Die Hamburger sagen, die Verklappungsstelle bei Scharhörn sei Hamburger Gebiet. Aber ich darf ja auch nicht eine stinkende Anlage am Grenzzaun zu meinem Nachbarn errichten. So kann es nicht funktionieren. Ich setze auf ein Miteinander. Denn auch auf Hamburger Seite gibt es eine politische Verantwortung für einen nachhaltigen Umgang mit dem Schlick. Eine simple Verklappung bei Scharhörn wird dem nicht gerecht. Einen Hamburger Alleingang halte ich für absolut kontraproduktiv. Das macht man nicht unter Nachbarn.

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Ihr grüner Amtsvorgänger, der Bundestagsabgeordnete Stefan Wenzel aus dem Wahlkreis Cuxhaven, stellt den Status von Neuwerk und Scharhörn als Hamburger Hoheitsgebiet rechtlich infrage. Was halten Sie davon?

Das ist zwar ein netter Gedanke. Mir hat sich aber noch nicht erschlossen, was gewonnen wäre, wenn uns nach ewig langem Verfahren Neuwerk wieder gehörte. Das ist ja nicht wirklich realistisch. Wir wollen nicht Landgewinnung bei den Hamburgern betreiben, sondern wir wollen unsere Küste beschützen.

Die niedersächsische Küste soll als „Tor zur Energie“ eine große Rolle beim Klimaschutz spielen. Jetzt hakt in Cuxhaven der Ausbau drei neuer Liegeplätze zur Versorgung der Offshore-Windenergie. Wird sich das Land finanziell stärker engagieren?

Als wir 2013 in die Regierung gekommen sind, habe ich als Wirtschaftsminister ein ähnliches Problem übernommen. Damals war es der Liegeplatz 4 in Cuxhaven, der nicht finanzierbar schien. Das ist dann doch gelungen. Das muss noch in dieser Regierungszeit auch passieren, weil die drei Liegeplätze eine sichere Investition in die Zukunft sind. Einen Teil der Kosten kann man wieder einfahren über Nutzungsgebühren. Einen Teil werden wir als Land selbst investieren müssen. Wenn wir Klimaschutz und die Energiewende wollen, müssen wir unsere Hafengesellschaft N-Ports entsprechend ausstatten.

Ist auch eine Zusammenarbeit mit Bremen denkbar? Die Pläne für ein eigenes Offshore-Terminal in Bremerhaven hat das Oberverwaltungsgericht der Hansestadt gestoppt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich unsere Nachbarn aus Bremen nach dem Scheitern des OTB jetzt an einem Projekt in Niedersachsen beteiligen wollen, schätze ich erst mal nicht besonders hoch ein. Natürlich reden wir als Land über erhebliche Investitionen, die getätigt werden müssen. Aber das sind dauerhafte Investitionen, die in Landeseigentum bleiben. Wir dürfen unsere Zukunftsinvestitionen nicht einem Sparzwang opfern. Wir dürfen doch nicht sagen, dass wir uns keinen Hafen leisten können und den Umschlag lieber über die Dänen oder Niederländer laufen lassen. Wir setzen sonst Hafenentwicklung, Arbeitsplätze und Wirtschaftsaufschwung aufs Spiel. Daher brauchen wir einen Investitions- und Innovationsfonds.

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Den Ihr Koalitionspartner CDU bisher ablehnt. Schweben Ihnen weitere Klimaschutz-Projekte an der Küste vor?

Ja, definitiv. In Stade ist abzuwarten, wie es mit der Investition für ein Gas-Terminal weitergeht. Ob man darüber LNG, also Flüssiggas, oder erneuerbares Gas importiert, ist eine Marktfrage, keine technische Frage. Der große Fokus liegt gleichzeitig auf Wilhelmshaven. Wilhelmshaven hat die Voraussetzungen, die Energie-Drehscheibe und zum Tor für saubere Energie für ganz Deutschland zu werden. Da geht es sowohl um den Umschlag von grünen Strom aus den Offshore-Windparks als auch über den Import von grünem Wasserstoff über die Hafeninfrastruktur. Übergangsweise wird es auch LNG sein, also fossiles Flüssiggas, in Zukunft wird es dann erneuerbares Gas werden. Wir reden von mehreren Projekten in Milliardenhöhe. Wir werden auf Importe angewiesen bleiben und da müssen uns hinsichtlich der Beschaffungsquellen diversifizieren und Importinfrastruktur schaffen. Die Lieferung über den Seeweg ist da ein entscheidender Faktor.

Ruft das nicht die Kritiker von fossilen Energieträgern auf den Plan? Lohnt es sich überhaupt noch, auf LNG zu setzen?

Gas spielt bei der Energiewende und beim Klimaschutz eine entscheidende Rolle. Strom und Gas müssen wir gemeinsam denken. Natürlich ist es unser Ziel, dass wir unsere Energieversorgung nicht nur mit grünem Strom, sondern auch mit grünem Gas sicherstellen. Aber bis es das grüne Gas gibt, müssen wir auch bereit sein, fossiles Gas zu importieren. Das tun wir im Moment über Norwegen, die Niederlande und auch Russland. Nicht zuletzt die gestiegenen Gaspreise haben doch gezeigt, dass man Abhängigkeiten minimieren muss. Neben der Pipeline-Versorgung – 50 Prozent unseres Gases kommen aus Russland – brauchen wir alternative Quellen, um Energie zu importieren – zunächst fossile, später erneuerbare. Was uns nicht wieder passieren darf ist, dass wir mit halbvollen Gasspeichern in den Winter starten.

Das Land wartet gespannt auf Ihr neues ­Klimagesetz. Wann kommt dieses?

Der erste Entwurf befindet sich in der Ressortabstimmung und wird in den Koalitionsfraktionen diskutiert. Ich hoffe, dass wir uns auf die ambitionierten Ziele und Maßnahmen schnell verständigen können. Dann könnte sich das Kabinett im März damit befassen. Und im Juli könnte der Landtag das neue Gesetz verabschieden.

Ziehen Sie darin die Klimaziele vor?

Die Ziele, die wir im Jahr 2030 erreichen wollen, sind deutlich ambitionierter als die des Bundes. Wir wollen die Treibhausemissionen bis dahin auf 65 Prozent reduzieren. Das will der Bund zwar auch, aber der kann dabei auf den seit 1990 eingesparten Ausstoß im Osten mit einrechnen. Wir können nur das berücksichtigen, was wir selber tatsächlich reduzieren. Das ist eine ziemliche Herausforderung, die wir nur mit einem noch schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien meistern können. Wir müssen noch früher unsere Kohlekraftwerke abschalten, wir müssen noch schneller unsere landeseigenen Gebäude energetisch sanieren. Wir müssen die Fotovoltaik massiv ausbauen. Neben der verstärkten Belegung von Dächern wollen wir dafür auch 0,5 Prozent des Landesgebiets für Freiflächen-Fotovoltaik bereithalten.

Werden Sie das alles auch bei Ihrem Koalitionspartner CDU durchbekommen?

Die Koalition ist sich grundsätzlich bei den Klimazielen einig. Wie groß der Handlungsdruck ist, weiß auch die Union. Wir müssen aber auch alle bereit dazu sein, die notwendigen Schritte dafür zu gehen. Das heißt zum Beispiel, dass wir bei der Ausstattung mit Fotovoltaik ohne eine Pflicht für alle Neubauten nicht auskommen werden, dass wir bei der Sanierung der eigenen Gebäude eine Vorreiterrolle einnehmen und dafür die notwendigen Investitionen vornehmen müssen. Es würde viel mehr Geld kosten, wenn wir das erst in 20 oder 30 Jahren machen würden.

Das Gespräch führte Peter Mlodoch.

Zur Person

Olaf Lies (54)

ist seit November 2017 Umwelt- und Energieminister in Niedersachsen. Davor war der Diplomingenieur für Elektrotechnik aus dem Landkreis Friesland vier Jahre Wirtschaftsminister. Der gebürtige Wilhelmshavener gehört seit 2008 der SPD-Landtagsfraktion an. Lies ist verheiratet und hat zwei Kinder. 

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