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Mehr Anträge Kommt das Wohngeld pünktlich?

Ab Januar haben dreieinhalb mal mehr Menschen als bislang Anspruch auf Wohngeld. Die Vereinbarungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind komplex. Viele Ämter schlagen Alarm und warnen vor Chaos.
16.11.2022, 05:00 Uhr
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Kommt das Wohngeld pünktlich?
Von Hannah Krug

Bislang erhielten rund 600.000 Menschen Wohngeld. Ab 1. Januar 2023 sind mindestens zwei Millionen anspruchsberechtigt. Denn nach intensiver Vorbereitung hat der Bundestag in der vergangenen Woche das "Wohngeld plus" beschlossen. Das Wörtchen "plus" steht für den Anspruch, die Folgen der Energiekrise für Menschen mit kleinem Einkommen abzufedern: mithilfe eines Heizkostenzuschlags und eines pauschalen Klimazuschlags. Der monatliche Betrag wird durchschnittlich mehr als verdoppelt: von 180 Euro auf 370 Euro.

Im Rekordtempo hat die Bundesregierung die Reform auf den Weg gebracht. Von "der größten Wohngeldreform der Geschichte" spricht die SPD. Es geht auch tatsächlich um 5,1 Milliarden Euro pro Jahr. Aber: Damit das Geld möglichst gerecht auf Menschen verteilt wird, braucht es Regeln, Tabellen und Fristen. Das Wohngeld-plus-Gesetz wurde im Bundestag ersonnen, umsetzen müssen diesen Bürokratie-Koloss aber die Wohngeldämter. Bereits jetzt ist er der Albtraum vieler Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen.

Bremen mauert

Beim Bremer Bauressort möchte man noch gar nicht über die bevorstehenden Veränderungen sprechen – man habe genug damit zu tun, sich mit ihrer Umsetzung zu beschäftigen. "Hier gehen die Leute vor, die Wohngeld bekommen sollen", sagt Sprecher Jens Tittmann.

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In einem offenen Brief an das Bundesbauministerium machte Bremens Bausenatorin Maike Schäfer bereits im August auf die komplexeren Bearbeitungsabläufe aufmerksam, die zulasten der Mitarbeiter gingen: "Das Verhältnis von Aufwand und Wirkung stimmt nicht mehr." Vor Überlastung gewarnt hat auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund – und zwar bei der Expertenanhörung im zuständigen Bauausschuss im Bundestag: "Im Ergebnis droht ein Kollaps des Wohngeldsystems bis weit in das kommende Jahr hinein."

Bund, Land und Kommune müssen ran

Aber die Gemeinden müssen das neue Gesetz zum Laufen bringen. Und dafür brauchen sie mehr Computer-Software, mehr Räumlichkeiten und mehr Personal. Und das ist nicht eingeplant. Die 5,1 Milliarden Euro decken alleine die Unterstützung. Bund und Länder zahlen je die Hälfte, die Länder hatten sich vergeblich gegen ihre Beteiligung gewehrt. Im Kern ging es in den Berliner Debatten um drei Aspekte: Gerechtigkeit, Zeit und Vereinfachung.

Zur Gerechtigkeit soll ein Klimazuschlag beitragen. Er sollte eigentlich Mieterhöhungen durch Gebäudesanierungen zum Zweck des Klimaschutzes dämpfen. Weil der Bauzustand von Wohnungen aber nicht vergleichbar ist, sei "keine Gerechtigkeit möglich", warnt in der Expertenanhörung der Geschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Christian Lieberknecht. Auch die Energieausweise zur Bewertung der Energieeffizienz böten derzeit keine rechtssichere Grundlage. Damit die Sachbearbeiter nicht schon da in Zeitnot geraten, bekommen nun alle Wohngeldempfänger pauschal 40 Cent pro Quadratmeter Wohnfläche.

Unrealistische Bearbeitungszeit

Und die Zeit ist ein Problem. Das Gesetz sieht pro Wohngeldantrag eine Bearbeitungszeit von 89 Minuten vor. Nicht enthalten aber sind zum Beispiel die Erstberatung und Nachbearbeitungen von fehlerhaften Anträgen. "Das zeichnet kein realistisches Bild", mahnt der Deutsche Städtebund in der Anhörung. Und keine Minute sei eingeplant für Rückforderungen, die entstehen könnten, wenn Antragsteller ihr Wohngeld nur vorläufig erhalten. So hat es das Bundesbauministerium vorgeschlagen, um die Arbeitsabläufe zu beschleunigen.

Zunächst klingt das praktisch. Das Vorläufige hat aber auch Tücken. Darauf macht der Deutsche Caritasverband aufmerksam: Er warnt, dass mögliche Rückzahlungen für Menschen auch Verschuldung bedeuten könnten. Das bayerische Bauministerium lehnt die vorläufigen Zahlungen sogar ganz ab: "Damit schaffen wir den Behörden keinen Freiraum", sagt Sandra Rehmsmeier, und warnt: "Die Leute bekommen ab dem 1. Januar so nicht ihr Geld."

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Der Deutsche Städtetag schlägt als Kompromiss ein pauschales Basiswohngeld für eine Übergangszeit vor. "Sie müssen in den sauren Apfel beißen als Gesetzgeber", findet Hilmar von Lojewski. Aber die Koalition will nicht. Da verzichtet sie lieber auf Geld: Bis zu 50 Euro müssen nun gar nicht zurückgezahlt werden. "Wir hätten uns diese Bagatellgrenze auch noch höher vorstellen können", sagt Grünen-Abgeordnete Hanna Steinmüller. Der Bundesrat hatte glatt das Zehnfache empfohlen.

Und der Vereinfachung soll auch dienen, dass die Antragsteller nicht mehr jedes Jahr aufs Amt müssen. Ursprünglich wollte die Ampel den Bewilligungszeitraum auf 18 Monate ausweiten. Nach der Expertenanhörung landet man sogar bei zwei Jahren. "Das heißt, dass der Antrag nur noch halb so oft gestellt werden muss. Das ist gerade bei Rentnern und Rentnerinnen, bei denen sich wenig verändert, eine gute Sache", sagt Steinmüller.

Geldanreize für fehlendes Personal

Damit steht das Gesetz – und wie kommt das Geld möglichst schnell zu den Berechtigten? Zwei Millionen Anträge mindestens erwarten die Gesetzgeber. Um diese Flut zu bewältigen, müssen noch schneller Mitarbeiter gefunden und eingearbeitet werden: Das sagen im Ausschuss alle Experten. Abgeordnete Steinmüller hat deutschlandweit Mitarbeiter von Wohngeldämtern befragt. Aus München hat sie beispielsweise gehört, dass sich viele eine bessere Bezahlung wünschen. "Sie werden wohl schlechter eingruppiert als Mitarbeiter in den Sozialämtern. Das entscheidet aber jede Kommune für sich."

Bremen geht von einer Vervierfachung der Anträge aus. "Wir benötigen 40 zusätzliche Mitarbeitende, die erst noch geschult werden müssen, das verursacht jährlich 3,3 Millionen Euro zusätzliche Personalkosten", sagt Bausenatorin Maike Schäfer im Bundesrat schon Ende Oktober.

Und wie kommt der Antrag aufs Amt? Bislang ist Mecklenburg-Vorpommern, das einzige Bundesland, in dem Anträge aus dem Wohnzimmer gestellt werden können - komplett digital. In Bremen müssen die Anträge per Post oder E-Mail geschickt werden. Und was die Digitalisierung angeht: Bausenatorin Schäfer rechnet nicht damit, dass zum 1. Januar alle Software läuft für Beantragung und Berechnung. "Wir werden also massive Probleme bekommen."

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