In Ägypten wird gewählt – mit vorhersagbarem Ausgang. Vorbei sind die Zeiten, als die Menschen dort noch die Wahl zwischen unterschiedlichen Parteien hatten. Vorbei die Zeiten, als diese Parteien Programme entwickelten, Wahlkampf führten, Kandidaten aufstellte. Das war von 2011 bis 2013 so. Dass dies heute nicht mehr geschieht, liegt nicht am Virus, obwohl auch in Ägypten die Pandemie grassiert. Die Friedhofsruhe liegt einzig und allein an Machthaber Abdel Fattah Al-Sisi.
Der Pharao am Nil, dessen Ziel es ist, bei allem, worüber er abstimmen lässt, fast 100 Prozent Zustimmung zu erhalten, tut alles, um seine Macht zu bewahren. Diese Wahlen sind kein Kampf um Wählerstimmen oder darum, wer die besseren Antworten auf die drängenden Fragen der mehr als 100 Millionen Ägypter hat. Diese Wahlen sind erneut eine Abstimmung für den Staatspräsidenten. Gegenstimmen wird es kaum geben. Die Opposition sitzt im Gefängnis oder ist im Exil.
Vor zehn Jahren eröffneten sich für viele Menschen im Nahen Osten und Nordafrika ganz neue Möglichkeiten, als sich nach der tragischen Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Boauzizi in der tunesischen Provinzstadt Sidi Bouzid die Ereignisse überschlugen. Massenproteste erfassten bald die gesamte Region und brachten die stabil geglaubten Regime ins Wanken. Dass die arabischen Staaten einmal anders beherrscht werden könnten als durch Autokraten wie Ben Ali in Tunesien, Mubarak in Ägypten, Saleh im Jemen oder Gaddafi in Libyen, war bis zu diesem Zeitpunkt zwar immer theoretisch möglich gewesen. Man konnte es sich jedoch kaum vorstellen.
Nicht reif für demokratische Strukturen
Das ist wohl auch ein Grund, warum eine Revolution in Ägypten nicht geklappt hat: Man konnte es sich schlicht nicht vorstellen, dass ein demokratisches Regime am Nil Fuß fassen könnte. Immer wieder gab es Stimmen, die behaupteten, dass die Ägypter nicht reif seien für demokratische Strukturen, für Mitbestimmung, Disziplin und Respekt vor anderen Meinungen. Das Fenster der Möglichkeiten blieb nur knapp zwei Jahre offen. Dann schloss es sich wieder. Auf Autokrat Mubarak folgte Despot Al-Sisi.
Viele wünschen sich inzwischen den gestürzten Mubarak zurück, der im Februar mit 92 Jahren starb. Er sei wie ein strenger Vater gewesen, manchmal ungerecht, aber immer fürsorglich, behaupten viele Ägypter. Das kann man vom Nachfolger nicht behaupten. Zum einen ist Al-Sisi mit seinen 65 Jahren noch nicht alt genug, um als Vater der Nation zu gelten. Zum anderen hat er in seiner mittlerweile sechsjährigen Amtszeit eine Militärdiktatur in Ägypten errichtet, die wohl nur mit der Zeit Gamal Abdel Nassers in den 1960er-Jahren vergleichbar ist. Während Mubarak sich immer mehr vom Militär entfernte und den Weg für die Nachfolge seines ältesten Sohnes vorbereiten wollte, ist al-Sisi voll auf Linie. Er weiß, die wahre Macht am Nil hat nicht ein gewählter Präsident, sondern die Armee.
Dass große Teile der Ägypter dem Generalfeldmarschall zujubelten, als al-Sisi 2013 gegen den frei und demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi putschte und die Macht an sich riss, ist eine Schande, für die die Ägypter jetzt büßen müssen. Dabei ist der demokratische Anstrich, den die bevorstehenden Parlamentswahlen geben sollen, nur eine Facette der vielen Blendungen, die von al-Sisi ausgehen. Seine gigantischen Projekte – zweiter Suezkanal, neue Hauptstadt – die viel zu viel Geld verschlingen und nur dem Prestige dienen, sind nach anfänglicher Euphorie zum Katzenjammer der Nation geworden. Pleiten, Pech und Pannen haben Millionen verschlungen, die sich der Staatspräsident mit Volksaktien auch von den Ägyptern geborgt hatte mit dem Versprechen, es mit Zinsen zurückzuzahlen.
So ernten die am heutigen Samstag beginnenden Parlamentswahlen allenfalls ein Achselzucken bei der Bevölkerung. Viele werden zu Hause bleiben. Dafür wird Corona als Entschuldigung herhalten. Al-Sisi und sein Apparat werden es so hinbiegen, dass die über Wochen anhaltenden Wahlen – der letzte Wahlgang ist erst für den 8. November geplant – zu einem Erfolg für sie werden.