Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Demokratie allgemein?
Barbara Westhof: Insgesamt hat die Digitalisierung erhebliche Auswirkungen, in ganz verschiedenen Hinsichten. Ich mache das an drei Beispielen fest: Zugang zu Informationen, Partizipation und der Einfluss auf politische Wahlen.
Können Sie konkretisieren, was sie mit dem Zugang zu Informationen meinen?
Früher war es tendenziell so, dass Journalistinnen und Journalisten als Gatekeeper darüber entschieden haben, welche Infos an die Öffentlichkeit kommen. Sie haben Informationen für uns gefiltert und eingeordnet. Heute kann jeder über soziale Medien eine potenziell große Öffentlichkeit erreichen. Das ist auf der einen Seite natürlich toll, weil Bürgerinnen und Bürger einen erleichterten und schnelleren Zugang zu Informationen haben, zum Beispiel über die Plattform Wikipedia. Andererseits kommt es auch zur massiven Verbreitung von toxischen Inhalten und Desinformationen.
Inwiefern verändert die Digitalisierung die Partizipationsmöglichkeiten?
Durch die Digitalisierung entstehen ganz viele neue Möglichkeiten der Partizipation, zum Beispiel im Bereich Jugendbeteiligung: Online-Petitionen, Crowdfunding oder eine digitale Beteiligung an Bürgerhaushalten bieten für junge Menschen niedrigschwellige Möglichkeiten, sich aktiv in politische Prozesse einzubringen und ihre Meinung öffentlich zu äußern.
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf politische Wahlen?
Digitale Transformationsprozesse haben auch hier große Auswirkungen. Es gibt heutzutage Wahlkampf-Apps von Parteien, es gibt Kampagnen in sozialen Netzwerken oder die Möglichkeit, dass online gewählt wird – wie zum Beispiel in Estland. Dadurch können Zugänge erleichtert werden. Andererseits sind hier auch Sicherheits- und Datenschutzrisiken zu berücksichtigen. Auch politisches Microtargeting, also das passgenaue Zuschneiden von Wahlwerbung, das Persönlichkeitspsychologie mit Big-Data-Analysen verbindet, ist eine große Herausforderung, für die es in Deutschland bislang keine guten und einheitlichen Regelungen gibt.
Die Demokratie im Zeitalter der Digitalisierung scheint Desinformationen oder Hackerangriffen wenig entgegensetzen zu können. Gibt es noch Hoffnung?
Hoffnung gibt es auf jeden Fall. Es ist aber eben auch wichtig, dass es Projekte wie Future Fabric gibt, die frühzeitig mit Jugendlichen über diese Themen sprechen.
In der Bildungsarbeit sehe ich große Chancen, junge Menschen für diese Themen zu sensibilisieren, ihnen Ängste zu nehmen, Kompetenzen zu vermitteln und die Entwicklung einer eigenen Haltung zu ermöglichen. Ambiguitätstoleranz, also die Fähigkeit mit Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten umzugehen, ist hier ein wichtiges Stichwort.
Wie kann Demokratie und Digitalisierung gemeinsam funktionieren?
Ich würde sagen, dass es ja bereits gemeinsam gut funktioniert. Etwa im Bereich Cyber-Aktivismus, wo sich Menschen über nationalstaatliche Grenzen hinweg zusammentun und mobilisieren, um gemeinsam für Menschenrechte zu kämpfen. Auch wenn man in andere Länder schaut – wie etwa Iran – sind soziale Medien wichtige Werkzeuge, ohne die die Proteste und Demokratiebewegungen in der jetzigen Form nicht möglich wären.
Wie können diese Probleme denn gelöst werden?
Einen einfachen Lösungsweg für diese vielfältigen Probleme gibt es nicht. Vielmehr ist es wichtig, sich einzelne Phänomene ganz genau anzuschauen. Nehmen wir das Thema Hate Speech: Da gibt es zum einen die großen Tech-Konzerne. Die könnten zum Beispiel ihre Algorithmen verändern, sodass Hassnachrichten mehr so präsent angezeigt werden. Und es gibt die politische Ebene mit verschiedenen Gesetzen auf europäischer und nationaler Ebene, wie dem Digital Services Act oder dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), wo gerade viel nachjustiert wird. Daneben ist auch die Zivilgesellschaft gefragt, sich mit Betroffenen zu solidarisieren oder Hass in Kommentarspalten zu melden. Und auch unser Bereich, die politische Bildung, kann ihren Teil zur Lösung beitragen und junge Menschen sensibilisieren.
Was digitale Kompetenzen betrifft, scheinen jüngere Generationen meist einen Heimvorteil zu haben. Stimmt das?
Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Die Jugendlichen in unseren Seminaren nehme ich oft als sehr informationskompetent wahr. Sie können zum Teil schon sehr gut einschätzen, welche Informationsquellen im Internet seriös sind und welche nicht. Allerdings berichten sie uns sehr oft von Erwachsenen in ihrem Umfeld, die das nicht können. Ein Paradebeispiel ist der Onkel, der im Familienchat Verschwörungserzählungen oder irgendwelche anderen schwurbeligen Nachrichten verbreitet. Wir sehen es auch als unsere Aufgabe, den jungen Menschen Handlungsstrategien an die Hand zu geben, wie sie damit umgehen können. Die Jugendlichen sind auch Multiplikatoren, was das kompetente Verhalten im digitalen Zeitalter angeht.