Da war die Sache mit dem Chinesen, einem Milliardär, der ein Fläschchen Wein kaufen wollte. Nie haben der Bremer Ratskeller und sein Ratskellermeister so viel Aufmerksamkeit bekommen wie damals. Die Geschichte brachte es in alle großen Zeitungen und Zeitschriften. "Ein Wahnsinn", sagt Karl-Josef Krötz und erinnert sich, es war der 1. September 2013: "Der Mann, sehr groß für einen Chinesen, hatte von mir eine Führung bekommen. Irgendwann standen wir im Rosekeller vor dem Rüdesheimer, und er fragte mich, was der Wein kostet, ob er davon etwas bekommen könne, nur ein Fläschchen." Tja, und da schaute der Kellermeister erst einmal, Krötz war verdutzt, was sollte er sagen? Der Rüdesheimer im Rosekeller gilt als der älteste Fasswein in Deutschland, er stammt aus dem Jahr 1653 und ist eigentlich weder zu kaufen noch bezahlbar. Trotzdem mal schnell überschlagen, was wäre der Preis? Krötz überlegte. "150.000 Euro", sagte er zum Chinesen. Runde Summe für eine Flasche Wein.
Keine Entrüstung beim Milliardär, noch nicht einmal Verwunderung. Er nickte den Preis ab, einfach so. Zwar kam es am Ende dann doch nicht zu dem Handel, aus Gründen, die Krötz nicht kennt: Übersetzungsfehler im Schriftverkehr? Aber das war egal, denn irgendwie war die Nachricht durchgesickert, und die Medien stürzten sich drauf. In Bremen war sogar der Bürgermeister befasst: Darf so ein Wein, gelagert im Weltkulturerbe, überhaupt verkauft werden? Ist er möglicherweise genauso denkmalgeschützt wie alles andere? Ein köstliches Thema, das dem Ratskeller Reputation brachte. Krötz lacht, was für ein Coup!
Der Mann hat viel zu erzählen aus seinen 33 Jahren als Bremer Ratskellermeister. Ende des Jahres hört er auf und übergibt endgültig an Frederik Janus, einem Winzer, wie Krötz einer war. Janus in der Pfalz, Krötz an der Mosel.
Abschied also, nicht profan, sondern standesgemäß – bei einem Glas Wein im Ratskeller, in einer der Priölken. Es ist das Bergen-Zimmer, das Krötz ausgewählt hat. Die Fresken an der Wand zeigen Motive der norwegischen Stadt. "Hier haben Reeder und Kapitäne die Heuer ausgezahlt", weiß der Kellermeister.
Er bestellt den Wein und sucht einen Blanc de Noir aus, einen Weißwein aus roten Trauben, hergestellt von der Winzergenossenschaft Mayschoss im Ahrtal. Nach der Flutkatastrophe vor anderthalb Jahren ist die Not dort immer noch groß. "Wir unterstützen die Betriebe", sagt Krötz. Er kauft groß ein, setzt Mayschoss sozusagen auf die Karte – aus Solidarität, gleichzeitig aber auch, weil der Wein überzeugt. "Hochelegant und mit versteckter Kraft", lobt der Kellermeister nach dem ersten Schluck. Er lässt den Tropfen zwischen seinen Lippen tanzen, um die Aromen herauszukitzeln. Krötz schmeckt rote Früchte, Erdbeeren und Waldhimbeeren. Ein feiner, ausbalancierter Wein, "nur ein bisschen kühl, wir sollten mit dem nächsten Schluck warten".
Schwerer Start in Bremen
Der Mosel-Mann hatte es schwer, als er nach Bremen kam, "ein Auswärtsspiel". Warum? "Zu Hause bei uns im Tal sahen wir das natürlich anders, sonst aber war der deutsche Wein am Boden, er galt als billig und süß, als etwas für Oma und Opa." Der Glykolwein-Skandal lag noch nicht lange zurück, eine üble Panscherei, kriminell. "Mein Trost war, dass ich wusste, dass unter den Winzern eine neue Generation heranwächst, und denen konnten wir im Ratskeller eine Bühne bieten. Später haben ihre Weine international Karriere gemacht", sagt der 65-Jährige. Die Tradition, mehr als 600 Jahre, das riesige Angebot an Spitzenweinen, die ältesten Fassweine, eine der größten Weingaststätten – alles schön und gut, aber nicht genug, fand Krötz. Er wollte die Institution Ratskeller nicht verwalten, sondern sie in die Zukunft führen, mit gelebter Weinkultur.
Bier kam dann auch dazu. Ein unangenehmes Thema, das in der Priölke auf den Tisch kommt. Vor 20 Jahren gab es einen Wechsel an der Spitze der Gastronomie im Ratskeller. Bis dahin war kein Gerstensaft ausgeschenkt worden, schon viele Jahrzehnte nicht mehr. Und wenn man auf Krötz gehört hätte, wäre das auch so geblieben: "Ich bin nicht nach Bremen gekommen, um Bier zu verkaufen." Letztlich hatte er aber keine Chance. Der neue Pächter, nicht dumm, konnte nachweisen, dass der Ratskeller in grauer Vorzeit durchaus auch Bier ausgeschenkt hat. Und er gewann einen Verbündeten: "Wirtschaftssenator war damals Josef Hattig, vormals Chef von Beck & Co. – da können Sie sich vorstellen, wie das lief. Klein mit Hut, habe ich mich gefühlt." Verloren hat er, aber nicht ganz. Krötz stellte Bedingungen: "Das Bier musste aus Bremen sein und in Tonkrügen statt Gläsern serviert werden. Werbung für das Bier war verboten. Als Schmerzensgeld habe ich die Pacht erhöht."
Der Wein geht zur Neige, das Essen, unter anderem ein hervorragendes Fischragout mit raffinierter Schärfe, ist verdrückt. Zeit zu gehen. Die Priölken sind besonders vor Weihnachten in der Regel ausgebucht, weshalb man nicht ewig sitzen bleiben kann. Eine Geschichte aber noch, denn nach dem Chinesen kam der Brasilianer. "Wir hatten in unserem Verkaufsladen bereits Feierabend, und dann steht da plötzlich ein Mann vor der Tür, so um die 70", erzählt Krötz. Ein Unternehmer aus Rio de Janeiro, der eigens mit dem Privatjet angereist war. Er hatte mitbekommen, was der Chinese wollte, und dachte wohl: Ausverkauf! Seine Bitte: eine Flasche vom Rüdesheimer Apostelwein von 1727. Der Mann hatte Jahre vorher mal eine davon ersteigert, jetzt stand ihm der Sinn nach einer zweiten. Er hat sie bekommen, für 6500 Euro, erzählt Krötz, "die Verkäuferin hat vor Aufregung gezittert". Rein in die Jutetasche, und ab damit zum Flieger.
Noch knapp drei Wochen, dann war's das. Der Ratskellermeister bleibt bis zum letzten Arbeitstag im Amt. Typisch Krötz. Und danach? Wie geht es weiter? "Genauso, nur ganz anders", sagt er bezogen auf den Ratskeller. Aus seiner eigenen Zukunft macht der Weinexperte ein Geheimnis: "Es gibt Leute, die haben mit mir etwas vor, wovon ich noch nichts weiß."