Die Entstehung der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist eine Folge des Ersten Weltkrieges. Nach dem Krieg suchten viele Verwundete mit schweren Gesichtsverletzungen Behandlung. „Damit waren die meisten Mediziner überfordert“, sagt Christian G. Schippers, Chefarzt der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Agaplesion Diakonieklinikum in Rotenburg. In Hamburg sei dann die Norddeutsche Kieferklinik aufgebaut worden.
Für die Ausbildung in dieser speziellen chirurgischen Disziplin sind zwei Studiengänge vonnöten: Medizin und Zahnmedizin. „Das ist einer der ganz wenigen Berufe, wo das notwendig ist“, sagt Schippers. Denn behandelt werden häufig Probleme in der Mundhöhle, die beide Fachrichtungen berühren. Etwa der chirurgische Teil der Zahnheilkunde, das Entfernen von Zähnen sowie die Behandlung von Entzündungen. „Außerdem behandeln wir, wenn Zähne fehlen, pflanzen Implantate ein und künstliche Zahnwurzeln“, sagt Schippers. Wenn im Kiefer ein Knochen zerstört sei oder fehle, werde dieser wieder aufgebaut.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Operation von Missbildungen aller Art. Lippen-, Kiefer- oder Gaumenspalten werden operativ behoben, schiefe Nasen begradigt und abstehende Ohren angelegt. Auch vorstehende Kiefer behandeln die Chirurgen in Zusammenarbeit mit der Kieferorthopädie. „Das sind keine Schönheitsoperationen, auch wenn die Patienten hinterher besser aussehen, es sind notwendige Eingriffe“, betont der Chefarzt. Bei einem starken Unterbiss etwa sei die Funktion gestört, der Ober- und Unterkiefer passten nicht zusammen. Erkrankungen, mit denen es die Gesichtschirurgen zu tun bekommen, sind Tumore im Gesicht, auf Lidern, der Nase sowie im Mund. Häufig sind auch die Folgen von Reitunfällen, Frakturen im Gesicht durch Hufschläge oder Schlägereien. Wesentlich abgenommen habe die Häufigkeit von schweren Kopfverletzungen durch Verkehrsunfälle. „Früher hatten wir viele schwere Schnittverletzungen im Gesicht. Seit es die Anschnallpflicht gibt, kommt das kaum noch vor“, so der Chefarzt.
Zur Glättung von Falten setzt Schippers seit Ende der 90er-Jahre Botox ein. „Wir waren mit die ersten, die das in Deutschland überhaupt gemacht haben“, erzählt er. Vorher sei das Mittel überwiegend zur Krampflösung bei spastisch Gelähmten eingesetzt worden. Schönheitsoperationen generell steht er positiv gegenüber, wenn das Ergebnis zum Typ passe und nicht übertrieben ist. „Man versucht, den Alterungsprozess etwas aufzuhalten“, sagt er, daran sei nichts Verwerfliches. Heutzutage seien Frauen und Männer mit 60 Jahren noch nicht alt, und das wollten viele auch äußerlich dokumentieren. „Es ist doch positiv, dass das Leben mit 60 noch nicht vorbei ist“, so Schippers. Diese Patienten sollten nach der OP „nicht jung entstellt, sondern erholt aussehen“, betont er. Ziel sei ein harmonisches Profil.
Die gebräuchlichen Operationstechniken, etwa um die optischen Folgen eines Unfalls zu beseitigen, seien teilweise mehr als 100 Jahre alt. „Man muss die Spannung der Haut berücksichtigen und sehen, wo man ausgleichen und möglicherweise Haut verpflanzen kann“, erläutert der Chefarzt. Die Klinik besteht seit 1996, im vergangenen Februar wurde der 50000. Patient behandelt. Sechs Ärzte kümmern sich um die Erkrankten.