Kein Wohlwollen gegenüber dem Chemiewerk in Ritterhude: Der Chef der niedersächsischen Staatskanzlei, Jörg Mielke (SPD), weist sämtliche Korruptionsvorwürfe gegen ihn zurück. Mit dem ehemaligen Osterholzer Landrat sprach Peter Mlodoch.
Herr Mielke, laut einer Geschenkliste, die sich in Ermittlungsakten der Kriminalpolizei befindet, soll der Chef der kürzlich explodierten Chemie-Firma in Ritterhude Sie als damaligen Landrat Weihnachten 2005 großzügig bedacht haben. C 20 steht dort offensichtlich für Cognac, CH für Champagner. Haben Sie diese Getränke tatsächlich erhalten?
Jörg Mielke: Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich kann das also weder bestätigen noch ausschließen. Es war damals die übliche Praxis, die ich in meinem ersten Jahr als Landrat des Kreises Osterholz vorgefunden habe, dass Unternehmen sich zum Jahresende mit solchen Gaben für die gute Zusammenarbeit bedankten. Da gab es ganz unterschiedliche Dinge – vom klassischen Kalender über irgendwelche Werbegeschenke bis hin auch zu Alkoholika.
Ein Kalender ist etwas anderes als ein teurer Cognac. Der Geschenke-Erlass der Landesregierung verbietet die Annahme von Gaben über zehn Euro. Hätte man da nicht hellhörig werden müssen, wenn ein Firmeninhaber flächendeckend Behördenmitarbeiter mit teurem Champagner versorgt?
Noch mal, es war übliche Praxis nicht nur seitens dieses Unternehmers, um den es jetzt geht. Ich war damals eher sorglos, was in der Rückschau bestimmt nicht klug gewesen ist. Später habe ich als Landrat diese Praxis auch abgestellt. Aber im Nachhinein betrachtet hätte ich dies eher tun müssen.
Nun steht der Vorwurf im Raum, dass sich das Chemie-Unternehmen mit den Geschenken ein Wohlwollen der Behörden erkauft habe.
Dazu ist mir nichts bekannt. Ich schließe das für mich definitiv aus. Den Akten des Landkreises ist zu entnehmen, dass gerade in dem betreffenden Zeitraum 2005/2006 die Angelegenheiten des Unternehmens sehr, sehr konsequent angefasst worden sind. Es gab diverse Beschwerdebriefe des Unternehmers, der sich vom Landkreis sehr schlecht und ungerecht behandelt gefühlt hatte. Dabei ging es um baurechtliche Maßgaben oder um Ordnungsmaßnahmen des Kreises nach Beschwerden der Anwohner, weil etwa das Unternehmen seine Tankwagen auf der Straße befüllt hatte. Von einem Wohlwollen irgendwelcher Art kann beim besten Willen nicht die Rede sein.
Die Landtagsopposition spricht dennoch von Korruption.
Ich kann zwar verstehen, dass die Anwohner in Ritterhude wegen ihrer speziellen Situation ein Unbehagen empfinden. Die Reaktion der Opposition ist dagegen unverständlich. Es gab damals ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen den Unternehmer, aber nicht gegen mich und – soweit ich weiß – auch nicht gegen irgendeinen der anderen potenziellen Empfänger. Der Vorwurf geht vollkommen ins Leere.
Unabhängig von dieser Sache. Was ist aus Ihrer Sicht in Ritterhude schief gelaufen? Müssen sich Landkreis und Gewerbeaufsichtsamt Cuxhaven als Kontrollbehörden keine Vorwürfe wegen des Unglücks machen?
Schief gelaufen sind mit Sicherheit die Abläufe im Zusammenhang mit der Ansiedlung in den 80er-Jahren. Niemand käme heute mehr auf die Idee, solche Betriebe so eng neben Wohngebieten zu genehmigen. Was ich heute nicht beurteilen kann, ist die Frage, ob es seinerzeit eine falsche Einschätzung der Gefährdung gegeben hat, die von diesem Grundstück ausgehen könnte. Oder ob wir es hier mit einem ungewöhnlichen, gleichwohl sehr unglücklichen Ereignis zu tun haben. Da wird man abwarten müssen, was die Ursachenermittlung an dieser Stelle ergibt. Im Umgang mit diesem Betrieb kann ich aber aus meiner Sicht und nach den ergänzenden Informationen der Kollegen keine Versäumnisse des Landkreises erkennen.
Muss man nach diesem tragischen Unglück die Vorschriften über Bau und Betrieb solcher Anlagen ändern?
In der heutigen Praxis würde eine solche Situation nicht mehr neu entstehen, weil solche Betriebe nicht mehr so genehmigt würden. Bei problematischen Unternehmen, die bereits bestehen, sollte man vielleicht über Erleichterungen für eine Umsiedlung nachdenken. In Ritterhude hat es solche Gespräche durchaus gegeben; das Unternehmen war ja selbst wegen der vielen Auseinandersetzungen nicht glücklich mit dem Standort. Aber dafür braucht man geeignete Ausweichflächen, und vor allem kostet es Geld. Dieses hatten aber offenbar weder die Firma noch der Landkreis oder die Gemeinde. Daran ist letztendlich eine Umsiedlung gescheitert.
Was Beamte annehmen dürfen und was nicht:
"Keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile"
Staatsdiener dürfen nach Paragraf 42 des Beamtenstatusgesetzes grundsätzlich "keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile" annehmen. Ausnahmen sind im engen Umfang möglich, aber bedürfen der Zustimmung des Dienstherrn. In Niedersachsen regelt ein Runderlass des Innenministeriums die Einzelheiten für die Landesbediensteten; den Kommunen wird darin empfohlen, entsprechend zu verfahren.
Tabu sind danach nicht nur Geldgaben, sondern auch Gutscheine, Eintrittskarten, die Einsetzung als Erbe, die Vergabe von Nebentätigkeiten und auch sexuelle Handlungen. Für Massenwerbeartikel wie Kugelschreiber oder Kalender, die einen Wert von zehn Euro nicht überschreiten, erteilt der Erlass eine allgemeine Zustimmung.
Ausnahmen
Auch Geschenke aus dem Kollegenkreis oder dem dienstlichen Umfeld, nicht aber von einer Einzelperson, zum Jubiläum oder Geburtstag sind im "herkömmlichen und angemessenen Umfang" erlaubt. (Beispiel: Eltern dürfen dem Klassenlehrer ihrer Kinder eine Theaterkarte schenken). Gleiches gilt für eine übliche Bewirtung im Rahmen des Amtes oder der dadurch "auferlegten gesellschaftlichen Verpflichtungen".
Erlass weist ausdrücklich auf Konsequenzen hin
Eine einzelfallbezogene, vorherige Zustimmung durch den Dienstherren ist für Geschenke bis zu 50 Euro möglich, in Ausnahmefällen könne auch eine Wertüberschreitung zugelassen werden. Der Erlass weist für den Fall eines Verstoßes ausdrücklich auf die Strafnormen für Bestechlichkeit und Vorteilsnahme sowie Disziplinarverfahren bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis hin.
Korruptionsparagraf in Ritterhude verschärft
Susanne Geils, seit 2006 Bürgermeisterin der betroffenen Gemeinde Ritterhude, sagte auf Nachfrage: "Wir haben den Korruptionsparagrafen bei uns verschärft. Seit vielen Jahren gibt es eine konkrete Dienstanweisung." Danach dürfen die Verwaltungsmitarbeiter in Ritterhude alle Geschenke bis zehn Euro annehmen. Präsente, die diesen Wert übersteigen, müssen abgelehnt werden.
Auch beim Landkreis Osterholz gelten strenge Anti-Korruptionsregeln – schon seit den 1970er-Jahren. Danach dürfen die Mitarbeiter in der Verwaltung "grundsätzlich keine Belohnungen und Geschenke oder Vergünstigungen jedweder Art" annehmen. Davon ausgenommen seien etwa "geringwertige und verkehrsübliche Werbemittel mit einem Gesamtwert von bis zu zehn Euro".
Außerdem sensibilisiere der Landkreis Osterholz seine Mitarbeiter seit 2000 in einem jährlichen Rundschreiben auf die Handhabung mit Geschenken, sagte Pressesprecherin Jana Lindemann.