Ein leichter Frühlingswind weht am schilfgesäumten Ufer der Wesermündung in Wremen bei Bremerhaven. In der Ferne bestimmen die Hafenkräne auf der einen Seite, auf der anderen Seite der Leuchtturm "Kleiner Preuße" die Szenerie. Inmitten der beiden Sehenswürdigkeiten im Schilfmoor weht an diesem Tag aber eine ungewöhnliche Flagge, schwarz-weiß-rot, in einer Art Welle gemustert, die so gar nichts mit deutscher und preußischer Kultur zu tun hat.
Mitgebracht hat sie der neuseeländische Basketballer der Eisbären Bremerhaven, Anzac Rissetto. Ein Riese, der mit seiner 2,08-Meter-Größe und zahlreichen Tattoos auf dem Körper fast schon eine Attraktion für sich ist: "Das ist die Fahne der Maoris, der indigenen Menschen Neuseelands", erklärt Rissetto, "die habe ich als Teil meines Stammes – egal, wo ich auf der Welt spiele – immer dabei."
Seinen Hals schmückt eine Kette mit einem smaragdgrünen Stein, ein sogenannter Pounamu, der in der Form an einen Haifischzahn erinnert und mit drei für die Maori-Kultur typischen Einkerbungen verziert ist: "Diesen Stein, einer der härtesten der Welt, kannst du nicht kaufen, er wird dir geschenkt. Mein Vater gab ihn mir. Der Haifischzahn steht bei uns für Größe und Stärke, die drei Einkerbungen für mich und meine Eltern."
Es sind seine persönlichen Schätze – und Erinnerungen an seine Herkunft und seine Traditionen, die knapp 17.800 Kilometer von Bremerhaven entfernt liegen. "Es ist so etwas wie das andere Ende der Welt", sagt der Basketballer, "daher wollte ich so viel wie möglich mitbringen, damit ich nicht vergesse, woher ich stamme." Denn seit November vergangenen Jahres darf der 24-Jährige die Seestadt seine Wahlheimat nennen, den Pazifik eingetauscht für die Nordsee.
Seitdem fällt er auf dem Basketball-Parkett und in der Stadt nicht nur durch seine Bulligkeit – er wiegt neben seiner Größe auch noch 114 Kilogramm – sondern auch durch die Bemusterung seines Körpers auf. Denn bis auf wenige Zentimeter seines linken Unterarms ziert ein Tattoo mit Zick-Zack-Grundierung und wellenförmigen Linien sein Äußeres – eine Maori-Tradition, die wahrlich unter die Haut geht.

Unübersehbar: Auf dem linken Unterarm trägt Anzac Rissetto ein typisches Maori-Tattoo. Um den Hals hängt sein ”persönlicher Schatz”, eine Kette mit einem speziellen grünen Stein.
Denn Tattoos, abgeleitet vom pazifisch-samoanischen Begriff "ta tau", beschreiben bei den Maoris Lebensgeschichten – so, wie bei Anzac Rissetto auch: "Die Wellen stehen für unsere Heimat, man kommt immer zurück, egal, wie weit man von zu Hause weg ist. Es ist wie die Tide – es ist ein ständiges Kommen und Gehen." Zudem will er mit den Tattoos auf den Spielflächen auch auf die Unterdrückung aufmerksam machen, die die Maori durch Kolonialmächte erleben mussten.
Deshalb ist die Grundierung wie die Oberfläche eines Basketballs gestaltet: "Basketball verbindet in meinem Leben alles, auch deshalb will ich im Sport auf die Vergangenheit hinweisen." Die längste Wellenlinie auf seinem Unterarm steht aber für seine Mutter, die den "kleinen" Anzac auch durch harte Zeiten in seinem Geburtsort Auckland, der Hauptstadt Neuseelands, bringen musste. "Die Linie ist wie eine Nabelschnur, die das Tattoo durchzieht", erklärt er: "Ich komme aus schwierigen Verhältnissen in meinem damaligen Viertel."
Vorname mit militaristischem Hintergrund
Seinen ungewöhnlichen Vornamen Anzac bekam er von seinen Eltern aus Respekt vor seinem Großvater, der als Soldat in Kriegen diente, wurde sein Vorname aus den ersten Buchstaben des Australian New Zealand Army Corps (zu deutsch: australisch-neuseeländischer Armee-Korps) gebildet. So wird in Neuseeland, Australien und Tonga auch der Anzac-Day am 25. April eines jeden Jahres begangen, um an die Gefallenen zu erinnern?

Ein Riese auf dem Parkett: Anzac Rissetto (links) im Trikot der Eisbären Bremerhaven.
Und auch dies sind Traditionen, die die Kultur der Maoris ausmachen. Es geht um ein starkes Miteinander, Respekt vor dem anderen. Als Dank für die erste Saison bei den Eisbären Bremerhaven, dieim Play-off-Viertelfinale am Aufstieg in die Bundesliga scheiterten, präsentiert er seinen Teamkollegen den "Haka", ein ritueller Tanz, der einerseits zur Begrüßung und Unterhaltung von Gästen aufgeführt, andererseits auch zur Einschüchterung von Gegnern genutzt wird.
"Ich liebe meine Kollegen und ich habe die Zeit hier in Bremerhaven bislang sehr genossen. Es ist mir ein Bedürfnis, meinen Mitspielern diese Form des Respekts entgegenzubringen", sagt Anzac Rissetto, der aus den gleichen Beweggründen auch ein wenig Deutsch gelernt hat. "Es geht bei uns Maori viel um Moral und das gibt mir ein gutes Gefühl."
Ein gutes Gefühl geben ihm auch die Treffen an seinem Lieblingsort in seiner neuen Heimat, dem Strandhus an der Wesermündung in Wremen. Hier trifft sich der Neuseeländer mit seinen Teamkollegen, die aus aller Welt stammen. "Dieses Zusammentreffen der Kulturen ist extrem kostbar und man lernt täglich so viel, wie es in anderen Ländern läuft und wie die Kulturen da sind", erzählt Rissetto mit breitem Grinsen. Und er hofft, dass er auch andere an seinen Traditionen teilhaben lassen kann.
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