Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Essay über Kritik im Fußball Im Zweifel ist immer der Trainer schuld

Im Fußball ist Kritik allgegenwärtig und oft trifft sie die Trainer. Doch ist das gerecht? Die Mechanismen der Branche haben schon zu merkwürdigen Entlassungen geführt, meint Jean-Julien Beer.
11.11.2023, 21:11 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Im Zweifel ist immer der Trainer schuld
Von Jean-Julien Beer

Wohl nirgendwo gibt es so viele Besserwisser wie im Fußball. Ob Fans, frühere Spieler, Journalisten oder Vereinsbosse – im Fußball hat jeder eine Meinung, und im Zweifel hat bei Niederlagen immer der Trainer die Schuld. Das ist ein einfaches Prinzip, oft ziemlich ungerecht, aber halt sehr bequem für alle, die gerade nicht der Trainer sind.

Als Faustformel gilt: Je bedeutender die Liga ist, in der die Trainer arbeiten, desto dicker sollte ihr Fell sein – oder ihr Ego. Der größte Klub von allen ist Real Madrid. Beim spanischen Weltklub begegnete Trainer José Mourinho der ständigen Nörgelei an seiner Arbeit einst auf spezielle Art. Er rief die Fans auf, beim nächsten Heimspiel 40 Minuten früher im Stadion zu sein. Er würde sich dann ganz allein auf den Rasen stellen, damit jeder die Gelegenheit habe, ihn gründlich auszupfeifen. Danach aber solle das Publikum die Mannschaft anfeuern, damit Real das Stadtderby gegen Atletico gewinnen könne.

Was für eine Aktion! Mourinho machte das wirklich, es wurde ein exklusives Pfeifkonzert. Real gewann das Spiel mit 2:0. Für starke Persönlichkeiten wie Mourinho oder Jürgen Klopp würden Fußballspieler durchs Feuer gehen, weil sich diese Trainer auch unter Druck schützend vor ihre Mannschaften stellen.

Lesen Sie auch

Von Madrid bis nach Bremen ist es ein weiter Weg, von Mourinho bis zu Ole Werner sicherlich noch ein Stückchen weiter. Aber auch Werders Trainer erlebt in seiner zweiten Bundesligasaison das, wofür Mourinho damals auf spektakuläre Weise ein Ventil suchte. Bei Werner sorgen die seltsamen Auftritte der Mannschaft für den öffentlichen Druck. Mal schlecht, mal ordentlich – das ständige Auf und Ab wird auch dem unerfahrenen Trainer angekreidet. Ein bisschen ungerecht ist das schon, schließlich hat der Verein ihm den besten Spieler genommen und verkauft, den Torschützenkönig Niclas Füllkrug. Seither ahnte Werner, dass ungemütlichere Zeiten kommen könnten. Fraglich war nur, wer sich dann schützend vor den Trainer stellen würde, weil es doch die Vereinsführung war, die ihm einen halbguten Kader hinstellte.

Bleiben Siege aus, sind Trainer immer das schwächste Glied in der Kette, weil man ihnen leicht etwas vorwerfen kann: Das falsche System gespielt, unsinnig aufgestellt, schlecht ausgewechselt oder die falsche Taktik gewählt – im Land der 80 Millionen Bundestrainer bleibt nichts unkommentiert, was ein Trainer rund um Niederlagen anstellt. Bei Siegen hingegen sind es oft die Spieler, die den Ruhm genießen: Der Torschütze für seinen Treffer, der Torhüter für seine Parade. Der Trainer? Ja gut, hat nichts falsch gemacht…

Es gehört eine Menge Geschlossenheit dazu, damit sich ein Verein diesen simplen Mechanismen nicht hingibt. Beim SC Freiburg schaffen sie das. Mit ihrem Trainer Christian Streich spielen die Freiburger mal international, mal steigen sie gemeinsam ab und wieder auf. Seit mehr als einem Jahrzehnt geht das so. Als Streich dort Cheftrainer wurde, stand in Bremen noch Thomas Schaaf an der Seitenlinie.

Lesen Sie auch

Im Prinzip wollen alle Vereine so lange mit ihren Trainern arbeiten, aber es gibt zwei Hindernisse: Man muss den passenden Kandidaten für eine so lange Partnerschaft auswählen, und man braucht souveräne Führungskräfte an der Vereinsspitze, die bei Gegenwind nicht sofort den Trainer opfern, um die eigene Haut zu retten.

Die Rechtfertigung für einen Trainerwechsel ist oft, der Verein erhoffe sich „einen neuen Impuls“. Dass solche Impulse auch an der Vereinsspitze sinnvoll wären, wird jeder entlassene Fußball-Lehrer bestätigen. Der frühere Leverkusen-Manager Wolfgang Holzhäuser bezeichnete Trainer sogar als „temporäre Erscheinung“, ehrlicher hat das nie jemand gesagt. Dass ihr Gehalt auch Schmerzensgeld ist, klingt besser als es ist – denn oft sind es ausgerechnet die Trainer, die in einer Mannschaftskabine am wenigsten verdienen. Ebenso ist es eine Mär, dass eine lange Amtszeit wie von Christian Streich eher im beschaulichen Freiburg möglich ist als bei größeren Vereinen. Widerlegt wurde das bei Borussia Dortmund, wo Jürgen Klopp sieben Jahre wirkte, in guten wie in schlechten Zeiten. Bis heute bedauern viele in Dortmund, dass Klopp den Verein verließ, um Veränderungen anzustoßen. Trainerwechsel sind eben nicht immer die beste Veränderung.

Auch in Bremen sehnen sich die Fans bei jedem neuen Trainer nach einer Ära. Weil sie erlebt haben, wie schön das ist. Otto Rehhagel und Thomas Schaaf prägten Werder eine Ewigkeit und gewannen Titel. Vor allem wegen dieser beiden gibt es im Profifußball den Glauben, dass personelle Konstanz auf dem Trainerposten zu Erfolg führt. Was dabei übersehen wird: Beide Trainer konnten nur deshalb so lange bei Werder bleiben, weil sie von starken Managern geschützt wurden. Bei Rehhagel war es Willi Lemke, bei Schaaf Klaus Allofs. Es ist nämlich ein wichtiger Kniff, einen Trainer in kritischen Phasen aus der Schusslinie zu bekommen. Manche Manager schaffen das, indem sie in der Öffentlichkeit ein Randthema aufbauschen, um vom eigentlichen Problem abzulenken. Neben Lemke war auch Uli Hoeneß stets ein Meister darin, solche Schlagzeilen zu produzieren. Heute kann das noch Dortmunds Aki Watzke.

Lesen Sie auch

Die meisten Manager sind ihren Trainern im Ernstfall keine Hilfe. Der frühere Schalke-Coach Mirko Slomka beschwerte sich mal über diese Zeitungsüberschrift: Siegen oder fliegen. Warum er das geschrieben habe, fauchte er den Journalisten an. Die Antwort: Weil es stimmte. Die Verantwortlichen im Verein hatten den Reporter persönlich informiert, dass Slomka bei einer Niederlage fliegt. Nur dem Trainer hatten sie nichts davon gesagt.

Werder feuerte Florian Kohfeldt im Abstiegskampf, obwohl der Verein von diesem Ur-Bremer fachlich und menschlich überzeugt war. Viele empfinden solche Entlassungen, die an sich widersprüchlich wirken, als ungerecht und verweisen auf das Modell in England - wo die Trainer gleichzeitig Manager sind, also selbst den Kader zusammenstellen. Das hat Vorteile: Die Trainer haben eine engere Beziehung zu ihren Spielern – und nach Niederlagen zieht kein Sportchef nervös die Notbremse, um den eigenen Job zu retten.

Dass die Kritik heutzutage massiver wirkt, aber auch fundierter, dafür haben die Vereine ungewollt selbst gesorgt: Mit den teuren Preisen und Business-Logen lockten sie ein anderes, zahlungskräftiges Publikum an. Wer nun mehr Anwälte, Ärzte oder Unternehmensberater auf der Tribüne hat, braucht sich nicht über meinungsstarke Anhänger zu wundern. Der Austausch in den sozialen Netzwerken befeuert die Kritik.

Letztlich sind Trainer von der Vereinsführung abhängig. Das war schon immer so. Der 1. FC Köln feuerte Christoph Daum 1990, weil er dem eitlen Präsidium zu erfolgreich (!) und zu selbstbewusst wurde durch mehrere Europapokal-Teilnahmen und Vizemeisterschaften. Der legendäre Meistertrainer Udo Lattek ging auch mal voller Überzeugung zum Bayern-Präsidium mit der Forderung, man müsse etwas ändern. Die Antwort kam schnell: „Richtig, Herr Lattek, Sie werden entlassen.“

Lattek war auch ein Beispiel dafür, wie schnell Trainer bei Erfolgen überhöht werden. Im Fußball gibt es oft nur schwarz oder weiß, Grautöne sind uninteressant. Deshalb werden Trainer plötzlich die allergrößten, weil der Ball in einem Endspiel nicht an den Pfosten, sondern ins Tor ging. Reiner Calmund, langjähriger Fußballmanager, beschrieb diesen Heldenstatus mal so: „Der Udo Lattek hätte früher auch einen Haufen auf die Straße machen können, dann hätten die Leute noch geklatscht und sich gefreut, wie schön das dampft. Aber keiner hätte sich getraut, mal zu hinterfragen, warum der mitten auf die Straße macht.“

Einen solchen Status erreichen allerdings nur wenige Trainer. Die meisten werden entlassen, bevor sie Erfolg haben könnten.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)