"Ein vollständiger Hertie-Abriss würde die Fußgängerzone im östlichen Teil der Langen Straße vermutlich über mehrere Jahre hin mit einem Bauzaun verschandeln", sagt Murat Kalmis. Der Chef der FDP-Stadtratsfraktion macht gerade ein Fass auf. Kalmis schlägt in Sachen Innenstadtentwicklung einen Paradigmenwechsel vor. Im Dezember 2020 hatte die Stadt das viele Jahre leer stehende Warenhaus erworben. Inklusive der Kosten für einen Rückbau rechnete man mit einer Ausgabe in Höhe von insgesamt 6,9 Millionen Euro. Im April dieses Jahres waren die Delmenhorster am sogenannten Hertie-Tag zur Besichtigung des im Innenbereich bereits völlig entkernten Gebäudes eingeladen. "Unter den Besuchern waren auch Architekten und mögliche Investoren", sagt Kalmis. Aus solchen Fachkreisen sei man an seine Partei mit der Frage herangetreten, warum das Gebäude überhaupt abgerissen werden soll. Die vorhandene Bausubstanz sei verwertbar und für einen Um- und Ausbau geeignet.
Kalmis hat sich jetzt in einem Schreiben an Oberbürgermeisterin Petra Gerlach (CDU) gewandt. Zum Abriss der Hertie-Immobilie muss eine europaweite Ausschreibung vorgenommen werden. Ankündigungen eines Abrisses hatte es schon gegeben. Zuletzt auch die zumindest in der Nachbarschaft beruhigende Nachricht, dass beim Warenhaus-Abbruch wenigstens der Keller erhalten bleiben kann, ohne dass öffentliche Förderungen aus Städtebaumitteln von Bund und Land entfallen.
City-Point und Schuhhaus profitieren
Für Andreas Vogler von Kristensen-Invest war der ursprüngliche Plan, Hertie inklusive des Kellergeschosses dem Boden gleichzumachen, ein Risikofaktor für sein City-Point-Gebäude. Erst nach einer Abkehr startete er wieder die Mietersuche und will die Renovierung vorantreiben, "wir haben aktuell zwei bis drei Interessenten". Zu den neuen, von der FDP eingebrachten Überlegungen, ob nebenan völlig auf den Abriss verzichtet werden kann, stehe er "neutral", so Vogler auf Nachfrage unserer Redaktion. Die FDP erinnert im Schreiben ans Rathaus, dass die benachbarten Gebäude, der City-Point und das Schuhhaus Gerdes, durch den Abriss Schaden nehmen könnten. Für Murat Kalmis zählt zusätzlich das Tempo in der Innenstadt als Argument für die Abkehr von den Abrissplänen: Ein Gebäudeumbau auf dem 3000-Quadratmeter großen Areal, und dafür gebe es einen interessierten Investor, könnte bis Mitte 2025 abgeschlossen sein: "Die Fassade soll entfernt werden, ins Mauerwerk würden Fenster eingeschlitzt werden." Kalmis wünscht sich auf Höhe des ehemaligen Rolltreppen-Schachts einen Lichthof. Ein Dachcafé würde einen tollen Blick über Delmenhorst ermöglichen. Für die künftige Nutzung stellt er sich eine Mischung aus Wohnungen, Büros, Praxen und Gewerbeflächen vor. Kalmis kennt die Probleme des Rathauses und sagt, dass Voraussetzung dafür eine zügige Baugenehmigung wäre.
"Die Bürger wünschen sich, dass sich etwas bewegt." Kalmis sieht im schnelleren Umbau am ehemaligen Warenhausstandort eine schnellere Belebung der Innenstadt. Darüber hinaus zählen für ihn die Kostenersparnis und Einnahmen durch den Verkauf von Flächen als wesentliche Argumente. Selbstkritisch räumt er ein, dass es früher ein Fehler war, die Revitalisierungsversuche des Hertie-Hauses durch Werner Uhde nicht ausreichend unterstützt zu haben. Seinerzeit hatte die Ratspolitik den Bau eines Parkdecks im Bereich des Vorwerkes abgelehnt. Das wäre für die jetzt vorgelegte Umbauidee aber nicht mehr nötig.
Kalmis sieht die Stadt unter Handlungsdruck. Die derzeitige und vor allem die künftige Haushaltslage bringe ein Neudenken in der Hertie-Frage mit sich. Gerade angesichts der Erwartung, dass Hannover von der Stadt Konsolidierungsmaßnahmen verlangen könnte. Daher wünscht sich die FDP auch eine schnelle Beratung ihres neuen Vorschlages, "um die Antwort bei den zukünftigen Etatgesprächen berücksichtigen zu können".
Einen guten Vorschlag nennt der Bauexperte Lothar Andert die FDP-Idee. Für ihn sei jeder Umbauvorschlag an der markanten Stelle in der Fußgängerzone richtig, "ein Abriss ist das Schlimmste, was getan werden kann". Heute sei es aus Klimaschutzgründen auch wichtig, alte Bausubstanz nicht einfach zu vernichten. Für Andert, der viele Jahre in Delmenhorst für das Unternehmen Baubecon als Stadtsanierer tätig war, ist es aber auch entscheidend, dass ein Investor Erfahrung im Umbau mit gebrauchter Bausubstanz mitbringt.