Vom Friedrich-Ebert-Stadion in Hildesheim zum Düsternorter Stadion sind es rund 170 Kilometer. Diese mehr als zweistündige Fahrt hat der SV Atlas Delmenhorst inzwischen schon häufig zurückgelegt, und normalerweise herrschte dabei immer schlechte Laune im Mannschaftsbus. In sechs Auswärtsspielen in Hildesheim inklusive des Landespokalfinals 2024 verbuchten die Blau-Gelben fünf Niederlagen und ein Remis, doch am Sonntag endete die Negativserie. Erstmals siegte Atlas in Hildesheim (1:0), dementsprechend ausgelassen war die Stimmung während der Rückfahrt.
Das blau-gelbe Stimmungshoch ist sehr plötzlich gekommen. Vor zwei Wochen ließ sich in Bezug auf die Laune und den Tabellenplatz festhalten: ganz tief im Keller. Trainer Dominik Schmidt wurde freigestellt, Key Riebau kehrte zurück. Seitdem hat der Fußball-Oberligist drei Spiele innerhalb von acht Tagen bestritten und dabei drei Siege eingefahren. "Alle haben jetzt gerafft, worum es geht", sagt Sportvorstand Bastian Fuhrken. Es ist wie so häufig nach einem Trainerwechsel: Die Mannschaft spielt plötzlich befreit auf. Die genauen Gründe dafür seien schwer zu benennen, findet Fuhrken. Unter Schmidt sei schließlich nicht alles schlecht gewesen. Ein paar Dinge haben sich bei Atlas mit Riebau aber verändert.
Der Kopf
Neun sieglose Ligaspiele in Folge und der unerwartete Sturz ans Tabellenende sorgten beim SV Atlas für große Verunsicherung. Unerklärliche individuelle Fehler zogen sich durch die Partien und ließen Coach Schmidt verzweifeln. Die Mannschaft brauchte wieder Selbstvertrauen und das holt man sich im Fußball nur durch Erfolge.
Dass Atlas in Riebaus erstem Spiel auf die ebenfalls verunsicherte Mannschaft von Lupo Martini Wolfsburg traf, passte perfekt. Die Delmenhorster hatten durch den Impuls des Trainerwechsels einen Vorteil, während Lupo Martini sogar ganz ohne Chefcoach dastand. Michele Rizzi fehlte aus gesundheitlichen Gründen schon seit mehreren Wochen. Atlas gewann durch das 3:1 gegen die inzwischen auf den letzten Platz abgerutschten Wolfsburger nicht nur drei Punkte, sondern auch ganz viel Sicherheit. Das war der Grundstein für die folgenden 1:0-Siege bei der U23 von Eintracht Braunschweig und beim VfV 06 Hildesheim, die die blau-gelbe Brust nun noch weiter verbreitert haben.
Die Taktik
In der erfolgreichen Rückrunde der vergangenen Saison setzte Trainer Schmidt auf ein 4-2-3-1 als Grundordnung. Die schnellen Außenstürmer Ousman Touray und Shamsu Mansaray waren Fixpunkte des Offensivspiels. Im Sommer wechselten beide zur FSV Schöningen. Schmidt hielt danach an seiner bevorzugten Grundordnung fest und versuchte, andere Lösungen für die Außenbahnen zu finden. Letztlich waren Touray und Mansaray aber nicht zu ersetzen.
Riebau ließ in der Vergangenheit durchaus auch schon ein 4-2-3-1 spielen, zeigte sich nun aber flexibel. Er stellte das System auf ein 4-4-2 mit Raute um. Der Fokus im Atlas-Spiel liegt auf dem Zentrum und nicht mehr auf den Flügeln. Dadurch steht das Team kompakter. Riebau brachte Scout Benjamin Rabe mit nach Delmenhorst, und Fuhrken hält fest: "Benni ist ein sehr wichtiger Faktor. Key und er haben sich sehr viele Gedanken gemacht, haben den Kader genau unter die Lupe genommen und sich ein passendes System überlegt."
Bei einer Mittelfeldraute steht der defensive Mittelfeldakteur besonders in der Pflicht. Als einziger Sechser muss er viele Aufgaben im Spiel gegen den Ball und im eigenen Spielaufbau übernehmen. Diese Rolle übertrug Riebau dem erfahrenen Josip Tomic, der zuvor unter Schmidt zwischen Startelf und Bank gependelt war. "Josip ist nie der auffälligste Spieler, aber enorm wichtig für uns. Er füllt seine Rolle sehr gut aus, weiß immer genau, welche Wege er machen muss und welche nicht", lobt Fuhrken den Ex-Kapitän des BSV Rehden. Die linke Seite in der Mittelfeldraute bekleidet Mats Kaiser, der lange verletzt gefehlt hatte. "Sein Ausfall hat uns in der ersten Saisonphase geschwächt. Dadurch fehlte Dominik ein wichtiger Spieler", unterstreicht Fuhrken.
Fordernd ist ein 4-4-2 mit Raute auch für die Außenverteidiger, die ihre Seite alleine abdecken müssen. Linksverteidiger Ibrahim Temin kommt das als dominantem und laufstarkem Spieler sogar entgegen. Im anstehenden Heimspiel gegen den SV Wilhelmshaven (9. November, 14 Uhr) fehlt der Kapitän allerdings gelbgesperrt und hinterlässt eine große Lücke. Auf der rechten Bahn buhlen Nicolas Fenski und Linus Urban noch darum, wer die Ideallösung ist. "Die Systemumstellung hat der Mannschaft insgesamt gut getan. Klar ist aber auch: Zuallererst muss die richtige Einstellung vorhanden sein, sonst bringt alles andere nichts", betont Fuhrken.
Der Riebau-Faktor
Key Riebaus Bilanz mit dem SV Atlas in der Oberliga Niedersachsen ist beeindruckend. Nimmt man die 23 Oberliga-Partien während seiner ersten Amtszeit und die drei aktuellen Partien, kommt er auf eine Bilanz von 18 Siegen, sechs Unentschieden und nur zwei Niederlagen. 2020 schaffte er mit den Blau-Gelben als Vizemeister den Regionalliga-Aufstieg. Als Atlas dort tief im Abstiegskampf steckte, musste Riebau im März 2023 gehen.
Seitdem hat sich der Kader enorm verändert, sodass viele aktuelle Spieler den 34-Jährigen noch nicht kannten. "Key hat die Jungs gepackt", sagt Fuhrken und fügt hinzu: "Wenn er in einem funktionierenden Team arbeiten kann, ist er als Trainer am stärksten. Das ist bei uns der Fall. Wir kommunizieren viel, es ist ein sehr angenehmes Arbeiten." Riebau durfte Rabe mitbringen. Fuhrken und Co-Trainer Florian Urbainski kennt er aus seiner ersten Atlas-Zeit.
Neben der Systemumstellung fällt bei Riebau im Vergleich mit Vorgänger Schmidt vor allem auf, dass er während der Spiele aktiver an der Seitenlinie ist. Schmidt wurde seine ruhige Art des Coachens mehrfach vorgeworfen, er verwies darauf, dass er den Spielern auf dem Platz Freiraum lasse, aber vor und nach dem Spiel sowie in der Halbzeit nötige Hinweise gebe. Riebau ruft nun mehr hinein. "Jeder Trainer hat seine Art. Aktuell hilft es den Spielern, dass sie von außen immer mal Hinweise bekommen", sagt Fuhrken.
Dem Sportvorstand ist wichtig, zu betonen, dass unter Schmidt nicht alles falsch lief und dass unter Riebau jetzt auch nicht plötzlich alles von alleine funktioniert. Atlas kletterte zwar auf Rang zwölf, ist aber immer noch punktgleich mit dem ersten Abstiegsplatz. "Bei uns braucht niemand sofort nach oben zu gucken. Wir müssen weiterhin punkten, und das geht nur, wenn wir in den nächsten Spielen voll fokussiert sind", betont Fuhrken.