Thies Libchen wird neuer Trainer bei der HSG Delmenhorst. Er kennt den Verein gut, kam zur Saison 2017/18 zusammen mit Jörg Rademacher, auf den er nun folgt, zum Handball-Oberligisten. Aufgrund einer Handverletzung musste der Kreisläufer seine aktive Laufbahn 2020 beenden. Der 31-Jährige trainierte in der Folge die A-Junioren der HSG und führte diese bis zu den Qualifikationsspielen zur Junioren-Bundesliga. Zuletzt assistierte er Jörg Rademacher und machte seine Trainer-B-Lizenz, hier fehlt nur noch die Abschlussprüfung.
Es geht in diesen Tagen Schlag auf Schlag bei der HSG Delmenhorst: Zunächst drohte die Auflösung der Handballspielgemeinschaft, dann trat der langjährige Vorsitzende Jürgen Janßen zurück. Das "Team Zukunft" um Jens Hafemann übernahm die Moderation zwischen den Stammvereinen, die HSG wurde gerettet, ein Umbruch angekündigt. "Nach der Unruhe zuletzt soll auch ein Zeichen gesetzt werden, dass Delmenhorst eine Institution im Handball bleibt. Das Team Zukunft und ich haben die gleiche Philosophie. Wir haben eine gute Mannschaft und künftig soll mehr mit jungen Spielern gearbeitet werden. Ich denke, das kann ich ganz gut", sagt Libchen. Er selbst trainierte beispielsweise die Brüder Sam und Sohail Ramin, die in dieser Spielzeit bereits zu Einsätzen kommen. "Ich bin jung und ambitioniert und habe jetzt auch die Zeit, eine Traineraufgabe im Herrenbereich mit 100 Prozent anzugehen", fügt er hinzu.
Thies Libchen, ehemals Kohrt, ist 31 Jahre alt und von Beruf Gerichtsvollzieher. 1995 hat er mit dem Handball beim TV Grambke angefangen und dort nach der A-Jugend von 2008 bis 2010 erst in der zweiten Mannschaft und von 2010 bis 2017 in der 1. Herren in der Oberliga Nordsee gespielt. 2017 wechselte er zur HSG Delmenhorst und spielte dort bis 2020 unter Rademacher.
Mit dem Trainerjob hat er schon in jungen Jahren beim TV Grambke angefangen. Er coachte dort mehrere Jugendmannschaften und 2015 als Co-Trainer die 2. Herren. Bei der HSG Delmenhorst übernahm er im Herbst 2019 nach dem plötzlichen Tod von Volker Gallmann die A-Jugend. "Der Verein ist sich sicher, dass mit Thies die erfolgreiche Arbeit von Jörg Rademacher kontinuierlich fortgesetzt wird", teilt Jens Hafemann, kommissarischer Vorsitzender der HSG, mit.
Große Umstellung für alle
Kontinuität und Umbruch sollen Hand in Hand gehen. "Thies ist eine gute Wahl. Er bringt frischen Wind rein und steht für den Weg, den der Verein offenbar gehen will, junge Leute ins Team zu integrieren", meint Frederic Oetken. Der Spielmacher der HSG Delmenhorst stand von 2017 bis 2020 gemeinsam mit Libchen auf der Platte. "Es ist natürlich eine große Herausforderung und wird nicht einfach, Rade (Jörg Rademacher, Anmerkung der Redaktion) hinterlässt riesige Fußspuren", sagt Oetken. Das ist auch dem neuen Coach bewusst. "Rade hat hier super Arbeit gemacht. Die Fußstapfen sind groß, ein echtes Brett. Ich war aber jetzt auch schon Co-Trainer und die Jungs haben gemerkt, dass es Hand und Fuß hat, was ich mache", sagt Libchen. Oetken traut ihm den Chefposten zu. "Er ist fachlich echt gut. Natürlich muss er es sich jetzt erarbeiten, aber die Mannschaft gibt ihm sicherlich die Chance", blickt Oetken voraus.
Rademacher hinterlässt eine funktionierende Mannschaft. "Er hat eine Ära geprägt. Wir haben in den letzten Jahren den erfolgreichsten Handball seit langer Zeit in Delmenhorst gespielt und ein sehr hohes Level erreicht. Leider hatten wir viele Verletzungen", erzählt Oetken. Ob ohne dieses Pech und die Corona-Pandemie der Aufstieg in die dritte Liga geklappt hätte, bleibt eine offene Frage. "Wir hatten in den letzten beiden Jahren einen super Kader und hätten unter normalen Bedingungen eine sehr, sehr gute Rolle in der Oberliga gespielt", beschreibt der HSG-Spielmacher. Durch Corona lasse sich die Zeit nun kaum bewerten. "Wir haben uns unter Rade persönlich alle weiterentwickelt. Es war eine schöne Zeit. Für mich persönlich war er der beste Trainer, mit dem ich je zusammenarbeiten durfte", lobt Oetken.
Frischer Wind mit jungem Coach
Dennoch kann er die Entscheidung des Vereins, einen Umbruch einzuleiten, verstehen. "Erst mal ist es Sache des Vereins, zu sagen, welchen Weg er gehen will. Aber es führt kein Weg dran vorbei, die Mannschaft zu verjüngen", sagt Oetken. Die Leistungsträger Sönke Schröder im Tor, Lennart Witt, Jannik Köhler und Tim Coors im Rückraum sind über 30, Jörn Janßen, der sich zudem von einem Kreuzbandriss erholen muss, und Oetken selbst sind beziehungsweise werden in Kürze 30. "Ein Umbruch ist da nachvollziehbar", ordnet Oetken ein.
Dass Libchen im gleichen Alter wie ein großer Teil der Mannschaft ist und gemeinsam mit ihr auf der Platte stand, sieht Oetken nicht als Nachteil. "Es wird natürlich eine Umstellung für uns alle. Aber wir sind in den letzten Jahren sehr professionell geworden. Und auch im Profibereich sieht man immer mehr jüngere Trainer", meint das HSG-Urgestein, das schon seit der Jugend im Verein ist. Libchen sieht die gemeinsame Zeit als Spieler eher als Vorteil. "Ich kenne die Macken und Kanten der Spieler und die Kabinengespräche. Die Jungs kennen mich natürlich genauso, was auch ein kleiner Nachteil sein kann. Ich habe aber direkt klar gemacht, dass ich jetzt Trainer und nicht mehr Spieler bin. Die Positionen sind klar verteilt", berichtet der neue Coach. Durch die Rademacher-Zeit gibt es viele Automatismen, berichtet Oetken, daran lässt sich anknüpfen. "Am Anfang war es für uns alle schwer. Rade ist Profi durch und durch. Er verlangt sehr viel Bereitschaft, Disziplin und Aufmerksamkeit. Man muss auf seinen Körper achten. Das haben wir gezeigt und dadurch waren wir erfolgreich", meint Oetken.
Telefon läuft heiß
Es kann passieren, sagt der 29-Jährige, dass der kurzfristige Erfolg erst mal geringer wird. "Es braucht nach einem Umbruch ein oder zwei Jahre. Das ist dann eben so, das ist auch legitim. Gerade wenn man junge Spieler aus dem Nachwuchs einbauen will. Man braucht natürlich auch gestandene Oberligaspieler. Aber wir sind ein regionaler Verein, mit Nähe zu den Zuschauern und den Sponsoren", sagt Oetken. Sechs Spieler teuer zusammenkaufen aus verschiedenen Ecken, die keinen Bezug zur HSG haben, funktioniere auf Dauer nicht. Auch hier stößt Libchen ins gleiche Horn. "Gerade die Corona-Zeit hat noch mal gezeigt, dass man mit einem kleinen Kader keine Titel holen wird, weil Verletzungen dazukommen und Ausfälle nicht kompensiert werden können. Ziel ist es, jede Position mit je einem älteren und einem jüngeren Spieler zu besetzen und die Einsatzminuten mehr zu verteilen. Das schließt kurzfristigen Erfolg aber nicht aus ", kündigt der neue Trainer an.
Dieser Erfolg sei ebenso wichtig, wie junge Spieler einzubauen. Das eine schließe das andere auch nicht aus. Mittelfristig brauche ein Team jedoch Eigengewächse. "In der heutigen Zeit wechseln Spieler häufiger. Es ist daher wichtig, Leute dabei zu haben, die sich mit dem Verein identifizieren. Für den Verein ist es auch schöner, wenn Spieler aus der eigenen Jugend bei den Herren spielen. Und die Jugendspieler brauchen die Perspektive, es zu den Herren schaffen zu können", meint Libchen.
Die Kaderplanungen laufen derweil auf Hochtouren. "Mein Telefon läuft heiß", sagt Libchen. Er ist gerade im regionalen Bereich und mit Jugendspielern gut vernetzt, während Rademacher eher den Draht zu (semi)-professionellen Spielern hatte. Libchen hat eine Liste mit interessanten Spielern und setzt sich nun mit diesen in Kontakt, sagt er. Ebenso stehen die Gespräche mit den Akteuren des aktuellen Kaders an. Der Umbruch läuft.