Auf dem Spielfeld war es ein Schritt nach hinten. In der Karriere als Spielerin kann es vielleicht irgendwann zu einem Schritt nach vorn werden, schätzt Lina Hausicke. Weil sie gezwungen war und ist, sich so intensiv wie noch nie mit ihrem Körper und seiner Verfassung zu beschäftigen. Weil sie noch nie so lange kämpfen musste, um ihren Körper wieder leistungsfähig zu bekommen. So viele Stabilitäts- und Kraftübungen, so viel Geduld, so viel Achtsamkeit. "Ich glaube, dass ich vielleicht sogar stärker zurückkommen werde", sagt die Kapitänin von Werders Fußballerinnen.
Im März erlitt sie einen Kreuzbandriss. Im Karriereplan ist das natürlich nicht vorgesehen, um dadurch im besten Fall an Stärke zu gewinnen. Kreuzbandrisse sind eine Art Damoklesschwert im Sport. Früher bedeuteten sie meistens das Karriereende, heutzutage bedeuten sie monatelange Pausen mit unabsehbaren Risiken und Nebenwirkungen. Wie geht es bloß weiter mit dem Knie, mit dem Stammplatz, dem Vertrag, den Prämien? Kreuzbandrisse gelten im Fußball als sehr schwere Verletzung und kommen doch sehr häufig vor. Bei Frauen noch häufiger als bei Männern. Studien sagen, die Quote sei fünf- bis achtmal so hoch, sagt Hausicke. Sie weiß jetzt viel über das Thema. Wegen der weiblichen Anatomie und wegen des weiblichen Zyklus sei das so. In der jüngeren Vergangenheit hatte es bei Werder allein im A-Kader fünf Spielerinnen erwischt: Melina Kunkel, dann Reena Wichmann, dann Catalina Perez, dann Lina Hausicke, dann Sharon Beck. Alle in unterschiedlichen Situationen. Ein Muster: nicht erkennbar.
Als es bei ihr passierte, sagt Lina Hausicke, im Bundesliga-Spiel auf Platz 11 gegen Jena, wusste sie sofort, dass etwas Schlimmes passiert war. Sie war nach vorn, Richtung Jena-Tor, gelaufen und musste abbremsen. Umdrehen und zurücklaufen. Der erste Schritt fiel etwas zu lang aus. Sie hörte es knacken, dann lag sie auf dem Rasen. Noch während des Spiels kam sie in die Röhre, zum MRT beim Werder-Partner Paracelsus-Klinik im Weserstadion. Das Spiel lief immer noch, als sie an Krücken zurück zur Bank auf Platz 11 kam. Sie habe gar nichts sagen müssen, für die Nachricht von der Diagnose reichte ein Blick zu den Betreuern und Mitspielerinnen. Auf dem Handy seien schon 30 Nachrichten gewesen. Tenor: Oh je, das sah nicht gut aus!
Dass Lina Hausicke die niederschmetternde Nachricht besser und vor allem schneller verkraften konnte als zum Beispiel Sharon Beck, liegt an der Vorgeschichte beziehungsweise Vorbelastung ihres Knies. Schon im Oktober 2020 war das Band schwer beschädigt worden. Damals blieb das Gelenk aber stabil, es ging nach kurzer Zeit und ohne OP zurück auf den Fußballplatz. Sogar zurück zum Ausgleichssport Squash, der die Gelenke auch ganz schön beanspruchen kann. Sie habe gewusst, dass sie quasi mit einem Knie-Handicap unterwegs sei - und dass daraus wohl irgendwann ein Knie-Problem werden wird. "Es hat mich nicht aus dem Nichts getroffen", sagt die Mittelfeldspielerin. Im Grunde sei sie eher dankbar gewesen, dass das lädierte Knie mehr als drei Jahre lang durchgehalten habe.
Die ewig lange Rehaphase zerrte trotzdem am Gemüt. Der ganze Papierkram mit der AOK Thüringen, ihrer Krankenkasse, der Berufsgenossenschaft, den Kliniken oder die Behandlungen mit Eigenblutspritzen ins Knie waren dabei nur die eine Seite. In mentaler Hinsicht sei dieser abrupte Bruch im Alltag nicht leicht gewesen. Eben noch Leistungssportlerin, Führungsspielerin einer Bundesliga-Mannschaft, jetzt an Krücken. Keine Hände frei, immer mit Rucksack unterwegs, auf Hilfe angewiesen beim Autofahren, beim Essenmachen. Daheim in Thüringen kochte Mama für sie, Papa chauffierte sie zur Physiotherapie. Vor der Reha in Erfurt war sie im Hamburger UKE operiert worden. Zunächst gab es noch die kleine Hoffnung, dass die Knieheilung konservativ ablaufen könnte. Ein zweites MRT habe vier Wochen nach dem Unfall auf Platz 11 aber ergeben: Nicht nur das Kreuzband ist gerissen. Der Meniskus ist komplett zerfetzt.
Den weitgehend hilflosen Wochen auf Krücken folgten die kleinen und großen Etappenziele. Ohne Krücken gehen, das erste Mal joggen, für zwei Minuten. Seit Juli läuft ihr Reha-Programm wieder in Bremen, seit August zieht sie auch wieder Fußballschuhe an. In zwei, drei Wochen will Lina Hausicke wieder erste Trainingseinheiten mit der Mannschaft bestreiten. Vielleicht klappt es noch vor Weihnachten mit einem ersten Kurzeinsatz, sagt sie. Am 7. und 14. Dezember gibt es noch Bundesliga-Spiele. Lina Hausicke hat noch etwas vor beim SV Werder, dem sie schon seit sieben Jahren angehört. Sie wird Ende des Jahres 27 – das gilt als bestes Fußballalter. Zusätzlich läuft für die Sport/Geo-Lehrerin mit gemachtem Bachelor- und geplantem Master-Abschluss seit August 2023 ein Trainee-Programm in ihrem Verein. Erst Medien-, dann Marketingabteilung – seit August lernt sie die Scoutingabteilung der Profis kennen. Auch eine Station in einem Trainerteam ist geplant.
Was daraus wird, ob und und wie sie ins grün-weiße Management einsteigt, weiß sie nicht. Was sie wisse, sagt sie, ist, dass sie diesen Moment der Verletzung nie vergessen werde. Er hat so viel verändert. Die Zeit danach habe Kraft gekostet – und Kraft gegeben. Lina Hausicke sagt: "Ich weiß, was ich der Mannschaft noch geben kann."
Sharon Beck: "Da war erst mal komplette Leere"
Ja, sagt Sharon Beck, auch diese Gedanken hätten sich eingeschlichen: Wird das jemals wieder was? Es wurde und wurde nicht besser, andauernd diese Knieschmerzen. Schon Monate her der Kreuzbandriss und die Operation danach. Und trotzdem so wenig Fortschritt. Es hatte sich ein sogenannter Zyklop gebildet, eine kugelförmige Vernarbung, durch die schmerzhafte Reibung entstand. Zyklop im Sportlerknie, das ist gar nicht gut. Die erfahrene Bundesliga-Spielerin, 29 Jahre alt und noch nie über längere Zeit verletzt, musste ein zweites Mal operiert werden.
Sie fühlte sich "komplett hintendran", sagt sie. Erst seit Kurzem, rund ein halbes Jahr nach dem Kreuzband-Unglück, gehe es aufwärts und gehen die Schmerzen ganz langsam weg. In der vergangenen Woche trat sie erstmals wieder gegen einen Ball. Ein Ziel wird greifbar: Im Januar, wenn Werder die Weihnachtspause beendet hat, will sie endlich in Bremen beginnen, Anfang Februar vielleicht ins Teamtraining einsteigen.
Endlich in Bremen – das gehört bei der Kreuzband-Geschichte von Sharon Beck unbedingt dazu. Die Führungsspielerin des 1. FC Köln hatte Ende April einen Vertrag in Bremen unterschrieben. Nicht ohne Stolz verkündete Werder die Verpflichtung einer Spielerin mit Erfahrung und Führungsqualitäten. Wenige Tage später musste Beck den Werder-Trainer Thomas Horsch und die Bremer Managerin Birte Brüggemann anrufen, um vom fatalen Trainingsunfall in Köln zu berichten. "Das war superschwer und hat mir so leidgetan. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte", erzählt sie.

Kurz nach der Vertragsunterschrift in Bremen musste sie den Bremern berichten, dass sie in Köln einen schlimmen Trainingsunfall hatte: Sharon Beck.
Superschwer blieb es für sie auch in den Wochen danach. Sie war bei einer Übungseinheit in Köln beim Passversuch mit der Fußspitze im Boden hängengeblieben. Sie kann die Situation noch ganz genau schildern. "Der Moment hat sich für immer eingebrannt ins Gedächtnis", sagt sie. Sie wisse auch noch, wie sie zehn Minuten zuvor zum Trainer gesagt habe, dass sie müde sei. Und nun habe sie sofort gewusst, dass etwas Schlimmes passiert ist. Das MRT begrub die Hoffnung, dass es "nur" das Innenband gewesen ist. Das Kreuzband sei zerfetzt gewesen, auch eine Knorpelschädigung sei festgestellt worden. "Das war ein Schock. Nach der Diagnose war da erst mal komplette Leere", sagt sie. Es sei ihr extrem schwergefallen, zu verstehen, was passiert ist und was daraus folgt.
OP in Straubing, Reha in Frankfurt, und ständig dieses Auf und Ab im Genesungsprozess. "Man wird unzufrieden. Ich bin mental richtig in ein Loch gefallen, weil es einfach nicht voranging", sagt Sharon Beck. Doch sie hatte Glück im Unglück: Sie bekam Zuspruch und Unterstützung. Mit Thomas Horsch und Birte Brüggemann sei sie permanent im Austausch, Freunde und Familie hätten ihr daheim Halt und Hilfe gegeben. Und dass ihr Hund da war, eine französische Bulldogge, das habe ihr auch gutgetan. Sie kreuzte sich die Termine mit den Werder-Spielen im Kalender an, und als Werder neulich an ihrem Reha-Ort Frankfurt spielte, fuhr sie zum Stadion. "Es kommt Licht ins Dunkel", sagt sie und meint damit quasi zweierlei: die Fortschritte im Kopf und die Fortschritte im Knie. Die Wird's-jemals-wieder-was-Gedanken seien nicht mehr präsent. Eher schon Gedanken wie diese: Man lerne bei so einer schwerwiegenden Verletzung seinen Körper noch einmal ganz anders kennen, sagt sie. Und: "Vielleicht kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem ich sage: Ich bin so fit wie noch nie!"