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Werder-Kolumne Werders neue Realität: Raus aus der Komfort-Zone

Werder muss sparen und aufsteigen, da passt es gut, dass die Spieler den Sparkurs auch auf den Auswärtsreisen spüren. Eine kleine Extramotivation, erklärt Jean-Julien Beer und erinnert an fette Rechnungen...
24.01.2022, 15:43 Uhr
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Werders neue Realität: Raus aus der Komfort-Zone
Von Jean-Julien Beer

Ein paar Monate noch, dann feiert die teuerste Hotelrechnung in der Geschichte des SV Werder einen runden Geburtstag: 30 Jahre ist es im Mai her, dass Manager Willi Lemke mit der Kreditkarte des Vereins einen Betrag von 40.000 Mark bezahlte. Auf dem Dokument vom 7. Mai 1992 waren nicht nur die Hotelübernachtungen der Bremer im schönen Lissabon aufgeführt, sondern auch die stummen Zeugen eine feuchtfröhlichen Nacht.

Am Abend zuvor hatte die Mannschaft von Otto Rehhagel den Europapokal der Pokalsieger gewonnen, durch einen 2:0-Sieg gegen AS Monaco im Estadio da Luz. Bei Lichte betrachtet waren die Stunden danach offensichtlich spektakulärer als die 90 Minuten auf dem Rasen: Allein die kubanischen Zigarren machten 800 Mark aus, das Siegerbuffet war so mediterran wie reichhaltig – und vor allem standen fast 100 Flaschen spanischer Sekt auf der Rechnung. Letzteres war noch ein Glücksfall für die Vereinskasse: Rein vorsorglich hatte der gewiefte Lemke vor der Siegesfeier veranlasst, dass auf keinen Fall der noch teurere Champagner in die Nähe der Partygäste gelangen konnte.

Nach dem Schock über den Rechnungsbetrag wollte Lemke noch vor Ort eine Belegprüfung machen, verwarf die Idee aber schnell wieder: Auch ihm hämmerte der Kopf nach einer glückstrunkenen Nacht, außerdem war Werders Kreditwürdigkeit als Europapokalsieger und deutscher Spitzenklub über jeden Zweifel erhaben. Zu solch einem historischen Erfolg, das sah auch Lemke ein, gehört halt auch eine solche Zeche.

Drei Jahrzehnte später fallen die Rechnungen bei Werder kleiner aus. Weil die Profifußballer der Grün-Weißen schon lange keine Titel mehr feiern - und weil die wirtschaftliche Realität nach dem Abstieg zu Einsparungen bei den Reisen der Mannschaft führte. Siege wie zuletzt in Paderborn sind für Werder doppelt schön, für die Tabelle und für die Vereinskasse: Die Anreise erfolgte am Freitag mit dem Bus, die Nacht vor dem Spiel wurde in einem kostenbewusst ausgesuchten Hotel verbracht.

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Schon seit Saisonbeginn fährt Geschäftsführer Klaus Filbry auch bei den Reisen der Mannschaft einen erkennbaren Sparkurs, sehr zum Leidwesen einiger im Profifußball etablierter und seit Jahren entsprechend verwöhnter Spieler, wie man sich im Verein erzählt. Ex-Trainer Markus Anfang versuchte zwar früh, etwas mehr Entgegenkommen für seine Mannschaft herauszuholen. Doch da war nicht viel zu machen. Denn Werder ist in der Pflicht, an vielen Stellen zu sparen. Die zweite Liga muss auch wehtun – diesen Satz hört man bei Werder öfter, wenn es um Kürzungen im Umfeld der Mannschaft geht. Die Hotelkategorien haben sich normalisiert. Und selbst bei weiten Auswärtsreisen muss es nicht zwingend ein Flug sein. Wann immer möglich und wirtschaftlich sinnvoll, greift auch ein Mix aus Bus, Bahn und Flieger. Manchmal geht es schneller zum Spielort, aber langsamer und günstiger zurück.

Mit der Pandemie und den dadurch fehlenden Einnahmen hat das nicht direkt etwas zu tun, durch den Abstieg ist generell weniger Geld in der Kasse. Das sollen die Spieler auch spüren, als kleine Extra-Motivation quasi, denn erst nach einem Aufstieg könnte Werder wieder an erstklassigen Komfort denken. Beim Großteil der Fans trifft der Verein mit dem bescheideneren Auftreten einen Nerv. Wie sensibel das Thema ist, zeigte sich zu Beginn der Pandemie: Als die Bundesliga stillstand und die Fans gebeten wurden, ihre Vereine durch den Kauf von Fanartikeln zu unterstützen – da bezog Werder sein Quarantäne-Quartier im Mai 2020 ausgerechnet im luxuriösen Parkhotel im Bürgerpark. Die Emotionen kochten bei vielen Leuten in Bremen hoch. Die Vereinsführung erklärte die Sache damit, dass Werder als langjähriger Stammkunde günstige Sonderkonditionen erhalte.

Aber auch das Pakthotel sieht den Zweitligisten nun seltener. Schon zu Markus Anfangs Zeiten übernachteten die Spieler vor den Heimspielen bei sich zu Hause, nur bei Abendspielen ging es tagsüber ins Hotel. Bei Ole Werner läuft das auch so. Nach fünf Siegen in Folge kann man der Mannschaft attestieren, dass sie sich mit den Begebenheiten arrangiert hat. Die Lust auf Komfort ist aber auch eine Typfrage: Bei Spielern wie Niclas Füllkrug oder Marvin Ducksch kann man davon ausgehen, dass sie für ein Tor im nächsten Spiel auch auf einer Luftmatratze schlafen würden. Dafür würden sie sich nach dem Aufstieg aber wohl auch kubanische Zigarren gönnen…

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