Eine Dame, die am Sonnabend am Weserstadion spazieren ging, wollte nach dem Schlusspfiff nicht wissen, wie Werder gespielt hat. Sie ging mit einer anderen Frage auf die wenigen Leute zu, die das Stadion nach Spielende verließen. „Sind da etwas Zuschauer drin?“ Als das verneint wurde, war ihr die Erleichterung anzumerken. Und sie sagte: „Wenigstens das!“

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Diese Szene beschreibt gut die Stimmung, die Werder und viele andere Vereine zum Start des Fußballjahres 2022 begleitet. Die Emotionen kochen wieder hoch in dieser Pandemie. So, wie es immer passiert, wenn die Leute das Gefühl haben, für die Millionäre auf dem Rasen würden andere Rechte gelten als für die normalen Bürger. Keine Frage: Der Profifußball hat einiges dafür getan, in diesen für die Gesellschaft so schwierigen Zeiten als privilegiert und abgehoben wahrgenommen zu werden. Spätesten seit dem Impfpass-Skandal um Trainer Markus Anfang zeigen viele Finger dabei auch auf Werder Bremen. Dennoch sind nicht alle Vorwürfe, die den Grün-Weißen zuletzt gemacht wurden, in ihrer ganzen Wucht auch gerechtfertigt.
„Labore am Limit“, das war zuletzt oft zu lesen über die Lage in Bremen, wo die vielen Infektionen auch viele PCR-Tests nach sich ziehen. Und dann testet Werder jeden Tag den kompletten Kader und enge Mitarbeiter? Die Aufregung darüber muss nicht sein: Schon früh in dieser Pandemie hat Sportchef Frank Baumann betont, man werde den Bürgern keine Testkapazitäten wegnehmen. Dieses Versprechen war damals auch bitter nötig, als der Millionenbetrieb Bundesliga plötzlich demütig sein wollte, aber noch keinerlei Erfahrung damit hatte, wie das geht.
Tests am eigenen PCR-Gerät
Inzwischen haben sie bei Werder sinnvoll gehandelt: Der Verein kaufte ein Gerät, um die PCR-Tests direkt im Stadion durchführen zu können und damit keine externen Labore zu belasten. Daran war indirekt der Rivale Hamburger SV beteiligt, oder besser: der neue HSV-Vorstand Thomas Wüstefeld. Über dessen Medizinunternehmen kam Werder an das Testgerät und ließ einige Mitarbeiter schulen, um vorschriftsmäßig damit umgehen zu können. Externe Kräfte mussten dafür nicht eingestellt werden.
Die Folge: Werder greift nur in Ausnahmefällen auf externe Labore zurück. Nur noch der eine negative PCR-Test, den auch jeder Fußballprofi zum Ende seiner häuslichen Isolation oder Quarantäne braucht, muss von einem solchen Labor bestätigt werden. Das war auch bei Niclas Füllkrug so, der nach seiner Infektion erst kurz vor dem Heimspiel gegen Düsseldorf freigetestet wurde, als letzter Spieler einer Gruppe zuvor positiv getesteter. Prompt schoss Füllkrug zwei Tore beim 3:0-Sieg gegen die Fortuna – noch nie lagen bei Werder Tore und Testungen so eng beieinander, mit allen Emotionen, die das mit sich bringt.
Dass die Spieler überhaupt vorzeitig die Isolation verlassen durften, sorgte ebenfalls für Unverständnis. Bei genauer Betrachtung wurde Werder hier aber nicht bevorzugt, es war den Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) folgend und damit angemessen: Eben weil Werder – auf eigene Kosten – täglich PCR-Tests durchführt und auch eine eigene medizinische Abteilung unterhält mit Ärzten, die jeden Tag für die Spieler zur Verfügung stehen, können vollständig geimpfte Spieler bei einem negativen PCR-Tests die Isolation vorzeitig beenden, wenn sie einen Krankheitsverlauf ohne Symptome hatten. So gibt es das RKI vor – und das Bremer Gesundheitsamt schaut bei Werder durchaus genau hin, sonst wäre Ex-Trainer Markus Anfang mit seinem gefälschten Impfpass nicht aufgeflogen.
Davon losgelöst ist aber auch Werder noch auf der Suche nach einem Werte-Kompass im Umgang mit der Pandemie. Aktuell sind die Bremer der einzige Profiverein in Deutschland, der wissentlich einen ungeimpften Trainer (Anfang) und einen ungeimpften Spieler (Weiser) verpflichtet hat, um sich dadurch nach dem Abstieg sportliche Vorteile zu verschaffen. Andere Vereine wie etwa Mainz 05 haben derlei für sich ausgeschlossen. Immerhin ist es ein gutes Zeichen, dass Werder im Bremer Stadtgebiet großflächig solche Botschaften plakatiert hat: „Impfen ist Teamgeist“ und „Boostern ist der beste Konter“. Besser spät, als nie, könnte man da denken. Werder hat bei diesem Thema eben viel gutzumachen.