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Werders Kaderplaner Jahns "Elemente wie Intensität und Tempo würden der Mannschaft noch guttun"

Seit diesem Sommer ist Johannes Jahns als Kaderplaner für Werder Bremen aktiv. Im Interview hat er nun über seine Transferpläne, Computerspiele und den Unterschied zwischen Werder und RB Salzburg gesprochen.
18.07.2023, 13:25 Uhr
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Von Daniel Cottäus

Früher stand er als Fan in der Ostkurve, heute ist er beim SV Werder Bremen der Mann für die Transfers: Johannes Jahns. Am 1. Juli hat der Kaderplaner seine Arbeit beim Bundesligisten offiziell aufgenommen – und in Naby Keita direkt den Königstransfer des Sommers mitgebracht. Für unserer Deichstube hat sich Jahns (41) Zeit für ein ausführliches Gespräch genommen und spannende Einblicke in seine Arbeit gewährt. Es ging dabei unter anderem um seine Pläne mit Werder, Managerspiele am Computer und Weltklasse-Stürmer Erling Haaland.

Herr Jahns, ganz simple Frage zum Einstieg: Wie viele Telefonnummern haben Sie in Ihrem Handy gespeichert?

Johannes Jahns: (lacht) Es müssten so knapp 2000 sein, aber Moment, ich schaue einfach mal nach. So, wo haben wir es denn? Ah, hier! So schlecht lag ich gar nicht, es sind gut 1500.

Gibt es während der Transferphase auch Tage, an denen Ihr Handy mal, sagen wir, für eine Stunde lang nicht klingelt?

Nein, diese Tage gibt es nicht. Die Zeit gerade ist schon enorm intensiv, ich bin sehr, sehr viel am Telefon. Daran bin ich aber auch mitschuldig, denn ich rufe selbst auch ständig andere Personen an. Wenn ich mal Zeit mit meinen Kindern habe, versuche ich aber schon, das Handy kurz wegzulegen. Und nachts mache ich den Ton aus, sonst wirst du irgendwann wahnsinnig.

Offiziell tragen Sie den Titel „Leiter Scouting, Kaderplanung und Transfers/Head of Recruiting“, was ziemlich sperrig klingt. Wie stellen Sie sich selbst vor?

Am einfachsten lassen sich meine Aufgaben wohl unter dem Begriff Kaderplaner zusammenfassen. Dazu gehört im weiteren Sinne auch das Scouting. Im nächsten Schritt geht es in die Umsetzungsphase. Es müssen die Spieler, deren Berater und die Vereine, für die sie momentan spielen, kontaktiert werden. Dabei geht es viel um Überzeugungsarbeit und das Aufzeigen von Wegen. Funktioniert das alles, schließen sich Verhandlungen an, die ich auch begleite. Unter das Schlagwort Kaderplanung fällt bei uns zudem der Blick auf die eigene Mannschaft, auf Vertragslaufzeiten und die Entwicklung von Spielern. Das alles mache ich logischerweise nicht alleine, im Verein arbeiten sehr viele Personen an diesen Themen mit. Dass dieses Zusammenspiel funktioniert, ist ganz entscheidend.

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Beim Transfer von Naby Keita war das offensichtlich der Fall. Da Sie den Spieler schon aus gemeinsamen Zeiten in Salzburg kennen, haben viele Beobachter den Schluss gezogen, dass seine Verpflichtung in der Hauptsache auf Ihr Konto geht.

In meinem Vertrag steht drin, dass ich bei Dienstantritt einen Spieler mitbringen musste (lacht). Nein, im Ernst. Bei Naby hat einfach sehr viel richtig gut zusammengepasst. Seine Verpflichtung war tolles Teamwork. Als er kam, war es faktisch mein erster Arbeitstag hier im Büro, auch wenn ich vorher natürlich schon mit Frank Baumann (Werders Sportchef, Anm. d. Red.) und Clemens Fritz (Werders Leiter Profifußball, Anm. d. Red.) im Austausch war. Es hat mich gefreut, zu sehen, wie überzeugend Werder als Verein sein kann. Über den eigenen Anteil an so einem Transfer zu sprechen, finde ich immer unangenehm. Ich habe eben meinen Teil dazu beigetragen, aber das sollte in meinem Job bei jedem Transfer so sein. Und unsere gemeinsame Geschichte war sicherlich kein Nachteil.

Wann war Ihnen klar: Den kriegen wir wirklich!

Das erste informelle Gespräch gab es schon vor mehreren Monaten. Wenn so ein Spieler ablösefrei wird, versucht man natürlich, sich Infos einzuholen. Zu Beginn habe ich ehrlich gesagt auch nicht dran geglaubt, dass es etwas werden kann. Irgendwann bahnt es sich dann langsam an, man führt etliche Gespräche. An einem Freitag haben wir den Transfer schließlich vermeldet, und ich muss zugeben: Am Mittwoch habe ich noch gedacht, wir schaffen es leider nicht, erst am Donnerstag habe ich dann dran geglaubt.

Und am Freitag gab es eine dicke Zigarre als Belohnung?

(lacht) Nein, das nicht. Ich habe für solche Momente tatsächlich kein Ritual. Das sollte ich mir vielleicht mal angewöhnen.

Nun fällt Keita erstmal wochenlang verletzt aus. Wie bitter ist das für Werder?

Es war uns klar, dass es bei Naby darum gehen wird, dass er wieder seinen Rhythmus findet. Daher ist es natürlich besonders bitter für ihn, aber auch für die Mannschaft, dass er direkt ausfällt. Wir werden jetzt alles dafür tun, dass er schnellstmöglich gesund wird und regelmäßig ins Spielen kommt.

Im Vergleich zu vielen Ihrer Kollegen haben Sie einen ungewöhnlichen Weg in die Fußballbranche gefunden, nämlich einen akademischen über ein Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Wie lief das ab?

Ich habe in Bochum studiert und parallel in einer Unternehmensberatung gearbeitet. Fußball habe ich in meiner Freizeit immer gespielt, das Interesse war also da. Meine Masterarbeit habe ich zum Thema „Das Transferwesen im globalen Profifußball“ geschrieben. Ein Schwerpunkt lag darauf, mit welchen Schwierigkeiten ausländische Profis konfrontiert werden, wenn sie in die Bundesliga kommen. Ich habe versucht, Lösungswege für dieses Problem anzubieten. Dafür habe ich viele Interviews geführt und Kontakte geknüpft, unter anderem zu RB Salzburg. Der damalige Akademiedirektor Ernst Tanner hat mir irgendwann angeboten, mein Programm im Verein in die Tat umzusetzen.

In Salzburg konnten Sie unter ganz anderen finanziellen Möglichkeiten arbeiten als jetzt in Bremen. Vielleicht wäre in der RB-Welt für Sie eines Tages auch der Schritt nach Leipzig drin gewesen. Ist der Wechsel zu Werder aus dieser Perspektive nicht ein Rückschritt?

Also ich bin jetzt sehr gerne bei Werder Bremen und möchte auch nirgendwo anders sein. Die Entscheidung habe ich ganz bewusst getroffen, da ist nichts aus Versehen passiert. Ich sehe Werder überhaupt nicht als Rückschritt. Für mich war es die attraktivste aller möglichen Optionen. Dabei geht es nicht immer nur um das Budget oder den aktuellen sportlichen Erfolg, sondern auch um Werte, für die ein Verein steht und um Menschen, die für den Verein arbeiten. Ich bin sehr glücklich, bei Werder zu sein.

Viele Fans, auch in Bremen, stehen den Klubs des Red-Bull-Konzerns extrem kritisch gegenüber, weil sie in ihnen die Kommerzialisierung des Sports auf die Spitze getrieben sehen. Was sagen Sie zu dieser Sichtweise?

(überlegt lange) Für mich war Salzburg der perfekte Verein im perfekten Moment. Ich durfte mich dort zehn Jahre lang auf einem richtig guten Niveau entwickeln und konnte mir ein Netzwerk aufbauen. Dafür bin ich unheimlich dankbar. Ich bin jetzt aber auch froh, in Bremen zu sein. Wie gesagt: Es ist ein bewusster Schritt gewesen.

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Als gebürtiger Bremer standen Sie früher als Fan in der Ostkurve. Welche Rolle hat Werder in der Familie Jahns gespielt?

Ich bin mit dem Verein aufgewachsen und groß geworden. Auch wenn es ziemlich kitschig klingt, aber ich kann wirklich sagen, dass ich früher in Werder-Bettwäsche geschlafen habe. Meine ganze Familie ist bis heute grün-weiß.

Hatten Sie früher einen Lieblingsspieler?

Spontan fallen mir zwei ein: Andi Herzog und Johan Micoud. Ach ja, und Frank Baumann und Clemens Fritz natürlich auch (lacht).

Wenn Fußball Ihre Jugend so sehr geprägt hat, haben Sie doch bestimmt auch Managerspiele am Computer gezockt, oder?

Ja, ich gebe es zu. Ich habe alles gespielt: Bundesliga-Manager Professional, Bundesliga-Manager Hattrick und natürlich Anstoß 2 und 3. Für mich ist Anstoß 3 das beste Spiel aller Zeiten. Ich weiß noch, da gab es immer nicht die richtigen Daten und Namen. Ich habe alleine zwei Wochen damit zugebracht, die komplette Bundesliga zu editieren. In Salzburg hatte ich irgendwann mal wieder richtig Lust auf so ein Spiel und habe mir ein aktuelles besorgt. Die sind mittlerweile echt komplex geworden. Eines Abends kam dann meine Frau ins Arbeitszimmer, als ich gerade so richtig ins Spiel vertieft war und hat mich gefragt, ob ich eigentlich komplett irre bin: „Du bist elf Stunden lang im Büro und beschäftigst dich beruflich mit dem Thema – und dann kommst du nach Hause und spielst direkt weiter!?“ Da hatte sie einen Punkt.

Vielleicht hat ja auch das dazu beigetragen, dass Werders Ex-Kaderplaner Tim Steidten, der heute für West Ham United arbeitet, Sie kürzlich einen der besten Kaderplaner Europas genannt hat.

Wow! Dafür muss ich mich bei Gelegenheit bei ihm bedanken. Beim Tim gehört sicherlich auch ein bisschen Understatement dazu, wenn er so etwas sagt, denn er genießt einen super Namen in der Branche. Ich kann das Lob also nur zurückgeben.

Haben Sie eigentlich einen Lieblingstransfer?

Puh, schwierig. Erling Haaland war natürlich Wahnsinn (Jahns war 2019 am Wechsel des Norwegers von Molde FK nach Salzburg beteiligt, Anm. d. Red.). Es ist spannend zu sehen, was aus einer Idee und Potenzial werden kann. Bei seinem Werdegang kann man sich ja bis heute nur die Augen reiben. Ein besonderer Transfer war für mich beispielsweise auch Amadou Haidara (heute RB Leipzig, Anm. d. Red.), den wir mit 18 Jahren aus Afrika nach Salzburg geholt haben. Das war ein langer und akribisch vorbereiteter Prozess, der komplett aufging. Zudem ist er ein ganz toller Mensch. Es gibt unerwartete Gelegenheiten, so wie jetzt bei Naby Keita. Und es gibt Transfers, die sich aus konzeptionellen Strukturen heraus verwirklichen lassen. Die machen mich noch etwas glücklicher, weil sie zeigen, dass im Vorfeld gute Arbeit geleistet wurde.

Das aktuelle Transferfenster ist noch bis zum 1. September, 18 Uhr, geöffnet. Wie sehr wird sich Werders Kader bis dahin noch verändern?

So ganz genau weiß ich das auch noch nicht. Natürlich haben wir einen Plan, aber der besteht auch viel aus Szenarien. Wir versuchen, auf alles vorbereitet zu sein. Stand jetzt haben wir die Mannschaft größtenteils zusammengehalten, die im ersten Jahr nach dem Aufstieg in der Bundesliga gut funktioniert hat. Das Gerüst steht also bereits. Zusätzlich haben wir mit Dawid Kownacki und Naby Keita schon neue Qualität dazubekommen. Auch Spieler, die von ihrer Leihe zurückkehren, haben es gut gemacht, und auch andere jüngere Spieler können die Vorbereitung nutzen, um sich zu empfehlen.

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Wonach suchen Sie noch?

Uns geht es derzeit vorrangig um gewisse Attribute, die fast noch wichtiger sind als die Position. Elemente wie Intensität und Tempo würden der Mannschaft noch guttun.

Und wie sehr beeinflusst die nach wie vor offene Zukunft von Niclas Füllkrug Ihre Arbeit?

Erstmal bin ich froh, dass er da ist, denn das ist leicht zu planen, dann muss ich mir keine Gedanken machen. Natürlich ist er sportlich ein extrem wichtiger Mann für uns, der unser Spiel prägt. Wenn er nicht mehr bei uns wäre, hätten wir eine Challenge vor uns. Aber auch wären wir auf dieses Szenario vorbereitet.

Letzte Frage: Herr Jahns, was machen Sie am 1. September um 18.01 Uhr?

Ich werde definitiv ganz tief durchatmen und hoffentlich zufrieden auf die letzten Wochen zurückblicken. Das wäre gut.

Das Gespräch führte Daniel Cottäus.

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