Inzwischen ist es zur Gewohnheit geworden, dass der SV Werder Bremen Probleme damit hat, die allgemeinen Erwartungen zu erfüllen. Auch die seiner Fans und Mitglieder. In dieser Woche nun zeigte sich, dass die ständigen Schwierigkeiten und Rückschläge am Fußballstandort Bremen nicht zufällig geschehen oder mit Pech zu begründen wären. Mit der Präsentation seiner sieben Aufsichtsrats-Kandidaten für die Wahlen am 5. September bewies der Verein eindrucksvoll, dass der seit zwei Jahren eingeschlagene Weg des „Immer-weiter-so“ tatsächlich gewollt ist.
Kritische Köpfe wie Jörg Wontorra und fußballkompetente Kandidaten wie Benno Möhlmann schafften es nicht auf die Liste, sie wurden nach monatelangen Beratungen vom Wahlausschuss nicht zugelassen. Bei ihrer Versammlung haben die Werder-Mitglieder nur die Wahl zwischen größeren und kleineren Wirtschaftsexperten. Anständiger wäre es gewesen, wenn man nach dem selbst verschuldeten Abstieg nun den Mitgliedern die Entscheidung überlassen hätte, welche Aufsichtsräte künftig bei Werder die Lage kontrollieren.
So viel Demokratieverständnis und Mut zur Vielfalt hätte man bei einem Verein wie dem SV Werder für selbstverständlich erachten sollen, doch schon seit Wochen mehrten sich die Anzeichen, dass es anders kommt. Wiederholt war aus der Werderfamilie zu hören, dass eine Kandidatenliste entsteht, die der Vereinsführung nicht gefährlich werden kann. Wer das für Geschwätz hielt, der rieb sich nun verwundert die Augen. Nicht ein Kritiker der sportlichen Leitung steht zur Wahl. Und auch keiner, der sich im Fußballgeschäft auskennt. Dass keine Frau unter den sieben Kandidaten ist, zeigt zudem, wie gestrig Werder auch in dieser Frage unterwegs ist.
Nun ist nichts gegen wirtschaftliche Kompetenz im Aufsichtsrat einzuwenden. Schließlich befindet sich der Verein in der schlimmsten finanziellen Krise seiner Geschichte. Werder wird den Mitgliedern Verluste in hoher zweistelliger Millionenhöhe erklären. Es gibt also viel zu tun im finanziellen Sektor. Doch es waren sportliche Fehlentscheidungen, die Werder an den Abgrund führten – und erst dann kam Corona.
Die vielen falschen Einschätzungen im sportlichen Bereich hätte schon der scheidende Aufsichtsrat stoppen müssen. Im künftigen Gremium wird nun gar niemand sein, der sich den Ruf erworben hat, solche Zusammenhänge verstehen zu können. Ein gut vernetzter Top-Scout wäre für Werder inzwischen wohl wichtiger als ein sechster oder siebter Mann aus der Wirtschaft, der in einer Loge begeistert den grün-weißen Schal hochhält.
Richtig ist aber auch: Die Latte liegt tief für die neuen Aufsichtsräte, wer auch immer von ihnen am Ende für die vier freien Plätze gewählt wird. Denn die bisherigen Amtsinhaber konnten wenig von dem erfüllen, was sich Fans und Mitglieder wirtschaftlich von ihnen versprachen. Was hat ein Kurt Zech denn letztlich gebracht? Das Hauptproblem ist dabei, dass der professionelle Fußball anders funktioniert als die Wirtschaft und nicht mit Diagrammen planbar ist. Das mussten schon Multimillionäre und Milliardäre wie Martin Kind (Hannover) oder Clemens Tönnies (Schalke) erfahren. Ihre beruflichen Erfolgsmodelle scheiterten im Fußball wiederholt krachend.
Zu klären wäre auch noch, ob so ein Wahlausschuss mit Mitgliedern aus dem Ehrenrat und den Vereinssparten in dieser Form noch zeitgemäß ist für einen Verein, der im Jahr 2019 einen Umsatz von mehr als 157 Millionen Euro erwirtschaftete. Bei großen Unternehmen ist es in der Regel nicht so, dass der Ehrenpräsident der Betriebssportabteilung oder der langjährige Vorsitzende des Kantinenausschusses nach den besten Aufsichtsräten fahnden.
Für solche Fragen bleibt aber erst Luft, wenn Werder sportlich die Kurve bekommt. Seit zwei Jahren geht es steil bergab. Diese Entwicklung könnte für Werder schnell gefährlicher werden als die Folgen der Corona-Krise. Werder wieder wettbewerbsfähig zu machen, ist die drängendste Aufgabe für den neuen Aufsichtsrat. Wirtschaftlich – aber ganz schnell auch sportlich.