Eines ist sicher: Werder wird in diesem Monat Geschichte schreiben, auf schöne oder auf tragische Weise. Bleibt die Mannschaft in der Bundesliga, was angesichts der bisherigen Punktausbeute die wahrscheinlichste und auch verdiente Variante wäre, dann wird man noch lange die Geschichten dieser Saison erzählen. Von der Euphorie nach dem Aufstieg, als ganz Bremen glücklich war. Von den verrückten Spielen wie dem 3:2-Sieg in der Nachspielzeit in Dortmund oder dem 4:2-Sieg bei Hertha BSC, als 20.000 Werder-Fans in der Hauptstadt feierten. Von diesem Traumsturm mit Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch. Füllkrug stieg sogar zum Nationalstürmer auf und traf bei der Weltmeisterschaft. Und dann noch Mitchell Weiser, plötzlich einer der besten Vorlagengeber der Bundesliga. Was für eine Saison!

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Geht das noch schief, wird man ebenfalls noch lange davon erzählen. Wie Werder am Ende wieder hilflos abschmierte, so wie beim Abstieg 2021. Auch damals schien der Klassenerhalt längst gesichert. Und dann erwischte es Werder doch noch, weil die Spieler zu labil waren, um unter Druck im Saisonfinale zu punkten. So zog die Konkurrenz plötzlich noch vorbei.
Das Verrückte an der Werder-Saison, die wir gerade erleben, ist genau das: Alles ist noch denkbar, die schöne Geschichte und die schreckliche. Denn diese Mannschaft wirkt ein Jahr nach dem Aufstieg wie eine Wundertüte. Man weiß nie, was man bekommt. Die einen befürchten deshalb vorsichtshalber das Schlimmste, die anderen hoffen das Beste – genau diese gespaltene Stimmungslage hört man immer wieder rund ums Stadion.
Vor dem Spiel gegen die Bayern ist das extrem zu spüren. Im Hinspiel ging Werder mit 1:6 unter, und das war nicht mal die höchste Niederlage dieser Saison. Die gab es beim 1:7-Debakel in Köln, was ja auch so eine erstaunliche Geschichte war. Bei einem Mitkonkurrenten so unterzugehen, muss man erst einmal schaffen. Doch die gleiche Wundertütenmannschaft fegte Mönchengladbach mit 5:1 vom Rasen. Gegen die Bayern kann es nun ein bitteres Spiel werden oder ein rauschendes Fest. Die Münchner sind – trotz aller Krisen – halt gut besetzt. Mit etwas Pech geht das böse aus, unken die einen. Andere glauben: Wenn Füllkrug fit wird und Ducksch wieder früh trifft, dann könnte im Tollhaus Weserstadion was gehen gegen diese Bayern, die Konstanz in dieser Saison nur als eine Stadt am Bodensee kennen.
Vielleicht sollte man aber mal kurz innehalten, bevor es gegen die Bayern ein weiteres Kapitel zur Geschichte dieser Saison gibt. Die ständige Aufregung rund um Werder hilft ja nicht weiter, dieses Hyperventilieren je nach Ergebnis. Denn mal ehrlich: Gemessen an Werders Möglichkeiten ist das bisher eine gute Saison. Vier Spieltage vor Saisonende steht Bremen auf Platz 12, hat 35 Punkte und immerhin sieben Zähler Vorsprung auf den Relegationsplatz. Vor der Saison hätte man das sofort akzeptiert. Obendrein stellt Werder mit Füllkrug den besten Torschützen und mit Ole Werner den jüngsten Trainer. Einige Bundesligavereine würden im Moment gerne mit Werder tauschen. Nicht unbedingt die Bayern, das ist klar, wobei: Einen Toptorjäger wie Füllkrug hätten die Münchner schon auch gerne...
Die Chancen stehen weiterhin gut, dass Werder den Klassenerhalt schafft. Komplizierter könnte es danach werden: Das zweite Jahr nach einem Aufstieg gilt im Profifußball als schwierig – weil es schon oft passierte, dass ein Verein nach dem Aufstieg von einer großen Euphorie zum Klassenerhalt getragen wurde, danach aber wichtige Spieler nicht mehr halten konnte und prompt im nächsten Jahr erneut abstieg. Ob sich Werder wieder dauerhaft in der Bundesliga etablieren kann, wird man erst nach der nächsten Saison sagen können – wenn die Bremer Wundertüte nicht doch noch eine böse Überraschung für die aktuelle Saison bereithält.
Als letztes Kapitel zwei Siege gegen den HSV?
Gerecht wäre ein Abstieg diesmal jedenfalls nicht, schließlich hat Werder die Liga an vielen Spieltagen eher bereichert als mancher Konkurrent. Aber was ist im Profifußball gerecht? Auch beim letzten Abstieg gab es respektable Ergebnisse. Ein 1:1 in München zum Beispiel (und keine 1:6-Klatsche), immerhin der erste Punkt nach 22 Pflichtspielniederlagen gegen Bayern. Auch in Frankfurt, Freiburg und Leverkusen gelangen der Mannschaft von Florian Kohfeldt damals beeindruckende Unentschieden. Gereicht hat es am Ende trotzdem nicht.
Vielleicht steht Werder aber noch ein spezielles Schlusskapitel bevor: zwei Relegationsspiele gegen den HSV. Von diesen zwei Siegen würde man in Bremen bis in alle Ewigkeit erzählen. Vielleicht wäre das sogar die schönere Geschichte als der direkte Klassenerhalt. Aber bei dieser Wundertütensaison sollte Werder den Abstieg sicherheitshalber mal lieber vorher verhindern.