Er ist zurück. Wieder mittendrin in der Startelf. Doch das allein genügt Leonardo Bittencourt noch nicht. Wortgewaltig prescht er vor, ganz so, als wolle er das Vakuum an Führungsspielern beim SV Werder Bremen fast im Alleingang füllen. Im Vereins-TV poltert der 29-Jährige, als es um die Notwendigkeit von Leidenschaft und Intensität im Bremer Spiel geht: „Wer das nicht begriffen hat – das tut mir leid –, der ist bei uns falsch. Es ist doch klar, wie wir Spiele gewinnen müssen. Das geht nur auf diese Art und Weise.“ Beim 0:1 in Dortmund hatte es mit dem Gewinnen bekanntlich nicht geklappt, aber immerhin taugte der Auftritt als minimaler Hoffnungsträger, dass es künftig vielleicht doch wieder besser läuft. Nicht nur für Werder, sondern auch für Leonardo Bittencourt. Der war schließlich für einige Zeit ziemlich abgemeldet.
Der Mittelfeldspieler gehört nicht gerade zu den Leisetretern. Als Stimmungsmacher in der Kabine haben seine Äußerungen ebenso Gewicht wie Kritik. Zudem nimmt der gebürtige Leipziger als Teil des Mannschaftsrates automatisch eine prägende Rolle ein, fußballerisch beansprucht er diese für sich ohnehin. Doch genau daran hat es in den Vorwochen gehapert. Beim Saisonauftakt gegen die Bayern hatte Bittencourt zwar in der Startelf gestanden, die spätere Auswechslung gefiel ihm jedoch gar nicht. Noch an der Seitenlinie gab es ein Wortgefecht mit Coach Ole Werner, der seinen temperamentvollen Spieler in den Wochen danach auf die Bank verbannte und trotz ausbleibender guter Ergebnisse kaum noch berücksichtigte. Drei Kurzeinsätze gab es, dreimal blieb Bittencourt Zuschauer. Zwar gelang ihm ein Treffer als Joker gegen Mainz, der Torjubel fiel allerdings reichlich aggressiv und ohne ein Lächeln aus. Im Testspiel gegen St. Pauli (3:3) wurde Bittencourt dann mit einer teils überharten Zweikampfführung und allerlei Diskussionen mit dem Schiedsrichter auffällig. Nach großer Zufriedenheit sah all das nicht aus.
Doch genau diese Emotionalität brachte ihn jetzt womöglich wieder ins Spiel. Wie aus dem Nichts setzte Werner in Dortmund
wieder auf Bittencourt in der Anfangsformation - und der sammelte durch eine energische Zweikampfführung Pluspunkte. „Er hat ein gutes Spiel gemacht und eine gute Grundaggressivität gezeigt. Er war auf alle Fälle ein Aktivposten“, meint Clemens Fritz als Werders Leiter Profifußball im Gespräch mit der DeichStube. Bittencourt war als zweiter Sechser neben Jens Stage aufgeboten worden, was dem Bremer Spiel guttat. Ob dem Deutsch-Brasilianer jetzt langfristig ein Positionswechsel bevorsteht, ist offen. „Das war der Dortmunder Spielweise geschuldet, wir haben dort punktuell tiefer gestanden“, sagt Fritz und prognostiziert mit Blick auf die Bittencourt-Rolle auf dem Platz: „Das wird auch weiterhin vom jeweiligen Gegner abhängig sein.“
Für Bittencourt dürfte am wichtigsten sein, dass er überhaupt spielt. Und natürlich, dass sein Team in der Tabelle die Kurve bekommt. „Unabhängig vom Gegner sollten wir das, was wir dieses Mal auf dem Platz gelassen haben, immer auf dem Platz lassen“, forderte der 29-Jährige. „Das haben wir in den letzten Wochen ein Stück weit vermissen lassen, deswegen haben wir auch keine Punkte geholt. Wenn wir diese Leidenschaft Woche für Woche auf den Platz bringen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Punkte wieder da sind.“
Bittencourt mit markiger Ansage an die Kollegen
Was wie das versöhnliche Ende seiner klaren Wortmeldung klang, war nur die Überleitung zu einer letzten forschen Ansage an die Teamkollegen: „Wenn wir nur einen Schritt weniger machen als heute, dann sind wir selbst schuld und werden wieder nicht gewinnen. Es wird nur gehen, wenn wir unter der Woche hart arbeiten“, betonte Bittencourt. „Deswegen brauchen wir auch nicht viel zu reden, denn der Weg ist klar. Und wer Lust darauf hat, der ist herzlich eingeladen – und wer nicht, der soll die Hand heben und dann ist er raus.“ Sätze, die nahelegen, dass der Kreativspieler das eine oder andere Defizit in dieser Hinsicht ausgemacht hat.
Clemens Fritz stört der verbale Rundumschlag keineswegs. „Grundsätzlich ist es richtig, was er sagt, denn wir brauchen Leidenschaft und Intensität in unserem Spiel – und das haben wir gegen Dortmund auch gut gemacht. Wir haben kompakt agiert und uns gut unterstützt“, erklärt der 42-Jährige. „Das sind die Grundelemente, die du auf den Platz bringen musst, nicht nur im Spiel, sondern auch im Training, um dann auch Spiele zu gewinnen. Wir haben jetzt ein Heimspiel gegen Union Berlin vor der Brust, das wieder intensiv und vielleicht auch zerfahren sein könnte. Da müssen wir erneut all diese Dinge von Anfang an auf den Platz bringen.“
Dass auch der Gegner aus der Hauptstadt, der am Dienstag noch in der Champions League gegen den SSC Neapel im Einsatz ist, ein wenig kriselt, interessiert Fritz dabei überhaupt nicht. „Darauf sollten wir uns gar nicht verlassen, sondern uns einzig und allein auf uns und unsere Aufgaben konzentrieren“, betont der Ex-Profi. „Wir hatten zuletzt beispielsweise viele Umschaltmomente, in denen wir nicht gut genug agiert haben.“
Was wiederum auch für Bittencourt gilt, der etwa bei einem Konter nach 51 Minuten einen zu steilen Pass auf Angreifer Marvin Ducksch gespielt und die Chance auf Gefahr vor dem BVB-Tor somit vertan hatte. Kurz darauf meldete sich der Körper, für den 29-Jährigen war vorzeitig Schluss. Wieder einmal. Auswechslungen sind inzwischen mehr Regel denn Ausnahme geworden, allein in der Vorsaison wurde Bittencourt satte 18 Mal früher vom Feld geholt. Wenn es in die heiße Phase einer Partie geht, hat er meist schon Feierabend. Wie in Dortmund, als Werder vergeblich einen Weg zum Ausgleich suchte. Und somit zum sechsten Mal in dieser Saison verlor.
„Es ist halt ein Ergebnissport und wenn du am Ende nicht gewinnst, dann können wir uns nicht viel von der guten Leistung kaufen“, hatte Bittencourt frustriert am DAZN-Mikrofon erklärt. „Für uns ist es gut, zu wissen, dass wir es abrufen können – aber ich habe lieber Punkte, als irgendetwas abzurufen.“