Ein Aufsteiger ärgert den Favoriten mit leidenschaftlichem, wildem Offensivfußball: Vor ziemlich genau einem Jahr traf diese Formulierung häufig auf Werder Bremen zu. Die im Sommer 2022 aufgestiegenen Bremer überraschten die Bundesliga. Werders Spieler deckten ihre Gegenspieler eng, gaben auch nach Rückschlägen nicht auf - und ärgerten mit ihrem Fußball so manchen Gegner. Zu Werders Gastspiel in Heidenheim passt diese Analyse ebenfalls. Blöd nur für Werder: Sie waren nicht der Aufsteiger, sondern der Favorit. Heidenheim nutzte im direkten Duell so manches taktische Mittel, das die Bremer zum Klassenerhalt geführt hat.
Probleme mit Mannorientierungen
Ole Werner nahm nach dem 4:0-Erfolg über den FSV Mainz 05 nur eine personelle Änderung vor. Nick Woltemade startete für den angeschlagenen Marvin Ducksch. Werder begann das Spiel in der bewährten 5-3-2-Formation. Woltemade ließ sich als Stürmer etwas fallen, während David Kownacki in der vordersten Linie verharrte. Werners Taktik fußt auf wiedererkennbaren Mustern. Gegen den Ball verteidigt Werder nah am Mann. Nach Ballgewinnen suchen die Bremer den Weg über die Flügel. Der ballferne Außenspieler rückt bei diesen Angriffen häufig ins Zentrum, um am zweiten Pfosten eine Anspielmöglichkeit zu schaffen.
All diese Elemente sahen auch die Fans in der Heidenheimer Voith-Arena – allerdings auf Seiten der Gastgeber. Trainer Frank Schmidt stellte seine Elf in einem 4-2-3-1 auf, das allerdings nur auf dem Papier bestand. Heidenheim setzte voll auf Mannorientierungen: Sämtliche Akteure verfolgten ihren jeweiligen Gegenspieler eng. Auf dem ganzen Feld entstanden Eins-gegen-Eins-Duelle. Nach Ballgewinnen suchte Heidenheim den Weg über die Flügel. Jan-Niklas Beste erhielt auf links den Ball, während sich Werders Leihgabe Eren Dinkci am zweiten Pfosten anbot.
Werder beißt sich an der Manndeckung fest
Werder hatte seine liebe Mühe mit der Spielweise der Gastgeber. Dazu trug der frühe Heidenheimer Führungstreffer (5.) maßgeblich bei: Werder musste nach dem 0:1 das Spiel gestalten. Zur Halbzeit lag der Bremer Ballbesitzwert bei 60 Prozent. Werder gelang es aber nur selten, aus dem Ballbesitz zwingende Torchancen zu erspielen. Heidenheim störte den Spielaufbau empfindlich: Bereits die Bremer Innenverteidiger bekamen Druck von ihren jeweiligen Gegenspielern. Durch das Mittelfeld gab es praktisch kein Durchkommen. Auch auf den Flügeln verlor Werder viele Duelle. Die Hoffnung, über lange Bälle das mannorientierte Pressing auszuhebeln, erfüllte sich nicht: Vorne fehlte ein Stürmer, der diese hohen Zuspiele festmachen konnte.
Raumgewinn erzielte Werder fast ausschließlich über Woltemade. Obwohl der Bremer Jungstar fast zwei Meter misst, sind Kopfbälle nicht seine Stärke. Er überzeugt, wenn er mit dem Ball am Fuß in engen Räumen mehrere Gegenspieler auf sich zieht. Manchmal gelang es ihm, seinen direkten Bewacher abzuschütteln und damit eine Lücke in die gegnerische Defensive zu reißen. Allerdings fehlten seinen Pässen die Genauigkeit. Auch ging Kownacki zu selten auf seine Ideen ein. Werder konnte das Spiel zwar über den hohen Ballbesitz kontrollieren. Allerdings gab es auch immer wieder Situationen, in denen Heidenheim zu gefährlichen Kontern ansetzte. Sie knackten die Bremer Defensive mit recht einfachen Mitteln: Halbhohe Bälle in die Halbräume hinter Bremens Abwehr genügten, um die gesamte Defensive auszuhebeln. So schraubte Dinkci das Ergebnis vor der Pause auf 2:0 hoch (44.).
Werner reagiert clever
Wie wenig Werner der Auftritt seiner Mannschaft gefallen hatte, unterstrichen seine Wechsel: Bereits zur Pause tauschte er in Kownacki, Anthony Jung und Marco Friedl drei Akteure aus. Die Einwechslungen von Marvin Ducksch, Olivier Deman und Milos Veljkovic veränderten zwar die Formation der Bremer kaum. Sie verteidigten fortan in einem 4-4-2. Das war jedoch eher der Rolle Mitchell Weisers geschuldet. Der stets offensiv denkende Rechtsverteidiger agierte nun kompromisslos als rechter Außenstürmer.
Es waren viel eher die kleinen Details, die Werder nach der Pause zurück ins Spiel brachten. Werder schlug den Ball nicht mehr kopflos nach vorne, sondern spielte gezielte Chipbälle hinter die Außenverteidiger. Auch starteten Romano Schmid und Jens Stage vermehrt Läufe in die Tiefe, sobald Woltemade einen oder mehrere Verteidiger auf sich zog. Werder ließ sich zwar auch in dieser Phase Konter zu. Der Ausgleich zum 2:2 war dennoch verdient.
Nach dem Ausgleich überdrehen Werders Spieler
Nach dem Ausgleichstreffer machte Werder den Fehler, weiter kompromisslos nach vorne zu spielen. Durch die Auswechslung von Woltemade (65., es kam Raphael Borré) fehlte ein Spieler, der vorne die Bälle festmacht. Er hatte zuvor das Spiel beruhigt und seinen Mitspielern erlaubt, nachzurücken. Borré forderte ebenfalls Zuspiele, jagte den Ball aber direkt nach vorne – und verlor ihn schnell wieder. Werders Defensive war diesem offenen Schlagabtausch nicht gewachsen. Nachdem vor der Pause die linke Seite schwächelte, taten sich nun auf der rechten Seite Lücken auf. Beste bedankte sich: Er bereitete das 3:2 vor und erzielte das 4:2 selbst. Seinem Zusammenspiel mit Dinkci hatte Werder nichts entgegenzusetzen.
Bei Werder bleiben nach diesem Spiel zwei Probleme hängen. Offensiv fehlt den Stürmern jene Eingespieltheit, die das Duo Füllkrug-Ducksch einst auszeichnete. Dieses Problem war nach dem späten Abgang des Top-Torjägers zu erwarten. Sorgen machen sollte Werder die zweite Schwachstelle: Erneut fehlte es an der defensiven Seriosität. Das Mittelfeld konnte den aggressiven Eindruck aus dem Mainz-Spiel nicht bestätigen. Die Abwehrkette wiederum beging ihre fast schon traditionellen Fehler. Wie es besser geht, bewies der Gegner. Heidenheim ärgerte Werder mit einer Spielweise, die auch den Bremern gut zu Gesicht stünde.