Marco Friedl hatte bereits einige Minuten in der Interview-Zone des Weserstadions verbracht und den anwesenden Journalisten Rede und Antwort gestanden. Doch als die Frage nach den Gründen für die vielen Gegentore aufkam, musste der Kapitän des SV Werder Bremen erst einmal tief durchatmen, ehe er die richtigen Worte parat hatte. „Ich weiß nicht, wie oft mir diese Frage in den letzten Jahren schon gestellt wurde.“ Es ist und bleibt ein Thema, das die Bremer einfach nicht loslässt – erst recht nach der bitteren 2:4-Heimpleite gegen Borussia Mönchengladbach. Seit dem Wiederaufstieg 2022 kassierte Werder erst 64, dann 54 Gegentore. In dieser Saison sind es bereits 53 – und angesichts der verbleibenden acht Spiele dürfte diese Zahl weiter steigen.
„Das ist kein exklusives Problem von Werder Bremen, aber natürlich ein Thema, an dem wir hart arbeiten müssen“, sagte Werders Leiter Profifußball Peter Niemeyer über die anhaltende Gegentorflut. Dabei ist es nicht nur die reine Anzahl der Gegentreffer, die Verantwortliche und Fans frustriert, sondern auch deren Entstehung. „Es ist zu einfach, gegen uns Tore zu schießen, weil wir kurz abschalten und vielleicht nicht da sind. Das wird – egal, gegen welchen Gegner – knallhart bestraft“, brachte es Friedl auf den Punkt. Erneut brauchte der Gegner keinen außergewöhnlichen Tag, um gegen Werder vier Tore zu erzielen.
Ein Fakt, der besonders Trainer Ole Werner sichtlich ärgerte: „Wir haben im Heimspiel vier Gegentreffer bekommen, im Strafraum schlecht verteidigt – und trotzdem war es so, dass wir nicht die schlechtere Mannschaft waren, wenn man sich die Qualität der Torchancen anschaut.“ Dass es am Ende dennoch nicht reichte, führte Werner unter anderem auf die jeweils frühen Nackenschläge in beiden Halbzeiten zurück. „Der frühe Gegentreffer hat uns beschäftigt, wir haben lange nicht zu unserem Spiel gefunden“, sagte er über das Elfmetertor von Alassane Plea (7.). Niemeyer ergänzte: „Wir haben uns viel vorgenommen, doch dann bekommst du schnell das 0:1 – und alles, was du dir vorgenommen hast, ist plötzlich hinfällig.“
Doch warum reicht so häufig eine einzige Aktion aus, um Werder nicht nur komplett aus dem Tritt zu bringen, sondern auch jegliches angesammelte Selbstvertrauen zu rauben – obwohl eine Woche zuvor noch ein überzeugender 2:0-Sieg bei Bayer 04 Leverkusen gefeiert wurde? „Es ist insgesamt keine gute Phase für uns, und da brauchen wir positive Erlebnisse als Bestätigung, um unser Spiel mit mehr Überzeugung auf den Platz zu bringen“, erklärte Werner.
Fairerweise gab es gegen Gladbach genau diese positiven Momente – wenn auch erst nach gut einer halben Stunde. Werder spielte plötzlich mitreißenden Offensivfußball, störte die Gäste früh in deren eigener Hälfte und kam trotz eines zwischenzeitlichen 0:2-Rückstands nach Pleas Doppelpack noch vor der Pause durch einen sehenswerten Freistoßtreffer von Romano Schmid (39.) und André Silvas erstes Tor im Werder-Trikot (45.+1) zum Ausgleich. „Dann macht es ja auch Spaß auf dem Platz, wenn wir alle im Stadion mitnehmen und aufs 3:2 spielen – ohne hinten dumm alles aufzumachen“, sagte Schmid über die beste Werder-Phase des Spiels kurz vor der Halbzeit.
Allerdings hielt diese gute Phase nicht lange an – womit man wieder beim Hauptproblem angekommen ist: den viel zu einfachen Gegentoren. „Die erste Aktion des Gegners in der zweiten Hälfte ist gleich ein Gegentreffer, weil wir in der Tiefensicherung nicht aufmerksam sind. Das ist ein sehr einfaches Gegentor, wenn man ehrlich ist, das uns wieder ins Hintertreffen bringt“, monierte Werner. Während viele im Weserstadion vermutlich noch euphorisiert von der starken Schlussphase des ersten Durchgangs an eine Wende glaubten, schlug Plea nur zwei Minuten nach Wiederanpfiff erneut zu (47.) – der nächste Schockmoment. „Zu Beginn beider Halbzeiten sind wir quasi noch im Tiefschlaf“, sagte Friedl und schob angefressen hinterher: „Es ist immer wieder die alte Leier: Wenn du zu Hause vier Gegentore bekommst, kannst du keine Spiele gewinnen.“
Nach dem Schlusspfiff war allen Beteiligten die Ratlosigkeit anzumerken – nicht nur wegen der Gegentreffer, sondern auch deshalb, weil es nicht gelungen war, den vorherigen Schwung mitzunehmen. „Ich kann mir nicht erklären, warum wir zu Hause nicht mit demselben Selbstverständnis auftreten wie in Leverkusen“, haderte Schmid. Niemeyer ergänzte: „Das Spiel hätten wir nicht verlieren müssen. Aber am Ende waren es erneut zu viele Fehler.“ So bleibt aus Bremer Sicht ein ernüchternder Nachmittag, der erneut unterstrich, wie dringend das Team defensive Stabilität benötigt. Jetzt und auch mit Blick auf die neue Saison.
Bis dahin sind es allerdings noch acht Bundesliga-Spiele – und die Sorge im Bremer Umfeld, dass die aktuelle Spielzeit nun nur noch austrudeln könnte, ist nach dem Gladbach-Spiel nicht kleiner geworden. „Wir haben unser Saisonziel noch nicht erreicht“, betonte Niemeyer jedoch mit Blick auf die magische 40-Punkte-Marke und forderte: „Es gilt jetzt, die letzten acht Spiele sehr konzentriert zu bestreiten, um die bestmögliche Platzierung zu erreichen. Es jetzt austrudeln zu lassen, wäre hochfahrlässig.“
Positiv für Werder könnte die anstehende Länderspielpause sein, die nicht nur helfen soll, den Kopf freizubekommen, sondern auch die Abwehrleistung zu verbessern. In Marco Friedl und Niklas Stark könnten nach der Pause zwei Schlüsselspieler ihr Startelf-Comeback geben, der Werder-Kapitän blickte bereits auf die kommenden Aufgaben und betonte: „Acht Spiele sind es noch, oft gegen Gegner auf Augenhöhe, die wir schlagen können.“ Seine klare Forderung: „Wir müssen individuelle Fehler abstellen und wieder giftiger und gieriger sein. Dann können wir auch noch Spiele gewinnen.“ Schließlich will der Österreicher nach der Partie in zwei Wochen bei Holstein Kiel nicht erneut die so lästige Frage nach den Gründen für die vielen Gegentore beantworten müssen.