Drei Spiele, zehn Gegentore, null Punkte: So lautet Werder Bremens niederschmetternde Bilanz gegen die Aufsteiger. Nach dem 1:2 gegen Heidenheim mag sich Werder mit der Tatsache trösten, dass sich nahezu alle Bundesligisten an Heidenheim die Zähne ausbissen. Die Niederlage hinterlässt dennoch einen bitteren Beigeschmack. Mit einer besseren Chancenverwertung und einer geschickteren Verteidigung der Flügel hätte Werder siegen können. Zumal das Team in der Schlussphase bewiesen hat, dass sie durchaus Mittel im Repertoire haben, um Heidenheim zu knacken.
Mannorientierung gegen Manndeckung
Werder-Coach Ole Werner wagte bei der Startaufstellung keine Experimente. Die Bremer begannen mit exakt denselben Spielern, die eine Woche zuvor Mainz bezwungen hatten. Romano Schmid agierte wie gewohnt in einer gemischten Rolle. Mal spielte er als dritter Stürmer neben Marvin Ducksch und Justin Njinmah. Mal ließ er sich als dritter Sechser ins zentrale Mittelfeld fallen. Werder agierte in einer Mischung aus 3-4-3 und 5-3-2.
Heidenheims Trainer Frank Schmidt schickte seine Elf in einem 4-2-3-1 auf das Feld. Diese Formation bestand jedoch nur auf dem Papier. Heidenheims Verteidigung ist komplett gegnerorientiert. Jedem Verteidiger wird ein Angreifer zugewiesen. Diesen verfolgt er kompromisslos. So ließ sich Lennard Maloney häufig in die Abwehr fallen, um Schmid zu decken. Eine feste Formation hat Heidenheim so nicht. Sie ist stets abhängig vom Gegner.
Werder mit guten Ideen…
Werder hatte sich einen Plan zurechtgelegt, um die Manndeckung des Gegners auszunutzen. Werder versuchte, das Spielfeld weit auseinanderzuziehen. Die gegnerischen Außenverteidiger sollten auf die Flügel gedrängt werden.
Anschließend wollte Werder das Spiel mit langen Diagonalbällen sofort in die gegnerische Hälfte tragen. Werders Verteidiger schlugen den Ball auf die Außen. Die vorgerückten Außenverteidiger wiederum flankten den Ball in den Strafraum. 26 Flanken schlugen die Bremer insgesamt in diesem Spiel. In keinem anderen Saisonspiel haben sie mehr hohe Bälle in den Strafraum befördert.
Mit dieser Idee wollte Werder den Gegner nicht nur in die Breite ziehen, sondern auch Tiefe schaffen. Immer wieder suchten die Bremer Spieler den direkten Weg in Richtung Strafraum. Sie drückten die gegnerischen Verteidiger damit nach hinten. Vor allem aber zogen sie in vielen Situationen ihren Gegenspielern davon. Werder versuchte, die eigenen Vorteile in Sachen Geschwindigkeit auszuspielen. Dass diese Taktik Sinn ergab, bewies der Treffer von Romano Schmid. Er köpfte eine Flanke von Senne Lynen ein (19.).
… und schlechter Flügelverteidigung
Werders Problem: Zu diesem Zeitpunkt lagen sie bereits mit 0:2 hinten. So interessant ihr Offensivplan war: Er öffnete in der Defensive Lücken. Heidenheim nutzte diese geschickt aus. Vor allem ihre rechte Seite der Heidenheimer lauerte auf Konter: Außenstürmer Eren Dinkci und Außenverteidiger Omar Traoré sprinteten sofort nach vorne, sobald Heidenheim den Ball eroberte.
Die linke Seite der Bremer fand auf Dinkcis Vorstöße keine Antwort. Heidenheim spielte keinen komplizierten Fußball: Der erste Ball ging nach Außen, mit dem zweiten schickten sie ihre Außenstürmer in die Tiefe. Das genügte, um Dinkci mehrfach in gute Positionen zu bringen. Er legte das 2:0 auf (18.) und holte den Eckball raus, der letztlich zum 1:0 führte (12.).
Der Kardinalfehler
Apropos Eckbälle: Werder beging einen strategischen Fehler, den viele Gegner gegen Heidenheim machen. Schon im Pressing lenkten sie die gegnerischen Angriffe auf die Flügel. Im Zentrum zog sich Werder zusammen. Das ist Standardprozedere im Profifußball: Das Tor steht in der Feldmitte, also verteidigt man in diesem Bereich kompakt. Der Gegner darf gerne auf den Flügel spielen, nicht aber durch das Zentrum!
Gegen Heidenheim ergibt dieser Leitgedanke jedoch wenig Sinn. Heidenheim ist im Zentrum individuell schwächer besetzt als auf den Flügeln. Die Sechser sind rein defensiv denkende Manndecker. Anders als die meisten Teams will Heidenheim auf den Flügel. Entweder können sie über Flanken Torchancen kreieren – oder aber sie holen Eckbälle heraus.
Auch Werder ließ Heidenheim über die Flügel gewähren. Die Folge waren zehn Eckbälle für die Gäste. Einer davon führte zum Heidenheimer Führungstor; zwei weitere führten zu derart großen Chancen, dass Werder mit drei Eckball-Gegentoren aus dem Spiel hätte gehen können. Standards sind eine Heidenheimer Spezialität. Werders Kardinalfehler war, dass sie Heidenheim so einfach über die Flügel angreifen ließen.
Wechsel bringen Werder ins Spiel
Werder benötigte bis in die Schlussphase, um gegen die Manndeckung der Heidenheimer zu Chancen zu gelangen. Mit Nick Woltemade kam ein neuer Stürmertyp: Er ließ sich häufig aus dem Sturmzentrum fallen. Diese gegenläufigen Bewegungen hatten Werder zuvor gefehlt. Woltemade schaffte es, mehrere Gegenspieler auf sich zu ziehen.
Rafael Borré wiederum interpretierte seine Position als halbrechter Stürmer recht frei. Damit schaffte er immer wieder Situationen, die für Heidenheim schwer zu verteidigen waren. Zugleich öffnete er damit Räume für Schmid, der fortan als rechter Außenverteidiger nach vorne stürmte. Elf der insgesamt 15 Torschüsse gab Werder nach der 75. Minute ab.
Das Aufbäumen änderte nichts am Ergebnis. Werder haderte nach dem Schlusspfiff mit der schlechten Chancenverwertung. Zwei Aluminiumtreffer in der Nachspielzeit stehen als Beleg für diese These. Zur Wahrheit gehört aber auch: Bis zur Einwechslung von Woltemade und Borré fand Werder offensiv kaum statt. Werder ist ein weiterer Bundesligist, der sich in der Manndeckung der Heidenheimer verfangen hat.