Es ist ganz schön was verrutscht beim 1. FC Köln und das ist ein Problem. Genau genommen sind es sehr viele Probleme, mit denen sich Markus Gisdol herumschlagen muss. Gisdol hat den Klub in den Wochen nach seinem Amtsantritt vor rund anderthalb Jahren wach geküsst, eine fast schon beispiellose Erfolgsserie hingelegt - und auf den steilen Aufschwung einen ebenso so derben Absturz hingelegt.
Ziemlich genau vor einem Jahr stand Gisdol mit dem FC bei einem Punktschnitt von 1,9 Zählern pro Spiel, der Wert eines Europapokal-Aspiranten. Danach folgten bis zum Saisonende, einschließlich des desaströsen 1:6 gegen Werder, 0,4 Punkte pro Spiel und kein einziger Sieg mehr. Das ging dann bis Ende November so weiter, insgesamt 18 Partien am Stück ohne Sieg in der Liga. Im Grunde setzte sich die Misere bis heute fort, auch wenn die Kölner wenigstens alle paar Wochen mal einen Sieg einfahren.
Im Umfeld Gisdols ist es schon länger unruhig
Noch wird der Trainer als Teil der Lösung angesehen, zumindest von den Entscheidungsträgern im Klub. Im Umfeld ist es aber schon länger unruhig, werden Gisdols Maßnahmen kritisch gesehen. Das Problem dabei soll nicht der Gisdol-Fußball an sich sein, sondern das stufenweise Abrücken davon. Aus einer anfangs sehr aktiven Mannschaft ist eine reaktive Mannschaft geworden, die das Risiko so weit es geht scheut.
Von der Grundaggressivität, der Lauf- und Zweikampfstärke, der Leidenschaft und Intensität, griffigen Gegenpressing oder den erzeugten Überzahlsituationen in Ballnähe ist im Spiel gegen den Ball in den hohen Zonen des Spielfelds nur noch wenig zu sehen. Die Mannschaft verteidigt tief und weicht zurück, statt nach vorne zu gehen und frühen Druck auf den Ball zu erzeugen. Das kann auch funktionieren, wie Werder in der Hinrunde leidvoll erfahren musste, als Köln die gegnerische Hälfte quasi preis gab und sich mit zehn Feldspielern hinter der Mittellinie verschanzte.
Dieser vergleichsweise drucklose Ansatz bedeutet aber auch, dass den direkten Zweikämpfen noch größere Bedeutung zukommt. Gehen die verloren oder hat der Gegner mehrere Spieler, die diese Spielsituationen im Eins-gegen-Eins aufbrechen können, gerät das Konstrukt aus der Balance. Und dann ist der Weg zum Tor kurz genug, um schneller in gefährliche Abschlusspositionen zu kommen.
Es fehlt an Präzision und Überzeugung
In die andere Richtung gedacht hat sich der FC in den letzten Monaten auch verloren. Im Fall der Balleroberung ging der erste Impuls nicht nur nach vorne, sondern so tief wie möglich. Der erste Pass ging fast immer in die Tiefe, die Mannschaft versuchte, den am höchsten postierten Spieler zu finden. Zum einen garantierte das sofort den gewünschten Umschaltmoment, zum anderen konnte der Rest der Mannschaft geschlossen nachrücken und sich für das Gegenpressing staffeln. Gerne nimmt Köln auch jetzt nopch dafür den Weg über einen der schnellen Außenbahnspieler, die den Durchbruch über den Flügel schaffen sollen.
Das Problem: Es fehlt deutlich zu oft an Präzision und der Überzeugung, diese riskanten Manöver auch zu fahren. Selbst gute Kontersituationen in Überzahl bringt die Mannschaft nicht zu Ende, nimmt nicht sofort höchste Fahrt auf, rückt nicht nach. Dabei wurde mit Emmanuel Dennis ein Typ Angreifer geholt, der mit seiner Geschwindigkeit anders als seine „Vorgänger“ oder Kollegen Anthony Modeste und Sebastian Andersson sofort die Tiefe bedrohen soll. Und weil auch das Positionsspiel so gut wie nie einen Gegner aufspielen und dauerhaften Druck erzeugen kann, hat Köln massive Probleme in der Offensive.
Köln fällt fast überall ab
In so ziemlich jeder Statistik ist die Mannschaft im letzten Kalenderjahr deutlich abgesackt, es fehlen die Kontertore und jene nach Standards, die Laufleistungen gingen zurück, die Zahl der gewonnenen Kopfbälle, die Zweikampfquote. Dazu kamen immer wieder Ausfälle wichtiger Spieler und diese etwas zögerliche Art von Gisdol, der Partien in der Regel im Verhinderungsmodus beginnt und erst unter Druck, also nach Rückständen, einen aktiveren Stil verordnet. Das geht ab und zu auch gut, aber wie so einige andere Mannschaften auch ist der FC total davon abhängig, das erste Tor in einem Spiel selbst zu erzielen. Gelingt das nicht, ist die Partie schon so gut wie verloren: Köln schaffte nach 14 Rückständen in dieser Saison erst zwei mickrige Punkte.
Es ist wohl kein Zufall, dass die Corona-Pause im letzten Frühjahr so etwas wie eine Zäsur darstellt. Bis dahin konnte der FC den einen oder anderen Gegner mit seiner schieren Wucht und der Opferbereitschaft seiner vielen jungen Spieler auf dem falschen Fuß erwischen. Dieser Überraschungseffekt ist aber schon lange verflogen, seitdem geht es sukzessive bergab. Dabei bleibt das Gefühl, dass die Mannschaft grundsätzlich mehr könnte - aber nicht so recht von der Leine gelassen wird.
In der Hinserie wählte Köln im Weserstadion einen ultra destruktive Herangehensweise. Das ist nun, wo die Konkurrenz im Tabellenkeller mitunter fleißig punktet und aufholt, und bei fünf Punkten Rückstand auf Werder nicht schon wieder zu erwarten. Gisdol wird seiner Mannschaft einen veränderten Plan an die Hand geben müssen, die Offensive forcieren und gegen die Bremer Defensivkünstler selbst das Spiel gestalten. Das wird die große Aufgabe für diese Partie - und eigentlich auch für den Rest der Saison.