Die „Breite des Kaders“ ist eine oft benutzte Formulierung im Fußball. Bei Werder hat man im Moment das Gefühl: Ja, da ist mehr Breite, mehr Qualität jenseits der Stammelf. Denn es gibt keinen Bruch im Spiel, wenn wichtige Leute wie Jens Stage oder Niklas Stark ausfallen. Rein statistisch lässt sich diese Wahrnehmung übrigens nicht belegen: An den bisher acht Bundesliga-Spieltagen setzte Ole Werner zwar 21 Spieler ein, das ist im Ligavergleich aber kein herausragender Wert. Hoffenheim setzte schon 25 Profis ein, das ist die höchste Zahl. Bei Augsburg und Freiburg waren es 24. Es gibt nur drei Vereine, die weniger Spieler als Werder aus Feld schickten: St. Pauli (19) sowie Heidenheim und Union (je 20).

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Nun kann man im Fußball aber jede Statistik so lange biegen, bis sie passt. Im Vorjahr gehörte Werder zu den Vereinen, wo die meisten Spieler eingesetzt wurden (30). Das lag aber auch an Herrschaften wie Ilia Gruev oder Niclas Füllkrug, die vor ihrem Wechsel noch kurz mitwirkten. Oder an jungen Spielern, die mal reinschnupperten (Opitz).
Unstrittig ist: Ole Werner stand lange nicht im Verdacht, den Akteuren in der zweiten Reihe viel Spielzeit zu verschaffen. Geht man zurück in die Saison 2022/23, die erste nach dem Aufstieg, da standen für Werder zum gleichen Saisonzeitpunkt wie heute nur 20 verschiedene Spieler auf dem Rasen, am Ende waren es 25. Beides waren die niedrigsten Werte: Bremen war in Sachen ausgenutzter Kaderbreite damals das Schlusslicht der Liga und leicht ausrechenbar.
Nur drei Spieler lange auf dem Rasen
Zu den positiven Entwicklungen bei Werder gehört, dass sich das geändert hat. Einerseits gibt der Kader nun mehr Möglichkeiten her. Andererseits sorgen verletzungsbedingte Ausfälle oder Sperren dafür, dass die Startelf immer wieder umgebaut werden muss. Nur zwei Spieler standen alle 720 Minuten auf dem Rasen: Michael Zetterer und Mitchell Weiser. Der einzige weitere Werder-Profi mit mehr als 700 Spielminuten ist Romano Schmid (704).
Auch die Reserve-Spieler bleiben dadurch dicht am Geschehen, sie kommen immer wieder zu Einsätzen, ohne dass Werders Fußball darunter leidet. Bestes Beispiel dafür ist Leo Bittencourt, der seit zwei Spielen den zuvor überragend guten Jens Stage im Mittelfeld vertritt. In Wolfsburg gelang ein Sieg, gegen Leverkusen ein starkes Unentschieden. Bittencourt war nach einem Mini-Einsatz am ersten Spieltag in Augsburg schon von der Bildfläche verschwunden, nun ging er gegen Leverkusen mit Applaus vom Feld. Natürlich kann er Stage nicht eins zu eins ersetzen, Bittencourt ist ein anderer Typ. Aber er bringt Erfahrung und eben auch Qualität ins Spiel ein: Bittencourt hat die bessere Passquote als Stage und ist schneller (33,6 km/h im Vergleich zu Stages 31,2), er gewinnt auch mehr seiner Zweikämpfe. Dafür muss Werder in Spielen ohne Stage dessen Top-Qualitäten anders kompensieren: Stage ist offensiv erheblich gefährlicher (mehr Tore, mehr Torschüsse, mehr Torschussvorlagen) und er führt im Mittelfeld und bei Ecken wesentlich mehr Luftzweikämpfe - von denen er mehr als die Hälfte gewinnt.
Wie Werder von den teils erzwungenen Personalwechseln profitiert, sieht man auch an der Entwicklung von Julian Malatini. Viele Wochen und Monate saß er fast schon aussichtslos draußen, bis in der Abwehr die Kollegen ausfielen. Seit sechs Spielen ist Malatini immer dabei und wächst an seinen Aufgaben: Gegen Leverkusen ging er Nationalspieler Florian Wirtz mit seinem körperbetonten Abwehrspiel oft gewaltig auf den Zeiger.
Malatini so schnell oder langsam wie Jung
Auch bei Malatini gibt es gefühlte Wahrheiten, die gar nicht stimmen – dafür gibt es messbare Fakten, die für ihn sprechen. Viele sehen in Malatini einen schnellen Mann, weil er viele Sprints macht (80 bisher, deutlich mehr als Niklas Stark im gleichen Zeitraum). Tatsächlich ist Malatini in dieser Saison mit einem Topspeed von 32,9 km/h aber genau so schnell oder langsam wie Anthony Jung. Viele denken, Malatini müsse sich im Passspiel verbessern. Vergleicht man ihn mit Stark, denn beide haben rund 380 Minuten gespielt, dann sieht man: Malatini spielt mehr Pässe und ist in der Quote der angekommenen Bälle nicht schlechter als Stark. Vielleicht geht er noch zu oft ins Dribbling – aber wenigstens gewinnt er diese Duelle häufiger, als er sie verliert.
Angesichts des schweren Auftaktprogramms ist die schönste aller Statistiken ohnehin die Tabelle. Mit zwölf Punkten ist Werder so gut wie der VfB Stuttgart. Das ist mehr, als man erwarten durfte. Und es hat angesichts der vielen Ausfälle mit dieser Breite im Kader zu tun. Übrigens: Vor zwei Jahren, als Werder mit 25 eingesetzten Spielern Schlusslicht war, da führte Absteiger Schalke diese Wertung mit 35 Spielern an und verbrauchte dabei zusätzlich noch drei Trainer. Es gibt Statistiken, da will man nicht vorne stehen…