Werders Heimsieg gegen Köln war aus drei Gründen wichtig. Erstens: Mit nun sechs Punkten konnte sich die Mannschaft im Mittelfeld der Tabelle festsetzen, deutlich vor den schlechter gestarteten Konkurrenten. Zweitens: Trainer Ole Werner hat bewiesen, dass er nicht zu den Fußball-Lehrern gehört, die grundsätzlich alles besser wissen (oder das zumindest fest glauben). Mit seinen vielen Korrekturen in der Aufstellung hat er dem Druck nachgegeben, die Neuzugänge aufgestellt und obendrein einen herzergreifenden Werder-Moment ermöglicht, als er Naby Keita kurz vor Spielende einwechselte. Das tat dem stolzen Spieler gut und freute die Anhänger, bei denen Keita schon jetzt Kultstatus genießt. Der dritte Grund ist für den weiteren Saisonverlauf wichtig: Beide Bremer Tore bei diesem 2:1-Sieg wurden von Stürmern erzielt, was im ersten Jahr ohne Torschützenkönig Niclas Füllkrug beruhigend klingt.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Denn Werders Offensive ist derzeit noch eine Baustelle. Lange Zeit war es keine Frage, wer stürmt. Die Antwort lautete immer: Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug. Das war beim Aufstieg so und danach im Jahr des Klassenerhalts. Auch in den ersten drei Pflichtspielen dieser Saison bildeten Ducksch und Füllkrug das Sturmduo. Seit Füllkrug zu Borussia Dortmund wechselte, gab es schon drei verschiedene Besetzungen im Bremer Angriff. Gegen Mainz begannen Ducksch und Dawid Kownacki, in Heidenheim Nick Woltemade und Kownacki, gegen Köln nun Ducksch und Rafael Borré. Letztere hinterließen im Zusammenspiel beim Treffer zum 1:1 den besten Eindruck.
Für Ole Werner birgt die Besetzung des Angriffs Chancen und Risiken. Einerseits kann er die Gegner neuerdings überraschen und den Konkurrenzkampf im Kader fördern, indem er variiert. Er kann sich nun auch mal an den Schwächen des Gegners orientieren. Andererseits hat er mindestens zwei Stürmer im Kader, für die eine solche Rotation von ihrem Selbstverständnis her keine gute Sache ist: Ducksch und Borré. Nach 35 Toren in 70 Spielen für Werder versteht sich Ducksch als Stammspieler. Seine Verdienste sind unumstritten, zudem hofft er – so hat er das selbst gesagt - noch auf einen Platz im DFB-Kader für die Europameisterschaft 2024. Entsprechend angefressen wirkte Ducksch, als er in Heidenheim anfangs auf der Bank saß.
Borré ist ein Kaliber, das Werder in der Offensive kein zweites Mal hat: Stammspieler der kolumbianischen Nationalmannschaft und Europapokal-Gewinner mit Eintracht Frankfurt. Wer sich in hitzigen Länderspielen in Südamerika mit Brasilien, Argentinien und Chile misst, der will im Bremer Angriff nicht um Einsatzzeiten betteln. Der will gesetzt sein – und muss es auch, um seinen Stammplatz im Nationalteam zu behalten.
Ducksch (bisher zwei Saisontore) und Borré (ein Treffer) sind somit das logischste Sturmduo für diese Saison, herausgefordert von Neuzugang Kownacki (noch torlos), Eigengewächs Nick Woltemade (ebenfalls noch torlos) und dem schnellen Justin Njinmah (schon zwei Tore).
Das größere Problem wurde durch die Euphorie des 2:1-Sieges etwas überdeckt: Ohne den Zielspieler Füllkrug im Sturmzentrum tut sich Werder schwer, Angriffe zu inszenieren. Bis zum Ausgleichstreffer von Borré in der 38. Minute gab es kaum Torchancen.
Die Versuche, durch eine gewisse Breite im Mittelfeld spielerisch ins letzte Drittel zu kommen, scheiterten oft an Ballverlusten. Und wenn dann doch der lange Ball gewählt wurde (meist von Torwart Jiri Pavlenka), fehlte vorne der wuchtige Füllkrug, der solche Bälle festmachen und an seine Mitspieler verteilen konnte – wovon vor allem Ducksch oft profitierte. Ducksch müht sich zwar in der neuen Rolle, konnte einen solchen Ball gegen Köln aber nur einmal behaupten. Borré ist ohnehin eher klein und wuselig (ebenso wie Kownacki). Die beste Größe bringt Woltemade mit (1,98 Meter), doch ausgerechnet dem wurde in Werders Nachwuchsleistungszentrum das Kopfballspiel nicht richtig beigebracht, was man im Männerfußball nun merkt.
Solange Werder für das Offensivspiel keine Lösungen hat, ist Ducksch der Verlierer. Er kommt nicht mal annähernd so oft zum Abschluss wie früher mit dem Nebenmann Füllkrug, der ihm Räume freisperrte und ein tolles Auge für ihn hatte. Legendär ist dieser Satz von Ducksch, nachdem Füllkrug ihn mal übersah: „Bei unserem blinden Verständnis dachte ich, er sieht mich.“
Mögliche Lösungen: Romano Schmid trifft bei seinen vielen Chancen entweder besser oder wird letzter Vorlagengeber im Strafraum. Oder Naby Keita kommt so schnell ins Rollen, dass er die Angreifer mit Pässen in Szene setzen kann.