Im Profifußball gibt es eine einfache Regel: Nichts schützt einen Trainer wirkungsvoller als Siege. Das erlebte Werders Ole Werner nach dem 4:0-Erfolg vor zwei Wochen gegen Mainz, dem ersten Saisonsieg. Eine Menge Druck fiel dadurch ab. Auch der Trainer konnte mal durchatmen, nachdem vor allem das Pokal-Aus beim Drittligisten Viktoria Köln seinem Ruf geschadet hatte.

Grün auf weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Nur ein Spiel und eine Niederlage später den Trainer für alles Schlechte bei Werder verantwortlich zu machen, wäre unfair. Sehr wohl aber muss Werner jetzt aufpassen, dass ihm nicht alles entgleitet. Denn man merkt, dass er noch ein junger Trainer ist. Mit 35 Jahren erlebt er seine erst zweite Bundesligasaison. So manch alter Hase auf der Trainerbank hätte zuletzt vielleicht andere Entscheidungen getroffen – auf dem Platz und auch daneben.
Schützende Siege hat Werner jedenfalls kaum noch vorzuweisen. In dieser Saison gingen vier der fünf Pflichtspiele verloren. Das ist eine schwache Bilanz – und nimmt man das Kalenderjahr, ist der Trend alarmierend. Zehn Niederlagen in 17 Spielen machten Werder zur zweitschwächsten Rückrundenmannschaft der Liga, gleichauf mit Absteiger Hertha BSC. Da ist es normal, dass bei einem Traditionsverein kritische Stimmen aufkommen. Was ein Trainer dann aber nicht machen sollte: sich angreifbar machen.
Die unzureichende Förderung des Talentes Eren Dinkci ist ihm jetzt gewaltig auf die Füße gefallen. Zwei tolle Tore schoss der Bremer Junge gegen Werder und sicherte Heidenheim den 4:2-Sieg. Natürlich: Bei seinen kurzen Einsätzen im Werder-Trikot war dieses Potenzial nicht zu erkennen. Im Training aber muss jeder das gesehen haben. Der bei Werder oft bemühte Hinweis, ein Spieler wie Dinkci passe von der Position her nicht perfekt ins System, ist zu hinterfragen: Wenn man so ein Talent im Kader hat, muss man es fördern und einen Platz finden. Der 21-jährige Dinkci ist einer der Spieler, die Werder im nächsten Transfersommer wirtschaftlich das Überleben sichern könnten. Heidenheims Trainer Frank Schmidt, seit 16 Jahren im Amt, erklärte: „Bei uns bekommt Eren Dinkci den nötigen Freiraum.“
Auch bei den Neuzugängen wäre es ratsam, wenn Werner seine Grundhaltung überdenken würde: Wenn die Mannschaft den nächsten Entwicklungsschritt gehen soll, gehören die Neuzugänge auf den Platz. Das betrifft vor allem Olivier Deman auf der linken Abwehrseite und Senne Lynen als strategischer Kopf im Mittelfeld.
Die im Leistungssport unübliche Treue zu bisherigen Stammspielern wie Marco Friedl und Anthony Jung ist Werner nun ebenfalls auf die Füße gefallen. Und auch hier muss man die Werder-Logik hinterfragen: Wie man hört, bräuchten neue Spieler lange, bis sie das komplexe Werner-System verstanden hätten. Dazu zwei Dinge. Erstens: Wenn man sich vom Drittligisten Viktoria Köln und vom Aufsteiger Heidenheim sieben Tore einschenken lässt, kann der Bremer Fußball nicht wahnsinnig komplex sein. Zweitens: Hier geht es nicht um die Magie von Manchester City, sondern um Werders Sprung raus aus dem Tabellenkeller. Wenn gestandene Profis wie Deman oder Lynen das nicht spielen können, läuft bei Werder grundsätzlich etwas falsch.
Auch bei der Besetzung des Angriffs muss Werner in der Nach-Füllkrug-Ära liefern. Es war verwunderlich, wie verbittert der zwischenzeitlich verletzte Marvin Ducksch reagierte, dass ihm in Heidenheim Spieler wie Nick Woltemade und Dawid Kownacki vorgezogen wurden. Das ist eine Baustelle, die Werner jetzt gar nicht brauchen kann.
Es reicht ja schon die Friedl-Baustelle, dessen viele Fehler (auch gegen Aufsteiger) ein hausgemachtes Werder- und Werner-Problem sind. Der Trainer hat sich bewusst dagegen entschieden, Friedl von der Last des Kapitänsamtes zu befreien und in der Folge die Abwehr anders zu formieren. An dieser Stelle ist Werders Personalpolitik ohnehin erstaunlich: Obwohl die zentrale Abwehr schon vergangene Saison die größte Schwachstelle war, ist hier nichts passiert.
Ein wenig muss man Ole Werner in Schutz nehmen: Erst kurz vor Transferschluss ist ihm ein hektisch zusammengeflickter Kader hingestellt worden, mit dem er große Teile einer Saisonvorbereitung nun im laufenden Betrieb nachholen muss – ohne einen Zielspieler wie Füllkrug, auf den das Spiel weitgehend ausgerichtet war. Das ist herausfordernd für einen Trainer. Wirtschaftlich hatte Werder keinen Spielraum für frühere, stimmige Transfers.
Nicht klug sind aber Aussagen wie diese von Werner nach der Niederlage in Heidenheim: „Wir haben das Spiel in der ersten Halbzeit verloren, wo wir zwei, drei Minuten lang ganz vernünftig gespielt haben.“ Das ist zwar ehrlich, wirft jedoch nur neue Fragen auf. Was Werder und Werner jetzt dringend brauchen, sind Antworten.