Einen Vorwurf hören die Macher des SV Werder immer wieder. Nämlich, dass sie eine eng verwobene Familie sind, in der jeder den anderen schützt und niemand Leistung bringen muss, um seinen Posten zu behalten oder einen Posten zu bekommen. In dieser Werder-Familie hilft man sich, egal, ob die Bundesliga-Mannschaft absteigt oder die U23 bis in die Bremen-Liga abschmiert. Nichts hat Konsequenzen, man mag sich und man schützt sich.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen bei Werder einordnet.
Als Vorsitzender der Geschäftsführung kennt Klaus Filbry diese Vorwürfe. Und, ja: In den vergangenen Jahren ist eine Menge beim SV Werder passiert, was diese kritische Sichtweise provozierte oder verstärkte. Doch Werder ist kein Verein der lauten Töne: Wo andere Traditionsklubs bei solch kritischen Vorwürfen wochenlang mit verbalen Schlammschlachten das Volk unterhalten, muss man bei Werder genau hinhören, um Veränderungen wahrzunehmen. Ein solcher Moment war ein Vortrag, den Filbry bei der Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr hielt. Es war ein Blick in die Zukunft des Vereins, der sich ein neues Sinnbild verpasst hat: Werder will Menschen begeistern, dieses Ziel steht über allem. Begeistern bedeutet: attraktiven und offensiven Fußball spielen, guten Service bieten und die Mitarbeitenden so entwickeln, dass sie sich später durch ihre Kompetenz für die Nachfolge anbieten, wenn wichtige Stellen zu besetzen sind.
Das Konzept ist so komplex wie ambitioniert, es trägt den Namen: Spielplan 2025 – Werder weiter denken. Nun könnte man sagen: Große Worte, wie so oft, aber am Ende passiert ja doch nichts. Aber: Seit einigen Monaten wird es konkreter. Denn statt – wie früher erlebt – nach schönen Worten doch wieder so weiterzumachen, werden die Fortschritte nun gemessen. Und das in allen Bereichen, im Profisport wie in kaufmännischen Abteilungen. Bei Werder gibt es nun „Drei-Monats-Sprints“, das heißt: Alle drei Monate kommen die Führungskräfte aus allen Bereichen zusammen, dann wird genau geschaut, wie weit sie mit den angepeilten Fortschritten sind und was noch fehlt. Auch der Fußball hat Vorgaben erhalten, gemessen werden diese zum Beispiel durch Tore und Torchancen – Werte also, die schnell aussagen, ob der verlangte attraktive Fußball als Markenkern tatsächlich gespielt wurde.
Neben den sozialen und wirtschaftlichen Aspekten des Konzeptes fallen zwei sportliche Ziele auf. Erstens: Werder hat es als „notwendiges Ziel“ definiert, erstklassigen Fußball zu spielen. Und zweitens: Werder will für eine größere Durchlässigkeit zwischen Nachwuchsförderung und Profikader stehen, also mehr selbst ausgebildete Spieler in der Bundesliga einsetzen. Das gilt auch für ausländische Talente wie den Österreicher Romano Schmid, der als Teenager gescoutet und verpflichtet wurde und dann zum Bremer Kader stieß. Auch solche Talente sollen sich bei Werder zu wertvollen Profis entwickeln.
Zudem soll eine einheitliche Spielphilosophie für alle Teams bei Werder gelten, von oben nach unten vorgegeben – damit am Ende Talente oben ankommen, die den Werder-Fußball im Blut haben und ihn spielen können.
Die Sollbruchstelle des Ganzen ist Ole Werner. Der Trainer hat sich zwar intern zu diesem Weg bekannt. Aber er hat sich in Bremen noch keinen großen Namen als Talentförderer gemacht. Fälle wie der nach Heidenheim verliehene Stürmer Eren Dinkci, der unter Werner blass blieb und beim Aufsteiger glänzt, wurden bei Werder nun intern ebenso analysiert wie die Jungprofis Niklas Schmidt und Ilia Gruev (die verkauft wurden). Im Ergebnis kommt Werner recht gut aus der Nummer raus: Man rechnet ihm bei Werder an, dass er diese Spieler wiederholt aufs Feld geschickt hat, und man ist der Meinung, dass die Spieler diese Chancen selten nutzten.
Ohnehin ist Werner primär den Hauptzielen des Vereins verpflichtet: Das war erst der Aufstieg und dann der Klassenerhalt. Beides hat er geschafft. Nun ist der Verbleib im erstklassigen Fußball das oberste Ziel. Erreicht Werner das mit jungen Spielern wie Justin Njinmah oder Nick Woltemade in der Startelf, wäre es perfekt. Hält er eine erfahrene Startelf für besser, wird ihm daraus kein Vorwurf gemacht. Denn klar ist ja auch, und das ignoriert Werder nicht: Mit jeder Niederlage wird der Trainerjob wackeliger. Werner muss auch an sich denken.
Für alle anderen Führungskräfte gilt: Sie sind fortan nicht nur Teil einer (Werder-)Familie, sondern müssen sich einem „Performance Management“ stellen. Das heißt: Sie müssen Leistungsvereinbarungen erfüllen, definierte Quoten erreichen und sich dabei überprüfen lassen. Damit sich Werder im Verdrängungswettbewerb Profifußball wieder eine bessere Perspektive verschafft.