Bis nach Regensburg fährt man knapp 700 Kilometer. Das hätten an einem Freitagabend nicht viele Bremer gemacht – aber weil im Freistaat Bayern Geisterspiele angeordnet waren, durfte ohnehin keiner zu Werders Auswärtsspiel reisen. Alle, die ihre grün-weiße Mannschaft sehen wollten, waren also auf die Fernsehübertragung angewiesen.
In dieser Saison ist das nicht immer die beste Unterhaltung – was nicht nur an den schwankenden Leistungen in der Hinrunde liegt, sondern auch mit Werders neuer Realität zusammenhängt: der Zweitklassigkeit. Diese Liga heißt nicht umsonst „Unterhaus der Bundesliga“, vieles hier ist etwas kleiner und schlichter, auch bei den Übertragungen im Fernsehen.

GRÜN AUF WEISS ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Bremen war davon nie betroffen, beim letzten Abstieg 1980 wurden die Zweitligaspiele noch nicht live im Fernsehen gezeigt. In den vier Jahrzehnten danach erlebte Werder den Aufschwung des Privatfernsehens und der Bezahlsender, auch die öffentlich-rechtlichen Sender schmückten sich gerne mit Spielen der Bremer, die oft beste Unterhaltung versprachen. Das war die große Fußball-Bühne, auf der Werder in Grün-Weiß erstrahlte.
Was im Unterhaus passierte, brauchte Werder-Fans nicht zu interessieren. Nun aber erleben sie es. Die erste Garde der TV-Kommentatoren wird für die Bundesliga, die Champions League und die englische Premier League gebraucht, für das große Spektakel. Die neun Live-Spiele, die an jedem Zweitliga-Wochenende zusätzlich anstehen, werden drum herum gruppiert und mit weniger Personal und Aufwand übertragen. Selbst das Fachmagazin „Kicker“ schickt zu vielen Zweitligaspielen gar keinen eigenen Reporter, sondern lässt sich von der lokalen Presse informieren.
Und so muss man als Werder-Fan in dieser Liga auch mal fünf gerade sein lassen, etwa wenn es bei einer Einwechslung von Christian Groß im Fernsehen heißt, der sei immer für ein Tor gut. Da nickt der gemeine Fan und der Bremer wundert sich, schließlich hat Groß für Werders Profis noch nie ein Tor geschossen. In diese Kategorie gehören auch Hinweise wie: „Pavlenka, bei dem weiß man, dass er kicken kann.“
Werder ist halt die große Unbekannte in der zweiten Liga, und das wurde beim 3:2-Sieg in Regensburg wieder deutlich: Weil Niclas Füllkrug seinem Sturmpartner Marvin Ducksch ein Tor auflegte, wurde in der Live-Übertragung und auch in den Zusammenfassungen des Spiels an das legendäre Bremer Sturmduo Ailton und Klose erinnert. Dabei können Füllkrug und Ducksch noch so viele Tore schießen, sie werden niemals die Genialität des Duos Ailton/Klose erreichen – weil es ein solches nie gab. Tatsächlich war es so: Der Torschützenkönig Ailton hatte mit Werder im Jahr 2004 gerade das Double aus Meisterschaft und Pokal gewonnen, aber für viel Geld bei Schalke 04 angeheuert. Werder stand nun ohne Topstürmer da, weshalb Manager Klaus Allofs den fünf Jahre jüngeren Miroslav Klose aus Kaiserslautern verpflichtete - nach zähem Ringen: Die fünf Millionen Euro Ablöse schienen vielen Entscheidern bei Werder zu viel, doch Allofs setzte sich im Verein durch.
Drei Jahre und 63 Tore später verkaufte Werder Klose für das Dreifache zum FC Bayern. Mehr Tore als zu seinen Bremer Zeiten schoss der spätere Weltmeister nirgends – aber er spielte halt nie mit Ailton zusammen, der vorher in 214 Spielen für Werder stolze 106 Tore geschossen hatte. Beide sind Werder-Legenden, aber kein Traumsturm. Kloses Sturmpartner an der Weser hießen unter anderem Nelson Valdez, Ivan Klasnic und Hugo Almeida. Bei Ailton waren es vorher Klasnic, Angelos Charisteas, Marco Bode und vor allem Claudio Pizarro.
Wie das ist, wenn man eben nicht mehr in der Champions League spielt, sondern viel tiefer, erlebte Ralf Rangnick im Jahr 2006. Auch da spielte Ailton eine Rolle. Rangnick war gerade der Trainermanager des Regionalligisten TSG Hoffenheim geworden und musste tagelang erleben, dass in den Medien über eine Verpflichtung Ailtons spekuliert wurde. Einige wollten den Stürmer sogar schon im Dorf gesehen haben. Dass der Brasilianer für die damals drittklassige Regionalliga überhaupt keine Arbeits- und Spielgenehmigung bekommen hätte, wurde einfach mal ausgeblendet. Rangnick trug es mit Fassung und sagte dem „Spiegel“ dazu den legendären Satz: „Es ist halt dritte Liga, mit allem, was dazugehört.“ Rangnick stieg mit Hoffenheim schleunigst bis in die Bundesliga auf, damit war das Problem für ihn erledigt. Das wäre natürlich auch für Werder die beste Lösung, um dann selbst wieder legendäre Geschichten zu schreiben…