Mit Fußballern aus der österreichischen Bundesliga ist das so eine Sache. Viele deutsche Vereine tun sich schwer, das Potenzial dieser Spieler einzuschätzen. Sind sie deshalb so stark, weil sie eben „nur“ in der österreichischen Bundesliga spielen, wo es nicht so schnell zugeht wie in Deutschland? Oder ist das Niveau dort nicht mehr so schwach, wie es bei uns vermutet wird?
Der FC Bayern hat sich hierbei schon so manche Fehleinschätzung erlaubt. Der Mittelfeldspieler Naby Keita zum Beispiel kickte gleich hinter der Grenze in Salzburg, aber die Bayern glaubten, der Sprung zum Deutschen Meister sei für ihn zu groß. Keita wechselte nach Leipzig und wurde zu einem der besten Spieler der Bundesliga. Nun wollten die Bayern ihn doch holen, für sehr viel Geld – und kamen zu spät. Der FC Liverpool kaufte Keita für 60 Millionen Euro, dort gewann er die Champions League und die Klub-WM.

GRÜN AUF WEISS ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Von diesen Beispielen gibt es viele, auch bei Erling Haaland hörte man Zweifel, ob er seine vielen Tore im Salzburger Trikot denn auch woanders schießen würde. Dortmund glaubte daran und schnappte sich damit einen Torgaranten.
Auch Werder Bremen spielte viele Jahre im großen Fußball mit. Als der Verein gerade dabei war, 1992 den Europapokal zu gewinnen, flog der damalige Trainer Otto Rehhagel gleich mehrere Male nach Österreich. Er wollte sich selbst ein Bild machen von einem jungen Spielmacher, den in Deutschland kaum einer kannte: Andreas Herzog. Der zauberte in den Stadien der Alpenrepublik, aber würde das auch für Werder reichen? Herzog erinnert sich, dass Rehhagel dermaßen sichergehen wollte, dass er sogar noch ein weiteres Mal nach Wien düste, zu einem Länderspiel gegen Wales, in dem es mutmaßlich was auf die Knochen geben würde. „Als ich hörte, dass der Herr Rehhagel kommt, habe ich mir gedacht: Der kennt mich nur als feinen Fußballer, also muss ich mich in den Zweikämpfen gegen die Waliser voll reinhauen.“ Ein gewagter Plan, der aber aufging. „Nach dem Spiel sagte Herr Rehhagel zu mir: Spielerisch war das ja nicht das Gelbe vom Ei, aber wie Sie da in die Zweikämpfe gegangen sind! Jetzt weiß ich, dass Sie für die deutsche Bundesliga gerüstet sind.“
Herzog, der Alpenmaradona, fand in Bremen sein Glück. Als er im Jahr 2000 im Werder-Trikot mit Ailton und Claudio Pizarro ein begnadetes Offensiv-Trio bildete, wurde knapp 1100 Kilometer südlich in Graz Romano Schmid geboren, der jüngste Österreich-Import der Bremer. Rehhagel wäre bei diesem Spieler wohl noch viel öfter ins Nachbarland geflogen, um zu erfahren, was genau er denn bekommen würde, wenn er den jungen Mann verpflichtet.
Denn wer drei Spiele von Romano Schmid gesehen hat, könnte glauben, dass er drei verschiedene Spieler erlebte. Der eine ist frech und mutig, spielt feine Pässe und sieht die Räume, bevor der Gegner sie schließen kann. Der andere lässt sich von einer härteren Gangart oder weniger Ballkontakten schnell die Freude am Spiel nehmen. Und der Dritte, den man nun bei Werders 4:0-Sieg gegen Aue sah, der
zirkelt den Ball gekonnt selbst in die Maschen – und endlich mal nicht wieder knapp drüber.
Eigentlich richtig gut, aber nicht immer gut genug: Diesen Eindruck hinterließ Schmid schon oft in seiner Laufbahn. Mit 17 feierte er sein Profidebüt bei Sturm Graz und wurde einer der jüngsten Torschützen. Landesprimus RB Salzburg griff zu, ließ das Talent aber im kleineren Liefering reifen. Dann schlug Werder zu, verlieh ihn aber nach Wolfsberg, wo er national und international alles zeigte: mal Genie, mal Torschütze, mal nicht zu sehen.
Wenn man im Spiel genau auf ihn achtet, ist der 1,68-Meter-Mann manchmal die größte noch verbliebene Attraktion. Spielwitz, Ballbehandlung, freche Dribblings, genaue Pässe – dann wirkt er wie eine letzte Hommage an die Herzogs, Micouds, Diegos und Özils, die früher bei Werder den Ball streichelten. Und in anderen Spielen taucht er völlig ab. Schmids Tor zum 1:0 gegen Aue wirkte wie eine Befreiung. Eine schönere Szene gab es aber nach dem 4:0: Da lief Torschütze Niclas Füllkrug zu Schmid und bedankte sich – denn der Österreicher hatte den feinen vorletzten Pass in die Tiefe gespielt, der den Raum erst öffnete.
Welchen der drei Schmids man sehen wird, weiß man bei Spielbeginn nie. Der 21-Jährige kann alle drei Versionen überzeugend darstellen. Er ist übrigens einer der wenigen, die in allen 17 Werder-Pflichtspielen dieser Saison auf dem Platz standen. Ein Schmid ist halt immer dabei…