Wenn alles normal läuft, wird Marco Friedl schon in den ersten Wochen der neuen Saison sein 200. Pflichtspiel für Werder machen. 195 sind es bisher in der Bundesliga, der 2. Liga und im DFB-Pokal, hinzu kommen zwei Partien in der Abstiegsrelegation – woran man merkt, wie lange der Österreicher schon für Werder auf dem Platz steht. Die beiden Relegationsspiele gegen Heidenheim, noch unter Trainer Florian Kohfeldt, waren im Juli 2020. Beide Duelle wurden nicht gewonnen, 0:0 und 2:2, das reichte Bremen aber zum kurzzeitigen Verbleib in der ersten Liga. Ein Blick auf die Aufstellung von damals zeigt: Aus dem heutigen Team waren nur Friedl und Milos Veljkovic in der Startelf dabei.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Die Mannschaft des SV Werder wurde seither runderneuert. Ob sie auch besser ist als die Fast-Absteiger von damals, lässt sich aber kaum sagen – immerhin standen in jener Saison Größen wie Niclas Füllkrug, Davy Klaassen, Maxi Eggestein oder Theo Gebre Selassie auf dem Rasen. Was sich seither aber verbessert hat, sogar erheblich, ist die Rolle von Friedl: Nicht nur, weil er nicht mehr zwischen Linksaußen und Innenverteidigung pendeln muss – sondern auch, weil er zum Kapitän und Wortführer aufstieg.
Seit mehr als sieben Jahren ist Friedl in Bremen. Der SV Werder ist und bleibt seine zweite Station im deutschen Profifußball nach den ersten Schritten als Jungprofi beim FC Bayern. Sein Werder-Vertrag lief bis Juni 2026, wurde nun aber vorzeitig bis 2028 verlängert. Auch wenn es schon seine zweite Vertragsverlängerung bei Werder ist, die erste gab es im Sommer 2022, war es diesmal kein Selbstläufer. Die Gespräche über die weitere Zusammenarbeit gestalteten sich zwischenzeitlich schwierig, was nicht nur an der für den Spieler sehr komfortablen Zeitschiene lag: Nach einem weiteren Jahr in Bremen hätte Friedl im Sommer 2026 ablösefrei wechseln können, was Werder natürlich verhindern wollte. Die potenziellen neuen Klubs für einen ablösefreien Wechsel hatten sich schon in Position gebracht, weshalb sich Werder, wie man hört, beim Gehalt mehr bewegen musste als anfangs gedacht.
Die geglückte Vertragsverlängerung war nicht nur aus sportlichen oder wirtschaftlichen Gründen wichtig, um den Abwehrchef zu halten und einen ablösefreien Weggang im Folgejahr zu verhindern. Es gab weitere Aspekte, wegen denen eine gewisse Eile geboten war bei diesem Vertragspoker. Denn wenn Friedl darauf bestanden hätte, dass er erst einmal sehen will, wie stark der Kader für die neue Saison denn überhaupt aussieht, wäre das für Werder ein schwieriger Sommer geworden: Es gibt keine Gewissheit, dass die erhofften und dringend benötigten Millionen-Angebote für Stammspieler wie Romano Schmid, Jens Stage, Michael Zetterer oder Marvin Ducksch schon in den ersten Wochen nach Saisonende vorliegen.
Gerade wegen der bis Mitte Juli laufenden Klub-WM könnten die internationalen Transfers in diesem Sommer eher spät anlaufen, wie man das aus den Jahren mit Welt- und Europameisterschaften kennt. Und nach Verkäufen hätte es Werder erst einmal gelingen müssen, die entstandenen Lücken in der Stammelf so gut zu schließen, dass einer mit den Qualitäten von Friedl wirklich zu einer Unterschrift bereit gewesen wäre. Wenn der Österreicher kurz vor Saisonstart gesagt hätte: Nee, liebe Leute, diese Personalplanung überzeugt mich nicht – dann hätte Werder auch ihn noch schnell verkaufen und zudem einen Ersatz für diese Schlüsselposition finden müssen.
Man darf nicht unterschätzen, wie sehr diese Problematik auf Friedls Kollegen in der Kabine abstrahlte. Einerseits bekommen es die anderen Werder-Profis natürlich mit, wenn die Verhandlungsrunden zwischen ihrem Kapitän und dem Verein ergebnislos vertagt werden. Dadurch entstehen Fragen und Gerüchte. Obendrein war die Einigung mit Friedl aber auch ein wichtiges sportliches Zeichen an diejenigen im Kader, die Werder gerne behalten möchte. Den Kapitän nicht überzeugen zu können, wäre ein fatales Signal gewesen für alle Spieler, die sich mit der Frage beschäftigen, ob Werders Mannschaft in den kommenden Jahren wirklich gut genug sein wird für ihre persönlichen Ambitionen. Schließlich unterscheidet sich die Selbsteinschätzung mancher Profis deutlich von einer objektiven Außenbetrachtung – ein Umstand, der bei so manchen Vertragsverhandlungen schon für erstaunte, oder besser: für enttäuschte Gesichter gesorgt hat.
Es war zudem gut, nach den Abgängen von Anthony Jung und Milos Veljkovic, deren Verträge auslaufen, nicht noch einen dritten Innenverteidiger zu verlieren. Mit Friedl bleibt nun der beste und wertvollste Abwehrspieler – es sei denn, im Sommer flattert ein attraktives, zweistelliges Millionenangebot für ihn rein. Dann könnte das neue Beziehungsglück zwischen Verein und Kapitän wieder auf eine harte Probe gestellt werden. Dann aber hätte Werder bei einem Poker bessere Karten.