Als Trainer von Werder Bremen konnte man in den vergangenen beiden Jahren nicht viel Lob erwarten. Die Lage war immer schwierig und wurde im Laufe einer Saison noch schwieriger. Dieses Siechtum zu erklären, war auch für den rhetorisch starken Florian Kohfeldt irgendwann nicht mehr möglich.
Sein Nachfolger Markus Anfang hat sich ein erstes Lob dafür verdient, wie er mit der Situation bei Werder umgeht: Wenige Tage vor dem ersten Zweitligaspiel gegen Hannover ist der Bremer Kader nicht einmal annähernd fertig; viele Spieler müssen noch runter von der Gehaltsliste, ein paar günstige Alternativen sollen noch kommen. So eine Situation hat es beim SV Werder noch nie gegeben. Markus Anfang nennt das „sehr speziell“, eine in jede Richtung dehnbare Formulierung.

Die Werder-Kolumne im WESER-KURIER.
Wie Kohfeldt jammert auch Anfang nicht darüber, dass ihm Werder schlechtere Arbeitsbedingungen bietet, als sie Trainer bei anderen Vereinen genießen. Etwas erfahrener durch seine Stationen in Kiel, Köln und Darmstadt zieht er aber eine wichtige Grenze: Er ist nicht Werder, sondern nur der Trainer. Er arbeitet mit den Spielern, die ihm der Verein zur Verfügung stellt und ist für dessen Entscheidungen nicht verantwortlich. Kohfeldt schaffte diese emotionale Abgrenzung viel zu selten. Er war Bremer und Werder und Fan dieser Mannschaft – und auch noch der Trainer. Anfang kann seine Mission emotionsloser angehen und je nach Saisonverlauf auf eine härtere Gangart umstellen, ohne sich verbiegen zu müssen. Vielleicht tut genau das Werder mal gut.
Die Lage an sich verdient kein Lob. Dass bisher nur Milot Rashica und Patrick Erras verkauft wurden, ist eine schwache Zwischenbilanz so kurz vor dem ersten Pflichtspiel. Und sie entlarvt das Denken des Aufsichtsrats als Träumerei, wonach Frank Baumann als für den Abstieg verantwortlicher Sportchef im Amt bleiben musste, weil nur er die Verträge gut kenne und schnelle Entscheidungen treffen könne. Richtig ist: Hätte im Mai ein neuer Sportchef übernommen, könnte Werder heute wenigstens eine glaubhafte Erklärung für diesen völlig unbefriedigenden Kaderstau hervorbringen. Die Umbauarbeiten bei anderen Vereinen zeigen, dass „der schwierige Markt“ eine grün-weiß eingefärbte Sichtweise ist.
Denn Werder bekommt jetzt eben auch die Quittung für die Fehleinschätzungen der vergangenen Jahre: Viele Profis im Kader sind eben nicht so gut oder so belastbar, dass sie schnell einen neuen Klub finden. Selbst vermeintliche Perlen des Kaders funkeln nicht für jeden Betrachter unwiderstehlich schön.
Loben kann man, dass Werders zentrale Defensive durch die Verpflichtung des Trios Lars Lukas Mai, Anthony Jung und Nicolai Rapp frühzeitig auf belastbares Zweitligaformat getrimmt wurde und damit nicht mehr relevant ist, wann Ömer Toprak oder der zuletzt erkrankte Milos Veljkovic einen neuen Verein finden.
Werders Grundproblem ist dadurch aber nicht gelöst: Das Fehlen von Kreativität und Torgefahr führte an den Abgrund, die fehlende Widerstandsfähigkeit gab Werder den Rest. Hier muss sich noch zeigen, ob Anfang Lösungen findet und sein couragiertes Auftreten aufs Team abfärbt. Dass Werder unter diesem Trainer wieder mehr agieren soll, klingt ja gut. Kohfeldt wollte das aber auch und verzweifelte irgendwann an der dafür fehlenden Qualität im Kader.
Der Umgang mit Schaaf hat Werder geschadet
Ein Lob verdient der „Leiter Profifußball“ Clemens Fritz, der sich nie weggeduckt hat, wenn er gebraucht wurde. Dass er in dieser Rolle noch keine erkennbaren Spuren in der Branche hinterlassen hat, kann er nun ändern: Seine Präsenz neben Anfang auf der Bank und in den Pressekonferenzen bietet ihm die große Chance dazu. Dass sich Baumann hier zurücknimmt, verdient ebenfalls Lob. Sein unangemessener Umgang mit der Person Thomas Schaaf wird so vielleicht als letzter Tiefpunkt in der Außendarstellung eingehen. Die in dieser Form unnötige Trennung vom technischen Direktor, der im Mai noch den Abstieg verhindern sollte, verlief nicht einmal zweitklassig und hat Werders Ruf geschadet.
Dass die Mannschaft in dieser Woche ihren Kapitän selbst wählen soll, ist besonders löblich. In den vergangenen Jahren wurde der Kapitän vom Trainer bestimmt. Selbst Entscheidungen treffen zu müssen und mit den Konsequenzen umzugehen, könnte für diese so tatenlos abgestiegene Mannschaft eine wichtige neue Erfahrung sein. Vielleicht spürt man das ja schon gegen Hannover.