Fußballtaktik lebt von Aktion und Reaktion. Der beste Plan funktioniert nur so lange, bis der Gegner seine eigene Spielidee anpasst. Werder Bremen hatte sich vor dem Saisonauftakt gegen den FC Augsburg einen klugen Plan zurechtgelegt. Als die Augsburger in der zweiten Halbzeit allerdings ihr System umstellten, fand das Team von Trainer Ole Werner jedoch keine passenden Lösungen mehr.
Augsburgs riskante Raute
Werder-Trainer Werner setzt auch in der neuen Saison auf Kontinuität: Gegen Augsburg begannen dieselben elf Akteure, die zu Beginn der Woche im DFB-Pokal Energie Cottbus mit 3:1 besiegt hatten. Dreifach-Torschütze Keke Topp durfte erneut als Stoßstürmer auflaufen, Marvin Ducksch rückte dadurch auf die halblinke Seite. Werder begann das Spiel in einer Mischung aus 3-4-3- und 5-3-2-System.
So wie Werner eine Dreierkette in der Abwehr bevorzugt, besitzt auch Augsburgs Trainer Jess Thorup eine Lieblingsformation. Er lässt seine Mannschaft meist in einer Raute agieren. Hinter dem Doppelsturm lauern hierbei vier zentrale Mittelfeldspieler. Mit dieser Formation kann eine Mannschaft im Zentrum eine Überzahl erzeugen.
Gleichzeitig ist eine Raute aber anfällig auf den Flügeln. Die vier Mittelfeldspieler rücken meist weit auf eine Seite. Den gegenüberliegenden Flügel deckt meist nur der Außenverteidiger ab – und selbst der rückt weit auf die ballnahe Seite ein. Augsburg verteidigt meist mit allen Feldspielern auf einer Seite. Sie hoffen, den Ball weit in der gegnerischen Hälfte zu erobern. Sie riskieren aber auch, mit einer einzigen Verlagerung ausgespielt zu werden.
Agu und Weiser legen sich die Bälle auf
Werders Matchplan sah vor, genau diese Schwächen auf den Flügeln auszunutzen. Im Spielaufbau erzeugte Werners Team Breite auf beiden Seiten. Romano Schmid bewegte sich immer wieder weit auf den rechten Flügel. Marvin Ducksch wich nicht ganz so weit auf den linken Flügel aus, hier bot sich dafür der vorrückende Linksverteidiger Felix Agu an. Werder zog das Spiel stark in die Breite.
Raumgewinn erzielten die Bremer vor allem, wenn sie den Ball direkt von einem Flügel auf den anderen verlagerten. Werder nutzte die enge Formation des Gegners gezielt aus und lockte den Gegner auf eine Seite. Im Anschluss schlugen Ducksch oder Weiser den langen Ball auf den durchstartenden Agu.
So hieß das auffälligste Stürmerpärchen des Bremer Abends nicht Topp und Ducksch – sondern Weiser und Agu. Immer wieder fanden die beiden Außenverteidiger ihren Konterpart mit hohen und halbhohen Hereingaben. Agu erzielte den Führungstreffer nach einer Flanke Weisers (12.). Später hatte Weiser eine Chance nach einer Hereingabe von links (34.). An praktisch allen gefährlichen Aktionen war mindestens einer der beiden Bremer Außenverteidiger beteiligt.

Die Grafik zeigt Werders Versuch, das Spiel in die Breite zu ziehen. Schmid bewegte sich auffällig weit nach Linksaußen. Dadurch fand Werder die Lücken in der zentrumslastigen Formation der Augsburger. Weiser konnte so vorrücken und die Kombination mit Agu suchen über Verlagerungen.
Probleme in der Rückwärtsbewegung
Mit 58 Prozent Ballbesitz war Werder bis zur Pause das offensiv auffälligere Team. Dennoch gingen sie mit einem 1:2-Rückstand in die Kabine. Während Werders Offensive harmonierte, schwächelte die Defensive.
Beiden Augsburger Treffern ging ein Ballverlust voraus. Besonders bitter war dieser vor dem Ausgleichstreffer (16.), als Niklas Stark einen Pass über wenige Meter versemmelte. In beiden Situationen brauchte Werder zu lange, um nach dem Ballverlust in eine stabile Defensivformation zu finden.
Hinzu kamen altbekannte Probleme in der Strafraumverteidigung. Werder verpasste in mehreren Situationen, im eigenen Sechzehner von einer Raum- auf eine Manndeckung umzustellen. So kam Samuel Essende vor dem 2:1 frei zum Kopfball (35.). Später hatte Werder Glück, dass dem abermals freistehenden Essende der Ball an die Hand sprang (68.).
Augsburger Umstellung stellt Werder matt
Trotz des Rückstands war Werder das aktivere Team. Daran änderte sich nach der Pause wenig. Der Ausgleich fiel nach dem bekannten Muster: Erst verlagerte Werder das Spiel nach links, Agu flankte zurück auf Weiser, der schlug die Kugel postwendend zurück in den Strafraum. Der eingewechselte Justin Njinmah versenkte die dreifache Verlagerung im Tor (58.).
Mit dem Ausgleich endete jedoch Werders Dominanz, denn Thorup stellte in der Folge um. Seine Mannschaft verteidigte fortan ebenfalls in einer Dreierkette. Zeitweise liefen sie den Bremer Aufbau in einer 3-4-3-Formation an. In anderen Situationen zogen sie sich in einem 5-3-2-System zurück.
Werders bester Trick funktionierte nun nicht mehr. Augsburg deckte die Breite mit fünf Verteidigern besser ab. Zudem half Elvis Rexhbecaj nun auf dem linken Flügel aus. Er schränkte die Kreise von Weiser ein. Offensiv trat Rexhbecaj ebenfalls häufiger in Erscheinung. Augsburg versuchte, Werder über Weisers Seite zu knacken. Ihnen fehlte jedoch das Glück vor dem Tor.
Kein Schritt vor, zwei Schritte seitwärts
Werners Wechsel änderten am Spielverlauf wenig. Der Versuch, mit Marco Grüll eine hängende Spitze einzuwechseln, zündete nicht. Werder konnte sich nach dem Ausgleich kaum mehr in die gegnerische Hälfte kombinieren. Ihr Ballbesitzwert lag in dieser Phase bei 41 Prozent. Nur nach einer Ecke der Augsburger kamen sie zu einer großen Chance, die Ducksch jedoch vergab (72.).
So verpasste Werder zum Saisonauftakt einen Sieg. Angesichts der eigenen Leistung in den ersten 60 Minuten wäre dieser aber durchaus möglich gewesen, doch die Schwächen in der Rückwärtsbewegung bremsen Werder auch in der neuen Saison vorerst aus.