Seit einigen Wochen trägt Kevin Behrens das grün-weiße Trikot des VfL Wolfsburg – und es wirkt immer noch ein bisschen ungewohnt. Im Winter hatte der gebürtige Bremer den 1. FC Union Berlin nach zweieinhalb sehr erfolgreichen Jahren überraschend verlassen. Im Interview mit unserer Deichstube spricht der Nationalspieler nun über die Gründe für den Wechsel, die Partie am Sonnabend bei seinem Ex-Klub Werder Bremen (15.30 Uhr) und über seinen späten Aufstieg ins Profigeschäft. Der 33-jährige Angreifer, der von 2008 bis 2011 in der Bremer Jugend und für die dritte Mannschaft der Norddeutschen gespielt hat, verrät zudem, warum er im Sommer 2021 ein Angebot von Werder ausschlug, sich stattdessen für einen Wechsel zu den „Eisernen“ entschied und wie er kürzlich die Pfiffe der Union-Fans gegen ihn erlebt hat.
Kevin Behrens, was ist für Sie als gebürtiger Bremer eigentlich schöner – ein Bundesliga-Spiel im Weserstadion oder Champions League im Estadio Santiago Bernabéu?
(lacht) Da muss ich ganz klar sagen: Das Santiago Bernabéu ist natürlich viel geiler und viel aufregender. Wenn du da spielst und die Champions League-Hymne hörst - das war schon Gänsehaut pur. Eine ganz besondere Atmosphäre, ein geiler Gegner – einfach magisch. Obwohl es im Weserstadion auch schön ist, aber da entscheide ich mich ganz klar für Madrid.
Am Samstag ist es wieder so weit: Zum dritten Mal in Ihrer Karriere laufen Sie in einem Bundesliga-Spiel an der Weser auf, erstmals im Dress des VfL Wolfsburg. Wie groß ist Ihre Vorfreude?
Ich freue mich, wieder im Weserstadion zu spielen. Vor allem, weil es jetzt endlich wieder losgeht nach der Länderspielpause. Mit dem neuen Coach Ralph Hasenhüttl herrscht bei uns auch wieder eine gewisse Euphorie. Wir wollen unbedingt mal wieder gewinnen. Ich habe für meine Freunde und Familie zehn Tickets bestellt und hoffe, dass ich da jeden glücklich machen konnte.
Bei Ihrer Weserstadion-Premiere mit Union Berlin im Januar 2023 haben Sie sich beim 2:1-Erfolg zum Matchwinner gekrönt und das Siegtor geköpft. Was war das für ein Gefühl?
Das war ein überragender Moment. Vor 15 Familienmitgliedern und Freunden zum ersten Mal überhaupt im Weserstadion aufzulaufen und dann noch das Siegtor zu köpfen – das war natürlich umso schöner. Damals waren wir mit Union in der Tabelle auch ganz oben dabei. Das hat richtig Spaß gemacht, zu der Zeit hat einfach alles gepasst. Daran erinnere ich mich sehr gerne.
Sie waren Stammspieler und Publikumsliebling bei den „Eisernen“. Im Winter wechselten Sie nach zweieinhalb sehr erfolgreichen Jahren dann überraschend zum VfL Wolfsburg. Wie kam es dazu?
Ich hatte eine wirklich fantastische Zeit bei Union, aber dann hat Wolfsburg angefragt und sich wirklich sehr um mich bemüht. Bis dahin hatte ich mich überhaupt nicht mit einem Wechsel beschäftigt, doch dann wollte ich einfach die Chance wahrnehmen, im höheren Fußballeralter nochmal etwas Anderes in der Bundesliga zu machen. Deswegen habe ich mich für Wolfsburg entschieden. Ich bin froh, dass sie mir die Chance gegeben haben und ich habe Lust, hier in einem neuen Umfeld anzugreifen, auch wenn ich mich in Berlin sehr wohl gefühlt habe und ich dem Verein sehr dankbar dafür bin, dass sie mir die Bundesliga ermöglicht haben.
Nicht wenige Union-Fans glauben, dass Sie nur des Geldes wegen gewechselt sind…
Das war definitiv nicht der ausschlaggebende Punkt, das können Sie mir wirklich glauben.
Nur 13 Tage nach dem Wechsel spielten Sie mit den Wölfen an der Alten Försterei – und wurden von einigen Union-Fans ausgepfiffen. Wie haben Sie den negativen Empfang erlebt?
Der eine oder andere Fan hat mir den Wechsel schon übelgenommen, beziehungsweise meine Aussage, dass es hier in Wolfsburg in vielen Bereichen noch mal ein Stück weit professioneller ist als in Berlin. Aber dazu stehe ich nach wie vor. Union ist erst im fünften Jahr in der Bundesliga, und da verfügt ein Verein wie der VfL Wolfsburg einfach über eine bessere Infrastruktur mit mehr Trainingsplätzen, Athletiktrainern und einem größeren Kraftraum. Das ganze Drumherum ist noch mal größer, das war ja gar nicht despektierlich gegenüber Union gemeint. Dass Fans enttäuscht sind und deshalb pfeifen, ist legitim, aber ich war trotzdem traurig und enttäuscht darüber, dass ich ausgepfiffen wurde. Vor allem, weil ich vielleicht abgesehen vom letzten halben Jahr, eine sehr erfolgreiche, intensive und schöne Zeit mit den Fans, der Stadt und dem Verein hatte.
Beim VfL Wolfsburg läuft es in diesem Jahr überhaupt noch nicht rund. Sie warten seit elf Spielen auf einen Sieg. Warum bekommt das Team seine Qualität so selten auf den Platz?
Das ist wirklich eine gute Frage. Ich denke, wir haben eine hohe Qualität in der Mannschaft, aber wir haben es zuletzt einfach nicht auf den Rasen bekommen. Natürlich hat uns das eine oder andere Mal zuletzt auch ein wenig Matchglück gefehlt, aber warum wir so eine lange Durststrecke haben, ist schwer zu sagen. Ich kann es mir selbst nicht so wirklich erklären.
Nach einem ordentlichen Start mit einem Assist gegen Hoffenheim und einem Tor gegen Frankfurt, lief es auch für Sie persönlich zuletzt nicht mehr so gut. In Leverkusen reichte es nur zu einem zweiminütigem Kurzeinsatz, bei der jüngsten 1:3-Heimniederlage gegen Augsburg schmorten Sie dann 90 Minuten lang auf der Bank. Wieso?
Wir haben in den letzten Spielen nur mit einem Stürmer gespielt. Gegen Stuttgart war ich noch die alleinige Spitze, da haben wir als Mannschaft und auch ich dann nicht ganz so gut performt. Danach hat Niko Kovac sich in den anderen beiden Spielen für Jonas Wind entschieden. Nichtsdestotrotz gebe ich immer Gas, versuche meine Stärken auf den Platz zu bringen und der Mannschaft zu helfen, ob in Minute 3 oder 88. Dafür bin ich nach Wolfsburg gekommen.
Wegen der andauernden sportlichen Krise wurde Trainer Niko Kovac entlassen, für ihn hat Ralph Hasenhüttl das Ruder übernommen. Welchen Eindruck haben Sie vom neuen Coach?
Er hat einen klaren Plan mit und gegen den Ball, den er versucht hat, uns in der Länderspielpause zu vermitteln. Er hat uns die Abläufe aufgezeigt, wie er sie sich vorstellt, in welchen Räumen wir uns bewegen sollen. Auch seine Ansprache an die Mannschaft ist klar, und ich bin gespannt, wie schnell wir den neuen Fußball auf dem Platz umsetzen können. Es ist auf jeden Fall eine klare Handschrift zu erkennen.
In der laufenden Saison haben Sie schon den zweiten Trainerwechsel erlebt. Bei Union musste der langjährige Erfolgscoach Urs Fischer, der Ihnen das Tor zur Bundesliga öffnete, seinen Hut nehmen. Wie sehr tat es Ihnen persönlich weh, als der eigene Förderer gehen musste?
Es war schon sehr traurig und enttäuschend, als Urs Fischer gehen musste. Wir hatten so viele Erfolge mit ihm, er hat mich nochmal zu einem besseren Spieler gemacht und mich immer wieder gefördert und gefordert. Wir haben als Mannschaft wirklich alles versucht, aber es hat leider nicht sollen sein. Und dann ist es im Fußballgeschäft leider auch klar, dass der Trainer irgendwann gehen muss – egal, was er vorher alles erreicht hat.
Am Samstag geht es für Sie gegen Ihren Ex-Club Werder, der gerade zumindest eine kleine Durststrecke erlebt und seit vier Spielen auf einen Sieg wartet. Wie sehen Sie die Bremer aktuell?
Sie sind echt schwer einzuschätzen. Die Mannschaft ist für mich eine kleine Wundertüte. Ich denke aber, dass Werder für uns auf jeden Fall ein schlagbarer Gegner ist, auch wenn wir ebenfalls nicht gerade vor Selbstvertrauen strotzen. Sie haben den einen oder anderen wichtigen Spieler, der gesperrt ist. Dennoch wird es ein heiß umkämpftes, enges Spiel werden.
Sie waren als Kind großer Werder-Fan. Von Ihnen stammt der Satz: „Als kleiner Junge wollte ich immer für Werder Bremen auflaufen.“ Warum haben Sie sich im Sommer 2021 dennoch für einen Wechsel zu Union Berlin und nicht für eine Rückkehr an die Weser entschieden? Es gab auch ein Angebot aus Bremen...
Werder ist damals in die zweite Liga abgestiegen. Auch wenn ich ein großer Sympathisant des Vereins bin und Bremen meine Heimatstadt ist, hat mich das Angebot von Union damals noch etwas mehr gereizt, einfach weil sie Erstligist waren. Die Bundesliga war der ausschlaggebende Punkt, dass ich zu Union gewechselt bin. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.
Als 17-Jähriger wechselten Sie 2008 vom SC Weyhe in den Nachwuchs des SV Werder, wo sie aber nicht über die dritte Mannschaft in der Bremen-Liga hinauskamen. Was haben Sie damals gedacht, als es nicht einmal für die U23 reichte?
Ich war natürlich enttäuscht. Eigentlich sollte ich mich in der Vorbereitung der U23 im Training zeigen, hatte mich dann zum Vorbereitungsstart aber verletzt und fiel erstmal länger aus. Zu der Zeit war ich noch sehr naiv und hatte gar keine Ahnung vom Fußballgeschäft – deswegen bin ich einfach in Bremen geblieben und habe gehofft, dass ich es im Winter vielleicht hoch schaffe.
Sie galten zu dieser Zeit und auch in den Jahren danach als schwieriger Typ, als Hitzkopf, der sich wenig sagen lässt und auch mal ein Frustfoul zu viel begeht. Woher kam Ihre Verbissenheit?
Ich war schon immer ein sehr ehrgeiziger und ungeduldiger Typ. Wenn es früher mal nicht so gut lief oder ich Rückschläge erlitten habe, konnte ich damit emotional nicht so gut umgehen. Dann hat sich das meistens in einer Unzufriedenheit, einer pampigen Art oder sogar Aggressivität geäußert. Ich war zu meinen Regionalliga-Zeiten lange unzufrieden, weil ich wusste, dass ich mehr kann.
Standen Sie sich damit selbst im Weg?
Ja, zu 100 Prozent! Die eine oder andere Rote Karte hat mir bestimmt den Weg verbaut, schneller nach oben zu kommen.
Wann haben Sie gemerkt, dass Sie etwas ändern müssen, um es in den Profifußball zu schaffen?
Als ich bei Rot-Weiß Essen in der Regionalliga im Winter den Vertrag aufgelöst habe, weil es dort für beide Seiten einfach nicht mehr gepasst hat. Da war ich 25 Jahre alt und habe gedacht: So kann es nicht weitergehen! Ich muss jetzt etwas verändern.
Was war das?
Es hat da bei mir einfach klick gemacht, und ich habe fortan versucht, mich mehr auf mein Spiel zu konzentrieren. In Saarbrücken hatte ich mit Dirk Lottner zudem einen Trainer, der gut mit mir umzugehen wusste. Der hat es auch mal durchgehen lassen, wenn ich im Training einen über die Klinge springen lassen habe. Er hat mich dann zur Seite geholt und gesagt: „Kevin, das hast du gar nicht nötig. Konzentriere dich auf dein Spiel.“ Ab da an hat es immer besser funktioniert, und ich habe mich auch persönlich weiterentwickelt.
Was wären Sie geworden, wenn es mit dem Fußball nicht geklappt hätte?
Einen Plan B hatte ich nicht. Ich habe einfach nur an Fußball gedacht und wollte kicken. In der Regionalliga habe ich ja durchaus den einen oder anderen Groschen verdient. Natürlich nicht so viel, dass man ausgesorgt hat, aber ich konnte schon immer ein bisschen was zur Seite legen. Ich hätte vermutlich irgendwann eine Ausbildung angefangen und parallel weiter Fußball gespielt.
Es kam anders: Sie landeten mit 27 Jahren beim SV Sandhausen in der 2. Liga, mit 30 in der Bundesliga. Letztes Jahr feierten Sie mit 32 Jahren sogar Ihr Länderspiel-Debüt für den DFB. Während der USA-Reise wurden Sie in Philadelphia beim 2:2 gegen Mexiko kurz vor Schluss eingewechselt. Müssen Sie sich manchmal kneifen, wie das alles noch klappen konnte?
Ja, auf jeden Fall. Es ist Wahnsinn, wenn du in dieser Zeitspanne lebst, geht das alles so rasend schnell. Bei Union haben wir erst Conference League, dann Europa League und später Champions League gespielt. Da hast du alle drei Tage ein Spiel. Dann bist du so fokussiert auf die nächste Partie, dass du das alles gar nicht so wirklich realisierst. Aber als ich mir jetzt die DFB-Länderspiele gegen Holland und Frankreich angeguckt habe, dachte ich mir: „Boah, krass! Du warst einfach vor vier Monaten bei der Nationalmannschaft dabei. Und vor drei Jahren warst du noch in der 2. Liga. Das ist einfach verrückt! Ich habe immer Gas gegeben und bin dafür zum Glück belohnt worden.
Für die jüngsten Länderspiele wurden Sie von Bundestrainer Julian Nagelsmann nicht berücksichtigt. Wie weit sind Sie aktuell von der Nationalmannschaft weg?
Ich denke, dass ich da schon relativ weit weg bin. Natürlich wäre es schön, noch mal dabei zu sein, aber ich mache mir darüber ehrlich gesagt keine Gedanken und konzentriere mich lieber auf meine Arbeit im Verein. Aktuell verfolge ich die Länderspiele als Fan und fiebere mit den Jungs mit, wenn es zeitlich passt.
Sie sind jetzt 33 Jahre alt. Welche Ziele haben Sie noch in Ihrer Karriere?
Ich habe hoffentlich noch ein paar gute Jahre im Köcher, in denen ich noch richtig erfolgreich spielen kann. Ich will so lange auf Top-Niveau kicken, wie der Körper es mitmacht. Aber jetzt wollen wir erstmal mit Wolfsburg möglichst viele Punkte sammeln, damit wir da unten schnell rauskommen, um irgendwann auch wieder ambitioniertere Ziele verfolgen zu können.