Wenn David Woisetschläger auf die Tabelle schaut, findet er Werder regelmäßig im oberen Drittel. Mal auf Platz sechs, mal auf Platz sieben, mal auf Platz acht, „immer in der Nähe der Europa-League-Ränge“, sagt der Hochschulprofessor. Woisetschläger arbeitet an der Technischen Universität Braunschweig, die seit neun Jahren regelmäßig die Markenmeisterschaft ausruft. Sein Lehrstuhl untersucht dann das Image und die Bekanntheit der 36 Profiklubs in erster und zweiter Liga. Und anders als in der Bundesliga-Tabelle, wo Werder in den vergangenen zehn Jahren ziemlich zuverlässig einen Platz in der unteren Hälfte belegt hat, schneiden die Grün-Weißen im Marken-Ranking ebenso zuverlässig besser ab.
Bodenständig, authentisch, unaufgeregt, sympathisch – das sind Attribute, die Woisetschläger selbst, aber auch den meisten der 4000 Deutschen zu Werder einfallen, die jährlich von der TU Braunschweig befragt werden. Und das ist die gute Nachricht in diesen für Werder so schweren Tagen: „Eine Marke ist bei den Menschen ein verankertes Bild, das sich nicht über Nacht verändert, das mit einem Abstieg nicht einfach gelöscht wird“, sagt Woisetschläger.
Werder steht vor einem Scherbenhaufen. Nach dem Abstieg rechnen die Verantwortlichen mit Einnahmeverlusten in Höhe von mindestens 40 Millionen Euro. In der zweiten Liga gibt es weniger TV-Geld, weniger Sponsorenerlöse, weniger Ticketeinnahmen. Der Klub spart zwar Kosten bei der Mannschaft, weil sich die Spielergehälter in der zweiten Liga reduzieren. Aber trotzdem umtreibt Bremen die Frage: Wie soll es weitergehen mit einem der größten Werbeträger der Stadt?
Wenn es nach dem Bremer Wirtschaftsprofessor Christoph Burmann geht, lieber nicht mit Hilfe eines starken Investors. „Aus Markensicht warne ich davor“, sagt Burmann, der an der Uni Bremen lehrt, „ein Investor, der reinkommt, sein Geld auf den Tisch legt und sagt: ,Ich ziehe Werder jetzt aus dem Sumpf‘ würde nicht zum Image passen.“ Vereine wie der Dietmar-Hopp-Klub Hoffenheim, die von Brause-Milliardär Dietrich Mateschitz alimentierten Leipziger oder Hannover 96 mit Multimillionär Martin Kind funktionieren zwar so, vor allem Leipzig sportlich sehr erfolgreich, „aber entsprechend ist das Image“, sagt Burmann. Nämlich nicht besonders gut. Für sympathisch und bodenständig jedenfalls halten eher wenige Fußballfans diese Klubs.
Werder hat in den vergangenen Jahren zwei Geldgeber geholt, die bei vielen Fans umstritten sind; den Geflügelproduzenten Wiesenhof als Trikotsponsor und den Immobilienkonzern Wohninvest als Sponsor für den Stadionnamen, im Sinne der Marke, sagt Burmann, „sollte Werder es dabei belassen.“
Auf seine Fans, da sind sich Woisetschläger und Burmann einig, wird sich Werder zumindest in der nächsten Saison noch verlassen können. Fans sind leidensfähig. „Ein wahrer Fan ersetzt seinen Verein im Misserfolgsfall nicht einfach durch einen anderen“, sagt Woisetschläger, „eine starke Marke gibt Kredit in schlechten Zeiten: Die Werder-Fans werden auch gegen Hannover 96 ins Stadion kommen, sie werden auch nächste Saison das neue Trikot kaufen.“
Probleme sieht der Braunschweiger Professor bei zwei anderen Gruppen: bei der nachwachsenden Generation und bei den Sponsoren. Wie wird man Werder-Fan? „Aus Lokalpatriotismus, weil man in Bremen oder im Umland groß geworden ist“, sagt Woisetschläger. Und weil man die großen Zeiten des Klubs hautnah miterlebt hat; die 80er- und 90er-Jahre unter König Otto, die 2000er-Jahre unter Thomas Schaaf. Aber was passiert mit den heute Acht- bis Zehnjährigen, die keinen Wiese, Frings, Mertesacker, Diego oder Özil je live im Werder-Trikot erlebt haben? „Gut möglich, dass sie sich für andere Vereine entscheiden“, sagt Woisetschläger, Vereine mit Idolen wie Sané, Haaland oder Sancho.
"International nimmt man die zweite Liga kaum zur Kenntnis“
Wichtig werde für Werder außerdem sein, wie die Businesspartner auf den Abstieg reagieren, so Woisetschläger. Denn die Sponsoren verbinden mit einer Partnerschaft bestimmte Ziele. Sie wollen vom guten Image des Vereins profitieren, und sie wollen Reichweite erzielen. Die Reichweite wird im nächsten Jahr abnehmen. Die zweite Liga ist, nun ja, die zweite Liga. Ein paar Feiertage könnte es zwar geben, wenn der HSV, wenn Schalke, wenn womöglich die Kölner nach Bremen kommen. Auch Traditionsklubs wie Hannover 96, Dynamo Dresden oder der 1. FC Nürnberg haben eine gewisse Strahlkraft. „Aber international nimmt man die zweite Liga kaum zur Kenntnis“, sagt Woisetschläger, „in Asien schaut außer der einen oder anderen Führungskraft, die Werder-Fan ist, kaum ein Mensch zweite Liga.“ Vom Wachstum der globalen Fußballindustrie wird Werder mehr denn je abgehängt sein.
Umso wichtiger, sagt Woisetschläger, dass es den Werder-Verantwortlichen jetzt gelinge, eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen. „Auch wenn’s schwerfällt, muss man Lebensenergie ausstrahlen, seine Ambitionen unterstreichen und die Rückkehr in die Bundesliga anstreben.“ Was wäre auch die Alternative? „Mit einer gemeinsamen Begräbnisfeier von Verein, Sponsoren und Fans ist jedenfalls niemandem geholfen."