Ein Augustvormittag in Bremerhaven. Es soll heute noch richtig heiß werden im Norden. Und doch sieht es hier für ein paar Sekunden nach einem Wintereinbruch mitten im Sommer aus. Sacht wie Schneeflocken rieseln Daunen aus der Hand von Stephan Schulze-Aissen – ein Moment entsprungen aus dem Märchen von Frau Holle: Der Chef des Bettenhauses Aissen lässt es kurz schneien.
Sein Unternehmen hat sich auf die Nachtruhe spezialisiert. Hier gibt es alles rund um den Schlaf: Nachthemden, Schlafanzüge, Unterwäsche, Bettwäsche, Unterfederungen, Matratzen, Zudecken, Kissen. Es bereite große Freude, Menschen dabei zu helfen, besser zu liegen, sagt er mit Begeisterung: "Damit tragen wir zum Lebensgefühl bei."
Das kuschlige Innenleben für Bettdecken bewahrt sein Traditionsgeschäft im hinteren Teil des Ladens auf. Die Flaumfedern scheinen in den himmelblauen Kisten wie Wolken zu schweben. Je nach Kundenwunsch und Kundenbedürfnis gibt es die passenden Daunen – wärmer oder kälter, schwerer oder leichter. Über allem steht hier die Frage: Wie sieht das perfekte Bett für den Kunden aus?
Das Geschäft ist besonders. Die Menschen geben hier Einblick in ihre Nachtruhe – da ist Fingerspitzengefühl gefragt. "Meinen Mitarbeitern und mir erzählen die Menschen alles! Wir erfahren Schlafzimmergeschichten – herrlich!", sagt der Geschäftsinhaber amüsiert. Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien extrem wichtig. Es gehe eben nicht nur um die Produktkenntnis, sondern auch viel Menschenkenntnis.
Von außen sieht das Geschäft im Stadtteil Lehe recht gewöhnlich aus. In einem schönen historischen Gebäude mit Stuckverzierung befindet sich das Bettenhaus – im Schaufenster stehen Figuren in Nachtwäsche umgeben von vielen Kissen und Decken. Doch der Laden ist tatsächlich gefragt über die Grenzen der Seestadt deutlich hinaus. Kunden reisen aus dem ganzen Norden nach Bremerhaven, um sich hier beraten zu lassen. Für einen Kunden aus Hamburg ist vor Kurzem sogar ein Bett für dessen Haus in Marbella aufgebaut worden. Basketballer aus Bremerhaven, die ein besonders großes Bett brauchen, bekommen hier Hilfe. Aissen betreut erstaunliche 10.500 Stammkunden.
Auf seinem Gebiet ist der Bremerhavener Textilbetriebswirt Schulze-Aissen ein bundesweit tätiger Experte. Als einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bettwaren – insbesondere Haustextilien, Bettwäsche und Matratzen – schreibt er mehrmals im Jahr Gutachten für Gerichte. Ein wichtiger Bereich seien Kaffeefahrten: Immer wieder werden dabei Produkte mit Heilsversprechen verkauft, die aber letztendlich "völlig überteuerter Schrott" seien, sagt Schulze-Aissen. "Und das Gericht fragt sich dann: Ist diese Zudecke 2000 Euro wert?"
Bettwaren, die angeblich Krebs heilen können – so etwas werde behauptet. Gutachten dazu machten ihm besonders viel Spaß, wenn Gaunern das Handwerk gelegt werden könne. Immer wieder gebe es auch kuriose Dinge. So stand Schulze-Aissen schon wegen eines Prozesses mit Richtern in einem Bremer Swingerklub. Entsprechen die Riesenliegeflächen, die zum Unmut des Betreibers Wellen warfen, der Produktbeschreibung des Lieferanten? Das musste der Experte bewerten.
Die Geschichte des Unternehmens Aissen begann schon im Jahr 1895. Damals kaufte Peter Frerich Aissen das Gebäude. Sein Laden war breit aufgestellt. "Es gab alles", erinnert Stephan Schulze-Aissen an die Anfangstage seines Urgroßvaters. Socken, Schuhe, Gummistiefel, Pudelmützen. Betten gehörten damals zwar ebenfalls zum Angebot, aber waren nur ein kleiner Teilbereich.
Heute ist der Fokus ganz klar. Der Schlaf wird hier zur Wissenschaft, wenn die Bedürfnisse des Kunden erforscht werden. Wenn die Anforderungen hoch sind, können Beratungsgespräche durchaus drei bis vier Stunden dauern. „Da geht es schon ans Eingemachte“, sagt Schulze-Aissen. Physiotherapeuten und Ärzte der Kunden werden dann konsultiert.
Matratzen aus dem Internet? Der Unternehmer hat Verständnis, warum sich jemand so entscheidet, weil einige genau auf den Preis schauen müssten. Nur von den immensen Rabatten bei der Bettware solle man sich nicht blenden lassen. Das sei Marketing.
Und wie liegt man eigentlich richtig? In Rückenlage? Das sei zwar die Empfehlung der Mediziner. Kontrolle gibt es aber, so erklärt der Experte, über die Lage nicht. "Wir können nur ein einziges Mal bestimmen, wie wir liegen, und zwar wenn wir einschlafen. Ab dann übernimmt die gesamte Schlafmotorik unser Unterbewusstsein. Sie können es nicht beeinflussen."
Wie wichtig eine ernsthafte Beratung zum Schlaf sein kann? Das wird im Gespräch mit Schulze-Aissen deutlich. Manchmal hätten die Kunden tiefere Probleme als nur die verkehrte Matratze. Im Geschäft liegen Visitenkarten von Psychologen, um Kunden dezent Hilfe an die Hand geben zu können, wenn allein die richtige Ausstattung fürs Schlafzimmer keine Lösung bringen wird.
In vierter Generation führt Schulze-Aissen das Unternehmen. Seine Frau Heike Kück dürfte derweil eher der Schlaf von Eisbären und Polarfüchsen umtreiben – als Direktorin des Zoos am Meer in Bremerhaven. "Völlig andere Welt!", sagt der Bettwarenexperte mit seiner fröhlichen Art. Wenn er dort zu Besuch sei, werfe er natürlich vor allem ein Blick auf die Nester der Eiderenten – und ihre Daunen.