Im Fall des 19-jährigen Bremers Kerim Ucar, dem im Oktober vergangenen Jahres im Klinikum Mitte eine Niere statt der Milz entfernt wurde, liegt jetzt ein erstes Gutachten vor. Das bestätigt der Rechtsanwalt der Familie, Hans-Berndt Ziegler, dem WESER-KURIER auf Nachfrage. Er hatte das Gutachten über die gesetzliche Krankenversicherung beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) in Auftrag gegeben. Dort gebe es eine eigene Abteilung für Behandlungsfehler, in der medizinische Gutachten für gesetzlich Krankenversicherte erstellt würden. In der vergangenen Woche sei das Gutachten eingegangen – und es komme nach seiner Bewertung zu einem klaren Ergebnis, wie der Fachanwalt für Medizinrecht aus Marburg betont.
„Damit ist aus unserer Sicht klar, es handelt sich um einen groben Behandlungsfehler. Und es müsste sogar zu einer strafrechtlichen Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung kommen“, so Ziegler. Die MDK-Gutachter hätten sich auf Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezogen, nach denen Organe beurteilt würden, um sie zu identifizieren – bevor sie entfernt würden. Auf Basis dieser Richtlinien hätten sie den Eingriff in dem Bremer Krankenhaus als eine Sache klassifiziert, die nicht passieren dürfe. Ziegler: „Das ist nach unserer Bewertung sehr eindeutig ausgefallen.“
Normalerweise rate er Mandanten beim Verdacht auf einen Behandlungsfehler nicht dazu, strafrechtliche Schritte einzuleiten, sagt der Marburger Rechtsanwalt. Der Grund dafür sei, dass dies die Sache in der Regel verzögere. „Außerdem fallen Strafverfahren gegen Ärzte meistens zu deren Gunsten aus. Das heißt: Die Verfahren werden eingestellt.“ Daher empfehle er in den meisten Fällen, den zivilrechtliche Weg einzuschlagen. Im Fall seines Bremer Mandanten sei es aber so gewesen, dass die Familie bereits kurz nach der Operation Strafanzeige gestellt hatte, bevor seine Kanzlei von der Familie beauftragt worden sei, sodass das Verfahren bereits angelaufen war. So seien etwa die Krankenunterlagen von der Bremer Staatsanwaltschaft für die Ermittlungen beschlagnahmt worden.
Eingeschränkte Leistungsfähigkeit durch erkrante Milz
Wie berichtet, war der heute 19-jährige Bremer am 5. Oktober in dem Krankenhaus an der St.-Jürgen-Straße operiert worden. Wegen einer Vorerkrankung – einer sogenannten Kugenzellenanämie – sollte die erkrankte Milz entfernt werden. Der Operateur habe dazu geraten, sagte die Mutter, Durna Ucar, dem WESER-KURIER drei Monate nach dem folgenschweren Eingriff. Die vergrößerte Milz habe dazu geführt, dass ihr Sohn einen Teil seiner Leistungsfähigkeit eingebüßt hätte. Er sei oft blass und müde gewesen.
Bei der Operation ging alles schief: Statt der vergrößerten Milz wurde eine der beiden Niere entfernt. Erst einen Tag nach der Operation soll das in der Pathologie des Krankenhauses aufgefallen sein, als das Gewebe der vermeintlichen Milz untersucht werden sollte, sagte die Mutter. Die Ärzte seien hektisch in das Patientenzimmer, in dem ihr Sohn lag, gekommen und hätten per Ultraschall seinen Bauch untersucht. Nachdem die Ärzte sie über die Verwechslung informiert hätten, habe sie Strafanzeige bei der Polizei gestellt.
Auch die Bremer Staatsanwaltschaft hat ein eigenes medizinisches Gutachten innerhalb der Ermittlungen bei einem Sachverständigen in München in Auftrag gegeben. Dies sei üblich bei einer solchen fachlich komplexen medizinischen Angelegenheit. Ursprünglich sei für das Gutachten eine Frist bis Mitte Juni gesetzt worden, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Frank Passade, bestätigt.
Es gibt noch offene Fragen
Der Bericht sei bislang noch nicht eingegangen. „Das liegt daran, dass der Gutachter der Staatsanwaltschaft noch einige Nachfragen übermittelt hat, die abzuklären sind. Wir sind dabei, diese Fragen zu beantworten“, so Passade. Um welche Fragen es sich konkret handelt, könne aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht mitgeteilt werden. Wann genau mit dem Gutachten aus München zu rechnen sei, stehe ebenfalls noch nicht fest. Nach dem Eingang der fachlichen Expertise würden die Ergebnisse durch die Staatsanwaltschaft bewertet, so der Sprecher.
Kerim Ucar ist vor einigen Monaten noch einmal in einem anderen Krankenhaus operiert worden. Bei dem Eingriff wurde die erkrankte Milz entfernt. Die Mutter des 19-Jährigen hofft, dass bald Klarheit darüber herrscht, wie es zu der folgenschweren Verwechslung kommen konnte. Die Ereignisse hätten die gesamte Familie traumatisiert. Der Fall des 19-jährigen Bremers hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt.