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7. Etappe des Grenzgängers Bremen in Bremerhaven

Jürgen Hinrichs will den Haven in Bremerhaven umrunden. Denn der gehört noch zur Stadt Bremen. Aber der Wind macht ihm einen Strich durch die Rechnung.
21.08.2015, 16:55 Uhr
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Jürgen Hinrichs will den Hafen in Bremerhaven umrunden – denn der gehört noch zur Stadt Bremen. Aber der Wind macht ihm einen Strich durch die Rechnung.

"Schluss“, ruft Michael Lambert, „wir brechen ab, es hat keinen Sinn.“ Blöd und vielleicht auch zu gefährlich, sich da durchzukämpfen, meint der Bootsführer. Es sind Gäste an Bord, die es möglicherweise nicht gut vertragen würden, wenn’s noch länger derart schaukelt wie jetzt. Wer sich nicht festhält, ist übel dran, und was nicht festgehalten wird ... – zack, schon knallt die Videokamera auf den Boden, nicht schlimm, aber vorne ist sie jetzt verbogen. Der Wind weht von Nordwest, Stärke 7. Noch kein Sturm, aber nicht weit entfernt davon. Das Wasser der Außenweser vor Bremerhaven ist so kabbelig, dass wir umkehren müssen, zurück in den sicheren Hafen.

Bremen, das ist Bremerhaven, wenn man Bremen als Land betrachtet. Bremen gibt es in Bremerhaven aber auch als Stadt, als stadtbremische Häfen. Die Grenze an der Wasserseite führt an der Stromkaje entlang. Sie verläuft vom Neuen Hafen bis zu dem Punkt, an dem der vierte und vorerst letzte Abschnitt des Containerterminals (CT) beginnt.

Das Gebiet von CT4 gehört zwar Bremen, weil es die Fläche gekauft hat, unterliegt hoheitlich aber der Stadt Bremerhaven. Etwas kompliziert und vielleicht auch antiquiert. Aber so ist es nun mal und wird es wohl auch bleiben.

Michael Lambert, Kapitän des Taucherboots der Hafengesellschaft Bremenports, dreht bei, und sofort droht keine Gefahr mehr, dass an Bord die UFOs fliegen, Kaffeetassen oder anderes, das sich selbstständig macht. Freie Sicht nach vorne raus, wo die Gischt vorher wie ein Vorhang war. Einmal hat sie mich draußen voll erwischt, nicht aufgepasst, die Hose nass.


Wir können nun reden und sind nicht mehr nur mit uns selbst beschäftigt. „Herr Howe, wie sehen Sie das? Ist das hier der stadtbremische Stachel im Fleische von Bremerhaven?“ Robert Howe ist technischer Geschäftsführer von Bremenports, er hat diesen kleinen Törn möglich gemacht. „Es gibt diese Meinung“, antwortet der 52-Jährige vorsichtig, „und sie wird sich wohl noch ewig halten.“ Bremerhaven, das sich im gemeinsamen Bundesland seit jeher benachteiligt fühlt, als Underdog, dem selbst in seiner eigenen Hütte ein dicker Knochen vorenthalten wird.

„Eigentlich ist es doch anders“, erklärt Howe. Der Hafen koste viel Geld, das Bremen zahlen müsse. Von den Arbeitsplätzen dort profitierten jedoch in erster Linie die Menschen in Bremerhaven und im niedersächsischen Umland.

250 Millionen Euro sind allein für den Umbau der Kaiserschleuse draufgegangen, die vor vier Jahren neu eröffnet wurde. Dumm nur, dass sie gleich wieder kaputt gegangen ist und seitdem von den Schiffen, hauptsächlich sind es Autotransporter, nicht mehr passiert werden kann. Sie müssen stattdessen durch die Nordschleuse, kein Unglück, noch nicht einmal ein Umweg, aber wehe, wenn auch dieser Durchgang verloren geht, keinen einzigen Tag darf das passieren, dafür hängt zu viel dran, ein Riesengeschäft. In Bremerhaven sind im vergangenen Jahr 2,3 Millionen Autos umgeschlagen worden, 80 Prozent für den Export, 20 Prozent für den Import, „Weltrekord“, betont Howe.


Während wir denselben Weg wie die kastenartigen Autofrachter nehmen und durch die Nordschleuse zurück in den Kaiserhafen (Bremen!) fahren, von wo es später unter der Klappbrücke hindurch zum Anleger im Neuen Hafen (Bremerhaven!) geht, preist der Bremenports-Chef den Standort an: Kurze Wege, der Anschluss an die Eisenbahn, wenig Verwaltung, wenige Unternehmen, die etwas zu sagen haben und sich deshalb schnell absprechen können – „wir sind der produktivste Hafen in Europa, deutlich vor Hamburg, Antwerpen und Rotterdam“.

Der Kapitän und seine dreiköpfige Crew verabschieden sich, „mehr war nicht drin heute“, ruft Lambert uns noch hinterher. Wie als wollte er sich entschuldigen. Muss er aber nicht, alles in Ordnung, und dass mir auf meiner Wanderung nun zwei Kilometer Wassergrenze fehlen, mein Gott, wer will denn so päpstlich sein!

Robert Howe erzählt, dass die Navigationsgeräte sich in Bremerhaven schwer tun: „Die Senator-Bortscheller-Straße wurde nicht erkannt, wenn man Bremerhaven eingegeben hat.“ Das war zwar korrekt, weil die Straße auf Bremer Gebiet liegt und nicht in Bremerhaven. Aber was korrekt ist, muss nicht immer auch hilfreich sein.

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Mit dem Wind im Gesicht, gefühlt jetzt eher ein Sturm, stehen wir am Deich auf der Kommodore-Ziegenbein-Promenade. Sie ist nach Leopold Ziegenbein benannt, einem Kapitän des Norddeutschen Lloyd. „Sehen Sie die grüne Tonne?“, zeigt Howe zum Fahrwasser, „bis dahin verläuft ungefähr die Grenze und knickt dann nach rechts ab, in Richtung Containerhafen.“

An der Tonne sind wir auf unserer kleinen Schiffstour vorhin locker vorbeigekommen, auch noch am Eingang zur Nordschleuse, aber dann... – der Fotograf hadert immer noch. „Weicheier“, schimpft er, was ein wenig frech ist, „das wären super Bilder geworden.“

Genau auf der Grenze geht es jetzt nicht weiter, sie führt teilweise durch Sperrgebiet, keine Chance. Weil das so ist, und weil ich dem Bremenports-Chef, der mich begleitet, schlecht zumuten kann, weitere Stunden für den Grenzgang aufzuwenden, fahren wir jetzt ganze Abschnitte mit dem Auto ab, steigen zwischendurch aber immer wieder aus, um uns von Regen und Sturm durchpeitschen zu lassen und dabei zu erkunden, wo noch Bremen ist oder schon Bremerhaven.


An der Senator-Bortscheller-Straße führt ein Zaun entlang, „der ISPS-Zaun“, erklärt Howe. Er ist Teil eines umfassenden Sicherheitskonzeptes, das mittlerweile auf der ganzen Welt angewandt wird. Auslöser waren unter anderem die Terroranschläge vom 11. September 2001, seitdem wird noch einmal viel genauer hingeschaut, was in die Häfen und auf die Schiffe gelangt. ISPS, die Abkürzung von International Ship and Port Facility Security, ist der Code dafür. So mir nichts dir nichts an die Pier oder als Grenzgänger quer durchs Hafengebiet – unmöglich, da ist ein Riegel davor.

„Hier ist Bremen zu Ende“, sagt Howe, „Bremen, Bremerhaven, das ganze Land.“ Hier beginnt Niedersachsen, der Nationalpark Wattenmeer. Wir stehen am nördlichen Ende des Containerterminals. Ein eigentümlicher und an diesem Tag auch sehr rauer Ort. Auf den Wellen der Außenweser sehen wir die Schlepper tanzen. Sie warten auf den nächsten großen Pott, der den Hafen anläuft, um Ladung aufzunehmen oder zu löschen. Bremen oder Bremerhaven, die Grenze dazwischen, das ist so egal in diesem Maßstab. Hier, an dieser Stelle, gibt es den Anschluss zur ganzen Welt. Ein Gefühl, ja – von Unbegrenztheit.

Die nächste Etappe führt mich über geschichtlich kontaminiertes Gelände. Auf der Neuenkirchener Heide wurden während der Nazizeit Tausende von Menschen in Lagern eingepfercht und zur Arbeit beim Bau des U-Boot-Bunkers Valentin gezwungen.

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