Felix Matthes: Wir werden die gesamte Volkswirtschaft vom Klimaschutz her denken müssen. Gestern hat die Europäische Kommission entsprechende Pläne vorgelegt: Null Kohlendioxid-Emissionen spätestens im Jahr 2050, im Vergleich zu 1990 mindestens 55 Prozent weniger Emissionen bis zum Jahr 2030. Das ist eine neue Welt, und das betrifft alles vom Wohnquartier über das Stahlwerk bis hin zur Kaffeerösterei.
Bremen braucht mindestens 10.000 neue Wohnungen. Können die erschwinglich bleiben, wenn sie klimatechnisch auf dem neuesten Stand sind?Wir haben eine ganze Reihe von Ländern in Europa, die zeigen, dass es geht. In Skandinavien etwa hat man das intelligent gemacht. Und in Bremen gibt es mit der Überseeinsel ein interessantes Projekt, wo einmal durchbuchstabiert wird, wie das passieren muss: ein Mix aus sparsamen Gebäuden und intelligenter Energieversorgung. Das Vorhaben hat es immerhin in die Ausstellung der Akademie der Künste in Berlin geschafft – als eines der 45 Vorzeigeprojekte Europas.
Es gibt immer zwei Wahrheiten. Zum einen: Was kostet es, Wohnungen zu bauen? Zum anderen: Was wird es künftig kosten, in Wohnungen zu wohnen? In Europa bekommen wir es zunehmend mit der Bepreisung von CO2-Emissionen zu tun. Fossile Energieträger werden also deutlich teurer werden. Eine Antwort darauf ist, sparsamere Häuser zu bauen. Die Herausforderung lautet: Wie bekommt man das mit industrieller Serienfertigung oder auch mit Seriensanierung, mit intelligenten Modellen hin? Das muss nicht teurer sein als heutiges Bauen.
Ist Energie generell zu billig in Deutschland? Werden die Effizienzgewinne am Ende von zu konsumfreudigen Verbrauchern zunichtegemacht?Wir regulieren aktuell zum Beispiel eher Fahrzeugstandards: Was dürfen die verbrauchen? Das ist auch richtig so. Die schlechte Nachricht: Ein effizientes Fahrzeug ist billiger im Betrieb, wird also mehr bewegt. Deshalb brauchen wir als Ergänzung auch eine Bepreisung der CO2-Emissionen. Diesel und Benzin, Heizöl und Gas werden teurer – und so wird dann Effizienz sehr vorteilhaft.
Stichwort Verkehrswende: Mehr ÖPNV, mehr E-Mobilität oder doch Hoffen auf die Wasserstoff-Technologie?Ein besseres ÖPNV-Angebot ist die Grundvoraussetzung, ohne das wird es nicht gehen. Die spannende Frage ist, ob man da mit der Qualität hinterher kommt. Wir sehen massive Fortschritte im Bereich der Elektromobilität bei den Pkw. Und beim Wasserstoff reden wir vor allem über den Lkw-Verkehr. Verbrennungsmotoren werden vielleicht noch zehn, 15 Jahre lang eine Rolle spielen, dann aber verschwinden.
Ist die Energiebilanz beim Wasserstoff wirklich so überzeugend? Er muss doch auch erst in genügender Menge erzeugt werden.Ich nenne ihn den Grand-Cru-Champagner der Brennstoffe. Er wird immer relativ teuer sein und nur zum geringeren Teil in Deutschland produziert werden. Man braucht erneuerbare Energien, in einer Zwischenphase kann man ihn auch aus Erdgas gewinnen, wenn man das CO2 in alte Gasfelder verpresst. Eigentlich ist es immer günstiger, Strom direkt zu verbrauchen, statt ihn umzuwandeln. Aber beim Stahlwerk Bremen etwa gibt es mit Blick auf den Klimaschutz keine Alternative zum Wasserstoff.
Wahrscheinlich wird es sogar noch mehr kosten. Und man muss Wasserstoff zu sehr günstigen Preisen bekommen. Schließlich muss der grüne Stahl, der so erzeugt wird, auch einen neuen Preis bekommen. Daran arbeitet die EU-Kommission mit den Grenzausgleichsmaßnahmen: Wenn man dreckig hergestellten Stahl in die EU importieren will, gibt es darauf einen extra Zoll.
Das allein wird nicht reichen.Wir werden beim Wasserstoff die Kosten in den nächsten 20 Jahren quasi herunter kaufen müssen – und ihn so lange subventionieren. Und für die Autohersteller kann es Quoten geben, wie viel grünen Stahl sie verbauen müssen.
Das wären für Arcelor kurze Vertriebswege bis zum Mercedeswerk.Es wäre ein echter Standortvorteil – für beide.
Über welchen Zeitraum sprechen wir denn dabei?Ein bis zwei, vielleicht drei Jahrzehnte. Das klingt lang, ist es aber nicht.
Aber vor jeder Sitzung der Enquete-Kommission drängeln Greenpeace und Fridays for Future mit den Worten „jetzt“, „sofort“ und „radikal“. Was sagen Sie denen?Wenn man sich dem Thema rein normativ aus der Klimaschutzperspektive nähert, muss das alles lieber heute als morgen geschehen. Unsere Gesellschaft hat aber auch technische, wirtschaftliche und soziale Trägheiten. Ein Hochofen wird eben nur alle 16 Jahre erneuert. Ein Auto hat eine Lebenszeit von 15 Jahren. Und eine neue Infrastruktur ist auch nicht im Handumdrehen aufgebaut.
Richtig. Für das Stahlwerk bedeutet es etwa, dass man den Hochofen durch eine Anlage ersetzt, die das Eisenerz durch Wasserstoff in Eisen umwandelt. Und das dann, wenn die Sanierung des Hochofens zum nächsten Mal ansteht. Und dann stellt man daneben ein Elektrostahlwerk, das aber einen enormen Strombedarf haben wird. Der Strom ist da, aber man braucht eine neue Infrastruktur. Da werden sehr dicke Leitungen gebraucht. Und wenn die Stadt nicht bald anfängt, das vorzubereiten, dann wird das Stahlwerk nicht rechtzeitig umgerüstet.
Das hoch verschuldete Bremen muss dann also noch einmal ordentlich Geld in die Hand nehmen.Bundesregierung und EU loben derzeit Milliardensummen dafür aus. Die Leitungen investiert der Netzbetreiber. Das Land muss die Genehmigungsvoraussetzungen schaffen, die Planungen auf den Weg bringen und sich um die Kanalisierung der Fördersummen kümmern. Das kostet nicht viel Geld, das sind aber die K.O.-Bedingungen für den Standort. Denn auf den grünen Stahl jagen ja auch das Saarland, das Ruhrgebiet und Eisenhüttenstadt. Wenn Bremen sich da nicht rasch an die Spitze der Bewegung setzt, hat es bald ein potenziertes Problem.
Das Gespräch führte Joerg Helge Wagner.Felix Matthes (58) ist Elektroingenieur und promovierter Politikwissenschaftler. Am Öko-Institut Berlin koordiniert er die Forschung zur Energie- und Klimapolitik. Der Enquete-Kommission Klimaschutz der Bremischen Bürgerschaft gehört er als einer von neun externen Fachleuten an. Die 18-köpfige Kommission soll bis Ende 2021 eine Klimaschutz-Strategie für das Bundesland Bremen erarbeiten.