Herr Bovenschulte, fangen wir im Rückblick auf das Jahr mit einer Verrücktheit an, einer Entscheidung, die kein Mensch versteht und die jetzt noch einmal durch die Medien gegangen ist. Haben Sie eine Ahnung, was das sein könnte?
Andreas Bovenschulte: Nein, spannen Sie mich nicht auf die Folter.
Es ist der geplante Nachbau der „Najade“ in Bremerhaven als Ausgleich für die abgewrackte „Seute Deern“. Das Projekt soll 46 Millionen Euro kosten. Bundesrechnungshof und Bundesforschungsministerium halten den Nachbau für komplett überflüssig und plädieren dafür, das Geld zum Beispiel für das Deutsche Schifffahrtsmuseum einzusetzen.
Sie fragen den Bremer Bürgermeister etwas, für das er nicht zuständig ist. Das hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags entschieden.
Sie weichen aus. Der Bürgermeister wird doch eine Meinung haben.
Ja, mir würden auch andere Zwecke einfallen, die Mittel auszugeben, sofern sie denn frei verfügbar wären. Sind sie aber nicht. Es ist Geld des Bundes und kann nicht für andere Projekte verwendet werden.
Geld zum Rausschmeißen ist eigentlich nicht da, nirgendwo. Bremen will in den kommenden fünf Jahren trotzdem weitere drei Milliarden Euro Schulden machen.
Und das aus gutem Grund, obwohl niemand gerne Kredite aufnimmt. Wir benötigen die Mittel, um die Folgen der Energiekrise abzufedern, unsere Wirtschaft zukunftsfähig zu machen und den Weg zur Klimaneutralität zu gehen. Das sind hohe Ausgaben, keine Frage, aber ohne sie würde es am Ende noch viel teurer.
Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie das Bremer Stahlwerk. Will es eine Zukunft haben, muss dort künftig grüner Stahl produziert werden. Auch die großen stahlverarbeitenden Kunden erwarten mittelfristig diesen Umweltstandard. Ihn zu erreichen, regelt aber nicht der Markt allein, da müssen wir helfen. Täten wir es nicht, würde es das Werk mit seinen 3000 Arbeitsplätzen irgendwann nicht mehr geben. Das können wir nicht zulassen.

Stahlarbeiter am Bremer Stahlwerk.
Besteht bei dem Drei-Milliarden-Paket nicht wieder die Gefahr, dass die Mittel auch für andere Zwecke eingesetzt werden als von Ihnen genannt? Beim 1,2 Milliarden Euro schweren Bremen-Fonds gegen die Folgen der Pandemie, der mittlerweile aufgebraucht ist, wirft Ihnen die Opposition genau das vor.
Diese Kritik weise ich zurück, sie entbehrt jeder Grundlage. Bremen ist relativ glimpflich durch die Corona-Krise gekommen weil wir erfolgreich dagegengehalten haben, insbesondere mit dem Bremen-Fonds. Unser Wirtschaftswachstum ist überdurchschnittlich, wir liegen in diesem Jahr im Ländervergleich bisher im oberen Viertel.
Das ist gewiss ein Erfolg, die neuen Schulden werden aber auf Jahre und Jahrzehnte durch Zins und Tilgung eine schwere Last sein.
Deshalb gilt es auch hier, Maß und Mitte zu wahren. Kredite sind kein Selbstzweck, sie sollen und müssen eine Rendite für das Gemeinwesen abwerfen. Wer in der gegenwärtigen Lage auf notwendige Zukunftsinvestitionen verzichtet, der gefährdet nicht nur unsere industriellen Kerne, der tut auch nicht genug für Energiesicherheit und Klimaschutz. Wir wollen zum Beispiel für eine Milliarde Euro die öffentlichen Gebäude energetisch sanieren. Will jemand ernsthaft darauf verzichten? Bei diesen Energiepreisen? Das wäre doppelt töricht, denn erstens bringen wir mit der Sanierung die Immobilien auf einen modernen Standard. Und zweitens reduzieren wir nicht nur den CO2-Ausstoß, sondern auch die Kosten, und können mit den eingesparten Mitteln die Kredite bedienen.
Wir sind immer noch beim lieben Geld. Der Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno) schreibt chronisch rote Zahlen. Da kommt einfach kein Grund rein.
Die Krankenhäuser befinden sich insgesamt in einer sehr schwierigen Situation, nicht nur in Bremen. Es gibt den Fachkräftemangel, den Kostenanstieg in Folge der Energiekrise, aber auch einen strukturellen Rückgang der Behandlungszahlen. Deshalb kann die Struktur nicht so bleiben, wie sie ist, auch nicht bei der Geno. Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben . . .
. . . lassen Sie mich raten – wieder wird es darum gehen, die Behandlungsangebote zu konzentrieren und nicht über alle Kliniken zu streuen. Das Thema kennen wir seit 20 Jahren, es ist nie gelöst worden.
Deshalb ist das Ziel ja nicht falsch, und es gibt angesichts der geschilderten Entwicklung auch gar keine Alternative, als medizinische Leistungen an Standorten zusammenzufassen.
Ein Krankenhaus soll gut wirtschaften, sicher. Aber ist es überhaupt realistisch, dass solche Einrichtungen Gewinne verbuchen?
Gesundheit ist keine Ware, das ist ja gerade auch die Diskussion im Bund. Im Vordergrund muss die Daseinsvorsorge stehen. Die Krankenhäuser brauchen eine auskömmliche Finanzierung. Hier stehen in erster Linie die Krankenkassen und der Bund in der Pflicht. Woher das zusätzliche Geld dann kommt, ob durch Steuerzuschüsse oder höhere Krankenkassenbeiträge, das muss man sehen. Wir Länder können uns allenfalls beteiligten, alleine stemmen können wir das Problem nicht.
Geld – das ist nicht der einzige, aber ein Aspekt bei der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen. Stößt Bremen da langsam an seine Grenzen?
Wir sind bei den Zahlen wieder auf dem Niveau der Jahre 2015 und 2016. Bremen ist bekannt dafür, dass wir Menschen in Not nicht allein lassen. Wir sind weltoffen und hilfsbereit. Seit dem Kriegsbeginn im Februar haben wir allein aus der Ukraine mehr als 10.000 Flüchtlinge aufgenommen. Aber natürlich sind unseren Möglichkeiten Grenzen gesetzt. Es fehlt ja nicht nur Wohnraum, sondern auch Platz in Kitas und Schulen. Die Stadtstaaten sind hier besonders belastet. Wir setzen uns deshalb gemeinsam mit Hamburg und Berlin für einen anderen Schlüssel für die Aufnahme von Flüchtlingen ein.
Weil Sie es ansprechen: Bremen hätte nach dem geltenden Verteilungsschlüssel bei Weitem nicht so viele unbegleitete minderjährigen Flüchtlingen aufnehmen müssen wie tatsächlich geschehen. Warum? Die Situation ist doch auch so schon angespannt genug.
Da hat es unterschiedliche Auffassungen gegeben. Ein Teil der Koalition . . .
. . . Sie meinen die Linken und Grünen.
. . . ein Teil der Koalition war skeptisch, ob es richtig ist, Flüchtlinge zur Not auch gegen ihren Willen in anderen Bundesländern unterzubringen. Das geschieht mittlerweile aber.
Bremen geht auf so manchen Feldern einen Sonderweg. Zwei weitere Beispiele mit der Bitte um kurze Antwort: Der Plan, in den Straßen aufgesetztes Parken zu verbieten, und die Entscheidung, beim Bauen wegen der Klimakrise den sogenannten Bremer Standard einzuführen, also weitere Auflagen zu machen.
Beim aufgesetzten Parken ist die Problematik doch überall in Deutschland die gleiche: Wie kann einerseits die Straßenverkehrsordnung durchgesetzt und andererseits verhindert werden, dass dadurch so viele Parkplätze wegfallen, dass niemand mehr weiß, wo er sein Auto abstellen soll. Aus meiner Sicht hilft da nur ein Vorgehen mit Augenmaß, so wie Innensenator Mäurer das auch vorgeschlagen hat. Zum Bremer Standard: Selbstverständlich müssen wir auch beim Bauen der Klimakrise entgegenwirken. Eine Gegenrede dazu habe ich von der Bauwirtschaft in der vergangenen Sitzung des „Bündnisses für Wohnen“ nicht gehört.
Anderes Thema: Für Aufregung hat in den vergangenen Monaten die Situation rund um den Bremer Hauptbahnhof gesorgt. Sie ist komplett entgleist. Was tun?
Auf den Punkt gebracht: Härte gegen Dealer, Hilfe für Drogenkranke. Erfolge sind nicht von heute auf morgen zu erwarten, aber die Polizeieinsätze zeigen bereits Wirkung. Klar ist, dass der öffentliche Raum nicht von einer kleinen Gruppe von Menschen dominiert werden darf. Klar ist aber auch, dass der Bahnhof immer Bahnhof bleiben wird. Es muss dort sicher und möglichst sauber sein, aber so ein Ort spiegelt nun mal die Verwerfungen in einer Gesellschaft in besonderer Weise wider, das ist in keiner Stadt anders.
Genau so ein Dauerbrenner ist die Entwicklung der Innenstadt. Zuletzt ist dort immerhin mal etwas vorangekommen. Die städtische Wohnungsgesellschaft Brebau soll das Parkhaus Mitte abreißen und an der Stelle etwas Neues entwickeln. Und für den geplanten Teilumzug der Universität hat sich der Senat als ersten Baustein das Landesbankgebäude am Domshof gesichert. Sonst aber hakt es gewaltig.
Diese beiden Projekte sind aber doch schon mal was, Sie haben es selbst im WESER-KURIER als Erfolg hervorgehoben. Auch insgesamt macht sich die Innenstadt deutlich besser, als oft dargestellt wird. Wir verzeichnen so viele Besuche und Übernachtungen wie lange nicht mehr. Die Leerstände sind geringer als in anderen Großstädten. Und nehmen Sie zum Beispiel die Entwicklung im Balgequartier und am Wall-Boulevard, da geht richtig was voran.
Zugegeben. Aber erstens sind beim Parkhaus und beim Uni-Umzug noch etliche Fragen offen. Und zweitens stecken zum Beispiel die Neugestaltung des Domshofs, der Umbau der Domsheide und die Überlegungen zur Straßenbahn seit Jahren in der Dauerschleife.
Beim Domshof läuft gerade ein Gestaltungswettbewerb, und es gibt konkrete Pläne für ein Fahrradparkhaus im Bunker unter dem Platz. Da sind wir auf einem guten Weg. Richtig ist, dass es noch keine abschließende Entscheidung über den Umbau der Domsheide und die Verlegung der Straßenbahn gibt.
Bei der Domsheide geht der Streit unter anderem darum, wo die Straßenbahnen künftig zentral halten sollen – vor dem Konzerthaus Glocke oder in der Balgebrückstraße. Was meinen Sie?
Sie können sich denken, was dazu ein Bürgermeister sagt, der zugleich Kultursenator ist. Für mich steht fest, dass es keine Lösung geben darf, bei der die Glocke in Mitleidenschaft gezogen wird.
Das ist klar und deutlich. Sind Sie genauso entschieden bei der Frage, ob die Straßenbahn in der Obernstraße bleiben oder in die Martinistraße verlegt werden soll?
Wir haben im Sommer erlebt, wie die Obernstraße ohne Straßenbahn an Attraktivität gewinnt. Andererseits würde eine Verlegung viel Geld kosten und über Jahre eine Baustelle in der Innenstadt bedeuten. Kurzum: Das will genau bedacht sein, es geht schließlich um eine Weichenstellung für Jahrzehnte. Deshalb werden die verschiedenen Varianten jetzt noch einmal im Rahmen einer Machbarkeitsstudie geprüft.