Der Anruf des Bremer Bürgerstiftungsvorsitzenden Eberhard Muras machte Helga Werner sprachlos. Sie und ihr Mann Reinhard sind die diesjährigen Gewinner des Hilde-Adolf-Preises. Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt sich das pensionierte Lehrerehepaar aus dem Viertel tatkräftig und monetär für mehr Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen in Bremen-Mitte und der Östlichen Vorstadt ein. „Ich dachte, das ist eine Nummer zu groß, wenn man bedenkt, was es für tolle Initiativen in Bremen gibt“, sagt die 76-jährige Hausherrin bei einem Besuch bescheiden.
Sie ist ebenso wie ihr 80-jähriger Mann Reinhard noch immer fassungslos vor Freude über die Würdigung ihres Lebenswerks: die Helga-und-Reinhard-Werner-Stiftung und das Projekt „Bildungsbrücke“. Mit dem Hilde-Adolf-Preis zeichnet die Bremer Bürgerstiftung in Erinnerung an die couragierte Bremer Sozialsenatorin Hilde Adolf (1953 – 2002) seit 2005 Menschen für ihr beispielgebendes bürgerschaftliches Engagement aus. Der WESER-KURIER stiftet dafür 3000 Euro Preisgeld.
Die Namensgeberin des Preises steht für Solidarität und Mitmenschlichkeit. Das zeichne die Eheleute ebenfalls aus, attestiert Eberhard Muras den „Pädagogen im besten Sinne“. Als „zwei strahlende Menschensäulen“ begegneten sie den Menschen im Quartier auf Augenhöhe und in Würde und wirkten am liebsten im Hintergrund für eine bessere Zukunft von Kindern und Jugendlichen. Die Werners leisten nach Ansicht des Bürgerstiftungsvorsitzenden unkonventionell Hilfe zur Selbsthilfe und seien die Personifizierung des diesjährigen Wettbewerbsmottos „Nicht meckern – machen!“. Das Lehrerpaar hat sich schon im Schuldienst für bessere Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen eingesetzt.
Mit dem Eintritt ins Rentenalter hat es diese Bemühungen in unglaublichem Umfang im Viertel ausgeweitet: Rund 6500 junge Menschen hat die Helga-und-Reinhard-Werner-Stiftung (vormals Weserterrassen-Stiftung) bislang mit insgesamt 670 000 Euro unterstützt. Seit 1973 wohnen die Pädagogen im Viertel. Beide haben an der Gründung des Bürgerhauses Weserterrassen mitgewirkt. Der geplante Cafébetrieb war der Anstoß zur Gründung der Weserterrassen-Stiftung 1999. Weil der Trägerverein seine Gemeinnützigkeit gefährden könnte, falls durch eine kommerzielle Bewirtung zu viel Geld eingenommen würde, hatte Reinhard Werner die Idee für die Weserterrassen-Stiftung. Diese und der Verein Bürgerhaus Weserterrassen gründeten eine Gesellschaft. So war das Problem vom Tisch.
Die Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit im Viertel ist Ziel der Stiftung. Helga Werner hat viele Veranstaltungen in den Bürgerterrassen organisiert und Reinhard Werner als langjähriges Mitglied im Beirat Östliche Vorstadt viele Vereine, Initiativen, Schulklassen, Jugend- oder Kindergartengruppen, Arbeitsgemeinschaften und Projekte kennengelernt. Dabei erkannten beide, dass etliche Menschen praktisch vor ihrer Haustür – häufig sogar ehrenamtlich – „ausgezeichnete Arbeit“ im Kinder- und Jugendbereich machen, ihre Leistung aber zu wenig anerkannt wird. „Als Belohnung“ sollten sie Mittel der Weserterrassen-Stiftung bekommen, ohne komplexe Antragsverfahren oder Verwendungsnachweise. Die Werners vertrauen darauf, dass das Geld stets in deren engagierte und kreative Arbeit einfließt.
Ab 2000 schrieb die Stiftung bereits einen Förderpreis für „vorbildliche Kinder- und Jugendarbeit im Viertel“ aus. Damit wurden in den vergangenen 20 Jahren 163 Projekte mit insgesamt 170 000 Euro ausgezeichnet. Dank treuer Sponsoren wie Werder Bremen, der Sparkasse Bremen, der AOK sowie verlässlicher Mittel der Beiräte. Alle unterstützen das Projekt darüber hinaus, indem sie mit in der Jury sitzen. Der positive Begleiteffekt, fügt Helga Werner hinzu, sei, dass sich bei der jährlichen Förderpreisvergabe im Bürgerhaus Weserterrassen Kinder, Einrichtungen und Sponsoren treffen, kennenlernen und teilweise neue Netzwerke knüpfen.
Dass die 2015 in Helga-und-Reinhard-Werner-Stiftung umbenannte Organisation wachse und gedeihe sei der gemeinsame Verdienst vieler Sponsoren und Unterstützer mit Herzblut, betonen Helga und Reinhard Werner. Dazu zählen sie unter anderem die Friedensgemeinde, die ehemalige Ortsamtsmitarbeiterin Heike Blanck, die viele Ideen eingebracht und ihnen viel Organisationsarbeit abgenommen habe, sowie Karl Bronke als langjährigen Stiftungskurator.
Als Oberstufenlehrer für Mathematik und Physik am Schulzentrum Rübekamp in Walle haben Reinhard Werner ebenso wie seine Frau Helga als Hauswirtschaftslehrerin im Bremer Osten immer Kontakt zu Kindern und Jugendlichen gehabt. „Wir wissen, wie wichtig Bildung für die Entwicklung des Menschen ist“, sagen sie. Und welche ungleichen Startbedingungen es gebe, wenn das Geld knapp sei.
„Darüber hinaus gibt es immer Notsituationen, in die Familien geraten“, schildert Reinhard Werner. „Da muss schnell geholfen werden. Denn darunter leiden die Kinder und fühlen sich ausgegrenzt“, spricht er die hohe psychische Belastung an. Unkonventionelle Hilfe bietet das Projekt „Bildungsbrücke“, das Helga und Reinhard Werner 2008 initiiert haben. Ihre Idee: Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringem Einkommen durch ein Stipendium finanziell zu unterstützen. Denn viele Nebenkosten für Bildung, etwa ergänzende Schulbücher, Sportsachen, Material für Projektwochen oder Klassenfahrten, übersteigt deren Budget.
Wichtig war dem Lehrerpaar, dass die „Bildungsbrücke“ keine Konkurrenz zu Schulförderverein sein und die Zuschüsse an bedürftige Familien die staatliche Förderung ergänzen sollte. Die Absprache mit dem Sozialamt verlief positiv. Auch die Grundschulen und weiterführenden Schulen in Mitte und Östliche Vorstadt holte Reinhard Werner mit ins Boot. Inzwischen werden jährlich Stipendien in einer Höhe von 50 000 Euro vergeben.
Vor allem alleinerziehende Mütter stellen Anträge an den Vertrauensbeirat der „Bildungsbrücke“. Er entscheidet über die Vergabe der Stipendien. Einen positiven Bescheid überbringt Reinhard Werner bis heute am liebsten persönlich. „Ich mache praktisch ein bisschen Werbung für den schulischen Erfolg“, gesteht der 80-Jährige. Er erinnere Eltern daran, wie wichtig das für das weitere Leben sei, um einen Beruf lernen und ein glückliches Leben führen zu können. Der Besuch zeige ihnen gleichzeitig, dass sich wer für sie und ihre Nöte interessiere, ergänzt Helga Reinhard.
Hätte Reinhard Werner nicht so konsequent im persönlichen Umfeld und Quartier für die Stiftung und „Bildungsbrücke“ geworben und darüber hinaus bei großen Firmen Klinken geputzt, könnten heute längst nicht so viele Projekte in so großem finanziellen Umfang unterstützt werden. Zu den treuen Förderern zählen beispielsweise die Friedensgemeinde, die St.-Petri-Domgemeinde, die Bremische Evangelische Kirche und die Beiräte.
Die Stiftungsinitiative als Lebensaufgabe
Den Grund für die vielen Mitstreiter sieht Stiftungsgründer Reinhard Werner nicht zuletzt in der hohen Transparenz. „Das Geld kommt zu 100 Prozent den Kindern zugute“, versichert er. Es gibt keinen Verwaltungsapparat, alle Mitarbeitenden engagieren sich ehrenamtlich. Auch das Projekt „Bildungsbrücke“ wird über die Stiftung abgerechnet. Die Stiftungsinitiative und die „Bildungsbrücke“ sind für Helga und Reinhard Werner, die ein genügsames Leben führen, zur Lebensaufgabe geworden. Ein größerer Teil ihres Privatvermögens ist dort hineingeflossen. „Etwas Sinnvolles tun ist ein Lebenselixier. Es gibt nichts Befreienderes“, konstatiert der 80-jährige Wohltäter sichtlich zufrieden. Und weil er und seie Frau beide Initiativen in zuverlässigen Händen wissen, haben sie keine Angst um deren Fortbestand und können sich langsam aus der aktiven Arbeit zurückziehen.