Wer mehr als 600 Jahre alt ist, braucht sich für ein bisschen plastische Chirurgie sicher nicht zu schämen. So wie der Roland auf dem Marktplatz, der schon seit etlichen Jahren nicht mehr im Vollbesitz seiner Originalteile ist. Nicht nur der Kopf wurde ausgetauscht, auch die Gürtelschnalle, die Hände und die Standplatte mit den Füßen sind Kopien. Den originalen Rolandkopf kann man im Focke-Museum bewundern. Die Füße haben jetzt ihren Weg zurückgefunden in die unmittelbare Nähe ihres langjährigen Standorts – noch bis zum 20. Juni sind sie in der Unteren Rathaushalle als Teil der Ausstellung "Bremen, Geschichte, Welterbe" zu sehen, die am Mittwoch eröffnet wurde.
Zwei Mal hat die Welterbe-Schau schon stattfinden sollen, beide Male ist sie wegen der Corona-Pandemie geplatzt. Erst im dritten Anlauf konnte das Projekt "jetzt doch ganz schnell" verwirklicht werden, so Konrad Elmshäuser, Leiter des Staatsarchivs. Dafür haben sich das Focke-Museum als Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, das Landesamt für Denkmalpflege, die Landesarchäologie und das Staatsarchiv zusammengetan. Jede Einrichtung informiert auf Stellwänden über die eigene Arbeit sowie zentrale Aspekte rund um Rathaus und Roland, die seit 2004 gemeinsam auf der Welterbe-Liste der Unesco stehen. In diese Liste aufgenommen zu werden, gilt als Ritterschlag. Der Titel sei "sehr begehrt", betonte Bremens oberster Denkmalpfleger Georg Skalecki.
Historische Handschriften sind zu sehen
Neben den Roland-Füßen zeigt die neue Ausstellung noch zwei weitere Exponate. Einmal die sogenannten Hanse-Rezesse von 1389 bis 1517, eine handschriftliche Sammlung von Einladungen, Beschlüssen, Beilagen und Notizen der Hansetage aus dem Staatsarchiv. Die insgesamt 436 Papierblätter wurden im 17. Jahrhundert in Pergament gebunden. In der Vitrine ist eine Reproduktion des Originals zu sehen. Diese älteste Handschrift der Hanse-Rezesse ist nominiert für die Eintragung in ein anderes Unesco-Programm, das Weltdokumentenerbe "Memory of the Word". Elmshäuser ist zuversichtlich, dass es damit auch wirklich klappt. "Die Handschrift wird hoffentlich noch in diesem Jahr Welterbe werden."
Drei Teile des üppigen Bremer Ratsgestühls aus dem Bestand der Denkmalpflege vervollständigen das Exponate-Trio. Die Entwürfe stammen vom Bremer Architekten Johann Georg Poppe, der auch das Lloydgebäude und die Baumwollbörse konzipiert hat. Im Dezember 1903 wurde das Ratsgestühl in der Oberen Rathaushalle aufgestellt. Nach dem Krieg konnte man mit den historistischen Schnitzereien nichts mehr anfangen, Mitte der 1950er-Jahre wurde das Ratsgestühl fast vollständig entfernt. Laut Skalecki sind Teile im Kunsthandel gelandet, etwa ein Viertel davon lagert in einem Depot am Hafen.
Skalecki und Elmshäuser hoben bei der Eröffnung hervor, dass es beim Welterbe nicht auf Eitelkeit und Selbstdarstellung ankommt. Elmshäuser formuliert die entscheidende Frage so: "Was ist das Wichtigste, was wir der Welt geben können?" Und das sei eben nicht die Nationalhymne, sondern Beethovens Neunte Symphonie. Zu den 24 deutschen Einträgen im Weltdokumentenerbe zählen auch Quellen, die zu den Schattenseiten deutscher Geschichte gehören – wie die Tonbandaufnahmen des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses von 1963 bis 1965.
Bremer Welterbetage noch bis 5. Juni
Eingebettet ist die frei zugängliche Ausstellung in die Bremer Welterbetage vom 1. bis 5. Juni, eröffnet werden sie mit dem Mitsingfest "Bremen so frei – ein Fest in 11 Liedern" auf dem Marktplatz. Zum Programm gehören zahlreiche Führungen und Veranstaltungen, darunter die Aktion "Erzähl mir Deine Rathaus-Geschichte" mit der Journalistin Marlene Broeckers täglich von 14 bis 17 Uhr in der Unteren Rathaushalle. Den Abschluss bildet der Unesco-Welterbetag am Pfingstsonntag, 5. Juni, unter dem Motto "50 Jahre Welterbekonvention: Erbe erhalten – Zukunft gestalten". Bei dieser Gelegenheit wird auch noch mal eine kleine Charge grüner Kupferplatten vom Rathausdach angeboten – zum Preis von zehn Euro je Platte von 12 bis 20 Uhr an der Weinbox auf dem Marktplatz.
In Deutschland gehören insgesamt 51 Stätten zum Welterbe, den Anfang machte 1978 der Aachener Dom. Weltweit umfasst das Welterbe aktuell 1054 Kultur- und Naturstätten.