Herr Fasse, die Gewerkschaft der Polizei sprach zuletzt von „Stimmungsmache gegen die Bremer Polizei". Teilen Sie diese Einschätzung?
Dirk Fasse: So weit möchte ich nicht gehen. Es gibt Kritik, mit der setzen wir uns auseinander. Wir wollen uns ja weiterentwickeln. Ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Bremen mit ihrer Polizei zufrieden ist. Das haben Umfragen und Rückmeldungen in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Viele Polizistinnen und Polizisten leisten unter nicht einfachen Bedingungen hervorragende Arbeit und da bin ich stolz drauf.
Es gab zuletzt aber sehr konkrete Vorwürfe gegen Ihre Behörde, etwa zur Frage der Erreichbarkeit. Sehen Sie Defizite?
In personell ohnehin schwierigen Jahren haben uns große Schwerpunkte erreicht, wie die Encrochat-Ermittlungen oder die Corona-Pandemie, bei der viele Polizistinnen und Polizisten täglich nicht im "normalen" Dienst sein konnten. Hinzu kommt die Umsetzung des neuen Polizeigesetzes. Bei der Kripo liegen unbearbeitete Akten und ja, wir haben Probleme bei der Anzeigenaufnahme und der Erreichbarkeit.
Was tun Sie dagegen?
Wir versuchen, diese Themen mit unseren Möglichkeiten anzupacken. Den Aktenberg werden wir in diesem Jahr maßgeblich verkleinern. Im Bereich der Anzeigenaufnahme und Erreichbarkeit bemühen wir uns ebenfalls, die Defizite abzustellen. Klar ist aber, dass unsere Priorität im 110-Prozess liegen muss. Die Streifenwagen müssen rollen – das ist alternativlos und fordert uns sehr.
Woran hakt es bei der Erreichbarkeit?
Die Entwicklung der letzten Jahre macht uns Probleme. Im Notruf und im Zentralruf klingelt quasi jede Minute das Telefon, Tag und Nacht. Dabei hatten wir alleine im vergangenen Jahr mit 415.000 Anrufen 55.000 Anrufe mehr als noch vor fünf Jahren. Ähnlich sieht es mit der Anzahl der Einsätze aus. Corona hat uns zudem in unserem Service und im Kontakt mit den Menschen stark eingeschränkt.
Kritik gab es insbesondere zur Anzeigenaufnahme.
Die verschiedenen Möglichkeiten der Anzeigenaufnahme fordern uns in der Organisation auch anders. Anzeigen können online, beim Streifenwagen, an der Wache, mit und ohne Termin und jetzt auch per Telefon erstattet werden. Da passieren zurzeit Fehler – das müssen wir besser organisieren. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass die Menschen, die zu uns kommen, enger begleitet werden, zum Beispiel durch Hilfestellungen beim Finden der richtigen Ansprechpartner. Für diesen gesamten Komplex habe ich eine polizeiinterne Arbeitsgruppe einrichten lassen.
Entschiedenes Vorgehen gegen Hasskriminalität im Netz steht in Bremen eigentlich ganz oben auf der Agenda. In einer ZDF-Sendung wurde unlängst aufgedeckt, dass einer entsprechenden Anzeige in Ihrem Haus nicht nachgegangen wurde.
Wir stehen dafür ein, Hasskriminalität konsequent zu verfolgen. Wir sind hier auf die Mitarbeit und das Vertrauen der Bürger angewiesen. Der Mitarbeiter aus dem ZDF-Fall, den Sie ansprechen, wurde als Sofortmaßnahme aus dem direkten Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern abgezogen und in den Innendienst versetzt. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn werden durch das Referat Interne Ermittlungen beim Senator für Inneres und die Staatsanwaltschaft geführt, die müssen wir abwarten. Wir haben bei dem Mitarbeiter aber keine Hinweise auf eine ideologische Motivlage. Dieser Vorfall gibt uns Anlass, unsere Mechanismen kritisch zu hinterfragen und die bestehenden Prozesse zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Wie schon erwähnt, werden wir uns Abläufe wie die Anzeigenaufnahme sowie den Umgang mit späteren Anfragen von Anzeigenden genau anschauen. Dabei spielt auch eine wesentliche Rolle, mögliche Überlastungen von Mitarbeitenden frühzeitig zu erkennen und die Aus- und Fortbildung weiter auszubauen.
Sie sind jetzt ein Jahr als Polizeipräsident im Amt. Haben Sie alle gesteckten Ziele erreicht?
Mir ist und bleibt eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Polizei Bremen wichtig. Das ist Chefaufgabe, die ich mit meinen Führungskräften zusammen für jedes Jahr inhaltlich neu festlege. Große Themen waren zum Beispiel die Umsetzung des neuen Polizeigesetzes, die Polizei nachhaltig datenschutzkonform auszurichten. Wir haben das Thema Antidiskriminierung weiter vorangetrieben, gehören da bei den Polizeibehörden zu den Vorreitern. Ich freue mich auch, dass es uns gelungen ist, moderner und praktischer zu sein. Wir arbeiten heute mit Videokonferenzen, und es wurden Smartphones angeschafft, mit denen wir Kontrollquittungen jetzt auch papierlos erstellen und übermitteln können. Noch in diesem Jahr wollen wir unser Vorgangsbearbeitungssystem auf diesen Geräten mobil machen. Das erleichtert die Arbeit der Kollegen und der Bürger wird das wahrnehmen.
Von Bremens Politik haben Sie bei Ihrem Amtsantritt gefordert, für einen Rahmen zu sorgen, der effektive Polizeiarbeit ermöglicht. Sie haben damals nicht „Wolke 7“ für die Polizei eingefordert, aber „Wolke 4“ sollte es schon sein. Ist die Politik dem nachgekommen?
Na ja – das Bild hatte ich einem Songtext entnommen. Klar ist, die "Wolke 4" ist ein lebenswerter Standard. Wir wissen alle, dass mehr Personal erforderlich ist, um die Herausforderungen anzunehmen und treten für die im Koalitionsvertrag verankerte Zielzahl von 2.900 Polizistinnen und Polizisten ein. Das ist ein langer Prozess, obwohl wir schon viel mehr junge Menschen als noch vor einigen Jahren ausbilden. Da sind wir auf dem richtigen Weg.
Geht es nur um Personal?
Nein. Um den Anschluss nicht zu verlieren, benötigen wir auch die Ausstattung an modernen Arbeitsmitteln. Die angesprochenen IT-Themen sind da zum Beispiel schon Herausforderungen. Sie kosten viel Geld und wir benötigen gut qualifiziertes Personal. Da wünsche ich mir von der Politik mehr Unterstützung. Der Weg in eine E-Mobilität ist ohne diese Unterstützung auch nicht umsetzbar. Um im Bild zu bleiben: Die "Wolke 4" ist derzeit mit einem Fernglas zu sehen.