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Unbeliebte Berufe Besser als ihr Ruf - vier Bremer Fachkräfte berichten

Offene Stellen in der Pflege, im Handwerk, in der Gastronomie. Viele Berufe, heißt es, seien nicht attraktiv genug. Wir haben vier Beschäftigte dieser Branchen gefragt, warum sie ihrer Arbeit gerne nachgehen.
15.11.2022, 05:00 Uhr
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Von Peter Hanuschke Florian Schwiegershausen Marc Hagedorn
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Es fehlen Arbeitskräfte im Land. Tausende Stellen sind unbesetzt in der Pflege, im Handwerk, in der Gastronomie. Viele Berufe, so lautet eine Erklärung, hätten an Attraktivität verloren. Wir haben mit einem Koch, einem Maler, einer Altenpflegerin und einem Dachdecker darüber gesprochen, warum sie ihre Arbeit gern machen.

Firoz Rezai, Maler

Wenn Firoz Rezai am Haus der Bremischen Bürgerschaft vorbei kommt, muss er jedes Mal an seine ersten Monate im neuen Beruf denken. Rezai ist Malerlehrling, und die erste Baustelle, auf die er von seinem Chef mitgeschickt wurde, war die Bürgerschaft. „Ich habe das Zimmer des Präsidenten tapeziert“, erinnert er sich im Gespräch mit dem WESER-KURIER, mit einer „weißen Vliestapete“.

Firoz Rezai ist Auszubildender bei der Firma August Hespenheide in Findorff. „Malergesellen (m/w/d) gesucht, BEWIRB DICH JETZT!“ steht auf der Homepage des Familienunternehmens. Rezai hat sich vor gut drei Jahren beworben, in sieben Monaten hat er ausgelernt. „Der Malerberuf“, sagt der 23-Jährige, „hat für mich nur schöne Seiten.“ Er kann davon ausgehen, dass er nach Ende der Ausbildung übernommen wird. „Ohne Leute wie Firoz könnten wir nicht mehr alle Ausbildungsplätze besetzen“, sagt Prokuristin Sonja Hespenheide-Hollweg. Die Hälfte aller Auszubildenden in ihrem Betrieb ist nicht in Deutschland geboren.

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Rezai ist 18, als er aus Afghanistan nach Deutschland kommt. In seiner Heimat ist er nur drei Jahre lang zur Schule gegangen, schon mit 14 hatte er angefangen, als Maurer und Fliesenleger zu arbeiten. In Bremen lernt er zunächst die Sprache, Deutsch spricht er inzwischen sehr gut. Schnell steht für ihn fest, dass er in Bremen eine Ausbildung machen will.

Maurer und Fliesenleger ist er schon, „deshalb wollte ich noch etwas Neues dazu lernen“, sagt er. Also schaute er sich auf YouTube verschiedene Videos an, um einen Eindruck davon zu bekommen, was und wie in Deutschland gearbeitet wird. Für die Altenpflege interessiert er sich, aber Malerarbeiten gefallen ihm besser. Der Beruf ist abwechslungsreich. Jede Baustelle ist anders, und am Ende des Tages sieht man, was man geschafft hat. „Der Maler“, sagt Rezai, „ist immer der Letzte, der das Gebäude verlässt.“

Am Tag, als ihn der WESER-KURIER interviewt, kommt Rezai gerade aus Bremerhaven. Mit drei Kollegen verputzt er dort die Fassade eines großen öffentlichen Gebäudes. Um sieben Uhr fangen sie jeden Morgen an, gegen 16.30 Uhr ist Feierabend. Freitags ist früher Schluss, und am Wochenende hat er frei. Aus Afghanistan kennt er das anders. Dort war freitags frei, sonnabends und sonntags dagegen wurde regulär gearbeitet. „Eine Wochenendarbeit würde mir nichts ausmachen“, sagt er. Traurig darüber, ab freitagmittags frei zu haben, ist er aber natürlich auch nicht.

Cornelia Rohr-Siebers, Altenpflegekraft

Ihre Töchter, sagt Cornelia Rohr-Siebers, ihre Töchter hätten es besser gewusst. Mama, hätten sie gesagt, Mama, Altenpflege ist genau dein Ding. Cornelia Rohr-Siebers war sich da nicht so sicher.

Aber gut: Anfang 50 ist sie, als sie ein zweiwöchiges Praktikum in einem Altenheim macht. Bis dahin hat sie 30 Jahre lang Filialen mehrerer Modehäuser in ganz Deutschland geleitet. Lange Zeit macht ihr das viel Spaß. „Aber irgendwann hatte ich das Gefühl: Jetzt dreht es sich nur noch um Geld“, sagt sie, „wie hoch ist das Budget in diesem Jahr? Womit können wir in dieser Saison noch mehr Geld verdienen? Diese Fragen wollte ich nicht mehr. Ich wollte etwas Sinnhaftes machen.“

Tatsächlich findet sie Erfüllung in der Altenpflege. Natürlich, sagt sie, kannte sie die Vorurteile über den Beruf: Dienste am Wochenende, schlechte Bezahlung, anstrengende Schichten. Ja, sagt sie, die Bezahlung könnte besser sein, sei aber in den vergangenen Jahren auch schon besser geworden. Außerdem gebe es Zulagen und Prämien für Wochenend-, Nacht- oder Einspringdienste. Ja, sagt sie, die Arbeit sei anstrengend, biete aber auch hervorragende Aufstiegsmöglichkeiten. Sie selbst, 56 inzwischen, hat es innerhalb kürzester Zeit zur Leiterin der Tagespflege in der Senioren-Residenz an der Marcusallee gebracht. Und noch einmal ja, sie arbeite alle 14 Tage auch an Wochenenden, „aber dafür bekomme ich Ausgleichstage in der Woche. Und Dienstplanwünsche werden bei der Planung in der Regel berücksichtigt“.

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Nach fünf Jahren in der Altenpflege sagt sie: „Ich habe meine Entscheidung keinen einzigen Tag bereut. Ich weiß: Ich gehöre da hin.“ Als unbezahlbar empfindet sie die Dankbarkeit der Gäste. „Das wiegt jeden Stress auf. Es macht mich glücklich, wenn Angehörige sagen: Mama oder Papa sind so gerne bei Ihnen.“

Wenn sie tatsächlich etwas vermisst, ist es die mangelnde Wertschätzung vor allem durch die Politik. Das habe sie während Corona gespürt. Wortreich waren die Beschäftigten in der Pflege anfangs für ihren unermüdlichen Einsatz gelobt worden. Bilder davon, wie Menschen auf ihren Balkonen standen und Applaus spendeten, gingen durchs Land. „Es war schon enttäuschend, wie schnell unsere Branche dann aber wieder vergessen war, als Corona sich beruhigt hatte.“ Applaus allein, sagt Cornelia Rohr-Siebers, sei ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen dann doch etwas zu wenig.

Christian Behr, Dachdecker

"Als ich mit sechs Jahren mit meinem Vater auf dem Rathausdach in Hannover war, wusste ich: Das will ich später auch machen. Die überwältigende Aussicht hat sicherlich dazu beigetragen", sagt Dachdeckermeister Christian Behr, Geschäftsführer des Bremer Familienunternehmens Behr-Bedachung in vierter Generation. Das Bauingenieur-Studium bedeutete für ihn nur eine kurze Unterbrechung. "Das Studium war interessant, nur hatte ich nach vier Semestern festgestellt, dass ich das gar nicht benötige." Kurzerhand machte er seine Ausbildung zum Dachdecker und besuchte anschließend die Meisterschule.

Seit 2015 ist Christian Behr Dachdeckermeister, 2018 übernahm er die Geschäftsführung, und zusammen mit seinem Bruder Sebastian, ebenfalls Dachdeckermeister und Prokurist, ist er für die Betriebsführung verantwortlich. Den Beruf Dachdecker empfindet der 32-Jährige schon als eine Art Traumjob: "Das liegt nicht am tollen Ausblick, den es zum einen natürlich nicht bei jedem Projekt gibt und zum anderen mit der eigentlichen Arbeit nichts zu tun hat. Der Beruf zeichnet sich letztlich durch seine Vielseitigkeit aus."

"Alte Dachziegel abtragen, anschließend das Dach mit neuen Ziegeln eindecken – so mag die Berufsbeschreibung für Außenstehende aussehen, sie beschreibt aber nur in Kurzform einen Teil der Arbeit", sagt Behr. "Jedes Dach ist anders und erfordert individuelle Lösungen, die vor allem auch fachgerecht inklusive Wärmedämmung umgesetzt werden müssen." Das sei der tagtägliche Reiz. Hinzu komme, dass beim Dachdecken automatisch das Klempnern und die Kunst der Zimmerei kombiniert werden, etwa für die Dachrinne und das Richten oder Aufstellen von Dachstühlen.

Der Beruf sei auf keinen Fall ein Job, den jeder ausüben könne, so Behr. "Man muss schwindelfrei sein, aber noch etwas ist Voraussetzung: die Lust an der Arbeit im Freien." Und natürlich sei der Beruf äußerst körperbetont. "Jeder Muskel des Körpers wird beansprucht. Viele, die gerade mit der Ausbildung beginnen, sind ganz überrascht, wo es überall Muskeln gibt." Apropos Ausbildung: Behr-Bedachung hat jedes Jahr drei Auszubildende. "Der Kreis der Bewerber ist allerdings schon kleiner geworden", sagt Behr. An den Auswahlkriterien habe sich deshalb aber nichts geändert: "Ausreichende Mathekenntnisse sollten schon vorhanden sein", sagt Behr, "aber ich gucke vor allem nach den Fehltagen."

Zakaria Zin, Koch

Kochen ist sein Ding. Das war Zakaria Zin schon vor seinem Abitur klar. „Die anderen sind an die Uni zum Studieren gegangen, und ich habe eine Ausbildung zum Koch gemacht.“ Er wollte mit dieser Entscheidung schnell im Lebensalltag sein, und er wusste, auf was er sich einlässt, denn sein Vater ist Koch. Seine Ausbildung machte Zin im Best Western Hotel Heide in Oldenburg. „Ich hatte einen tollen Küchenchef, der mir alles gezeigt hat.“ Und dabei fiel seine Ausbildung genau in die Pandemie. 2019 begann er, und 2022 schloss er sie ab.

Um zusätzlich etwas Geld zu verdienen, arbeitete der 21-Jährige im letzten Jahr seiner Ausbildung auf 450-Euro-Basis für die Bremer Eventagentur Joke. Dort wurde man auf ihn aufmerksam. Nachdem er seine Ausbildung abgeschlossen hatte, bekam er ein Arbeitsangebot. Zin sagte zu und erklärt, warum ihm die Arbeit Spaß macht. „Bei Veranstaltungen komme ich als Koch oft mit den Gästen ins Gespräch.“ Denn sehr oft ist das Essen aus Events mit einem sogenannten Front-Cooking-Bereich verbunden. „Die Gäste können mir zuschauen, wie ich das Essen zubereite.“ Und geben gleich hinterher ein Feedback: „Wenn ich dabei nach dem Rezept gefragt werde, ist das das schönste Lob, das man bekommen kann.“ Man müsse schon ein kommunikativer Mensch sein, sagt Zin.

In seiner Ausbildung lernt er schnell, dass es in der Küche auch mal rau zugehen kann. Aber das dürfe man nicht persönlich nehmen. „Am Ende des Abends kann man sich trotzdem noch auf eine Zigarette zusammensetzen.“ Was ihm auch gefällt: „Man kann sich immer irgendwie verbessern.“ Und gleichzeitig das eigene Wissen weitergeben.

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Die Abwechslung bei der Eventagentur gefalle ihm. An einem Abend sind es 50 Gäste, an einem anderen 200 oder mehr. Was er ebenso zu schätzen weiß: „Von Weihnachten bis ins neue Jahr habe ich Ferien.“ Im Hotelbetrieb und in der Gastronomie dagegen ist genau dies die Zeit, in der das Geschäft brummt. Statt Weihnachten auf der Arbeit zu verbringen, kann Zin für seine Freundin daheim etwas Schönes kochen. Was er sich selbst am liebsten macht? „Ein qualitativ gutes Stück Fleisch auf dem Grill und dazu ein Bier – nebenbei darf dann auch gern im Fernsehen ein Fußballspiel laufen.“

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