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Vorsitzender der Verkehrswacht Bremen „Feind des Radfahrers ist der Radfahrer“

Der Vorsitzende der Verkehrswacht plädiert für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit für Pedelecs. Grund dafür: der wachsende Erfolg der schnellen Räder und die dadurch entstehenden Gefahren.
08.12.2014, 00:00 Uhr
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„Feind des Radfahrers ist der Radfahrer“
Von Anke Landwehr

Pedelecs sind auf der Erfolgsspur. Immer mehr Menschen steigen auf ein Fahrrad um, dessen Elektromotor sie beim Treten unterstützt. Anke Landwehr sprach mit dem Vorsitzenden der Verkehrswacht Bremen, Axel Behme, über die damit einhergehenden Gefahren und über Bremen auf dem Weg zur Fahrradstadt.

Guten Tag, Herr Behme. Darf ich fragen, wie alt Sie sind?

Axel Behme: 61.

Dann fahren Sie sicher Pedelec?

Ja. Seitdem führen meine Fahrradausflüge nicht nur bis Achim, sondern locker bis nach Verden und zurück. Und gucken sie mal ins Blockland: Da drehen inzwischen 75-Jährige stramm die Runde. Die schaffen jetzt Distanzen, die mit einem normalen Rad nicht möglich wären.

Klingt gemütlich: Wer durch Felder und Wälder, an Flüssen und Deichen entlang radelt, dem werden Autos eher selten in die Quere kommen. Das Risiko, in Bremen unter die Räder zu geraten, scheint ungleich größer.

Das Problem bei den Pedelecs ist, dass ihre Fahrer sich der mentalen Täuschung hingeben, auf einem herkömmlichen Rad zu sitzen. Dabei huschen sie wie Motorradfahrer durch die Stadt. Und ein Autofahrer denkt ebenfalls noch in alten Gewohnheiten: Er sieht in der Ferne eine ältere Person auf einem Rad, meint, er hat noch dicke Zeit zum Abbiegen, und schon klebt die Oma an seiner Autotür. Ihre unterschiedlichen Geschwindigkeiten werden von den Verkehrsteilnehmern falsch eingeschätzt. Insbesondere auf dem Pedelec muss ich vorausschauender fahren.

Es ist zum Beispiel auch ein Unterschied, ob ich mit 5 oder mit 25 km/h in die Kurve gehe. Das ist ein ganz anderes Fahren. Deswegen haben wir von der Verkehrswacht vor zwei Jahren die erste Pedelec-Fahrschule Bremens gegründet. Unter anderem informieren wir über die Bremswege der Autos bei unterschiedlichen Witterungsverhältnissen.

Autofahrer regen sich ja gerne auf, wenn Radfahrer auf der Straße unterwegs sind. Zu Recht?

Was viele nicht wissen: Die müssen sogar auf die Straße, wenn ein Gebotsschild nichts anderes verlangt. In Wohngebieten dürfen sie sich das aussuchen. Wir empfehlen auch hier die Fahrbahn, weil so ein Sichtkontakt zu den Autofahrern möglich ist und Pedelecs zu schnell für schmale Randstreifen sind.

Wo zudem im Zweifel Fußgänger unterwegs sind.

Genau. Die geraten bei der ganzen Diskussion aus den Augen, wir müssen sie aber zunehmend vor Radfahrern schützen. Wenn ich zum Beispiel aus meinem Vorgarten auf den Gehweg trete, dann sausen mir Burschen mit ihren Rädern über die Füße, obwohl sie da gar nicht fahren dürfen.

Was müsste passieren, damit alle Verkehrsteilnehmer einschließlich Fußgänger zu einem friedlichen Miteinander oder wenigstens Nebeneinander finden?

Wir müssen die Verkehrshierarchien abbauen, an deren oberen Ende derzeit noch die Autofahrer und unten die Fußgänger stehen.

Und das geht wie?

Zunächst einmal muss das Motto sein: Alle fahren oder gehen los, alle kommen an, keiner kommt um. Gegenseitige Rücksichtnahme kann man am besten erreichen, wenn Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit wird, auf die sich alle verlässlich einstellen können. Schilder sollten nur noch dort stehen, wo schneller gefahren werden darf, also beispielsweise an Ausfallstraßen.

Das würde auch den Schilderwald enorm auslichten, was gut wäre, weil er vor allem ältere Verkehrsteilnehmer eher verwirrt und ablenkt. Und die Grüne Welle müsste optimiert werden. Wenn ein Radfahrer in Regen und Kälte vor einer roten Ampel stehen muss, ohne dass ein Auto kommt, dann macht ihn das mürbe. Wir haben hier Überreglementierungen, die im Sinne der Mobilitätssicherheit entrümpelt werden sollten.

Das alles klingt sehr nach Zukunftsmusik.

Ist aber schon lange in der Diskussion, Stichwort: Shared place. Damit ist ein gemeinsamer Verkehrsraum für alle gemeint, der sich selbst erklärt und für den es in Bremen ja schon Beispiele gibt. Und wir haben die ersten Fahrradstraßen – übrigens eine Bremer Erfindung. Klaus Hinte, damals Leiter des Straßenverkehrsamtes, hat sie vor ungefähr 30 Jahren eingeführt. Das war seinerzeit blanker Verkehrsanarchismus und vom Gesetz überhaupt nicht gedeckelt, ist aber inzwischen in der StVO angekommen. Fahrradstraße bedeutet: Die ganze Straße ist Radweg, Autos sind nur zu Besuch. Im hinteren Teil der Wachmannstraße haben wir das schon. Und wir werden über kurz oder lang erleben, dass Straßen wie der Herdentorsteinweg oder die großen Einfallstraßen Radfahrstreifen bekommen werden.

Was halten Sie von Maßnahmen wie auf dem Stück Parkallee zwischen Stern und Rembertitunnel, wo Radfahrer durch das schlichte Aufstellen einer Bake auf die Straße gezwungen werden und sich nun gefährdeter fühlen denn je?

Wir haben jetzt natürlich das Problem der Umstellungsphase. Das Doppelsystem aus noch alten Straßen und Radwegen verwirrt im Moment, wird sich aber allmählich einspielen.

Gibt es Vorbilder für eine Fahrradstadt?

Kopenhagen. Es gilt europaweit als Vorreiter, hat sechs bis sieben Meter breite Fahrradstraßen. Dort machen die Radfahrverkehre schon 50 Prozent aus, die Stadt wird bald CO2-neutral sein. Wir sind bei 25 Prozent, das ist schon richtig viel. Geostrategisch ist Bremen eine gute Fahrradstadt. Die Regelwegstrecke liegt hier deutlich unter fünf Kilometer, weil ich – durch Bürgerpark, Grünzüge und Parzellengebiete – immer Luftlinie fahre. Mit dem Auto sind das viel mehr Kilometer, und ich brauche auch länger.

Gleichwohl: Insbesondere mit den Pedelecs ist das Unfallrisiko noch größer geworden.

Das ist richtig Der Feind des Radfahrers in Bremen ist der Radfahrer. Die Polizeistatistik belegt ganz klar, dass es unter ihnen die meisten Kollisionen gibt. Inzwischen wird bei der Unfallaufnahme zwischen normalen Rädern und Pedelecs unterschieden, so dass wir auch dazu bald Zahlen bekommen werden.

Was muss sich in den Köpfen ändern, damit Bremen zur angenehmen Fahrradstadt wird?

Auch da können wir von den Dänen lernen. Die sind viel disziplinierter und nutzen zum Beispiel die Abstellmöglichkeiten für Räder, während wir bis vor die Geschäfte fahren und ziemlich wild parken. Die Dänen pflegen auch einen freundlicheren Umgang. Da steht nicht „Fahrrad abstellen verboten“, sondern „Danke, dass Du Dein Fahrrad hier nicht abgestellt hast“.

Zur Person: Axel Behme ist seit 35 Jahren Mitglied der Verkehrswacht in Bremen und seit sieben Jahren deren Vorsitzender. Bis zu seiner Pensionierung war er Polizist, hat unter anderem als Kontaktbeamter in Schwachhausen gearbeitet und zuletzt das Verkehrspräventionszentrum der Polizei mit aufgebaut.

Die Verkehrswacht

Die Deutsche Verkehrswacht bezeichnet sich selbst als eine der ältesten und größten Bürgerinitiativen Deutschlands. 1924 gegründet, arbeitet sie für mehr Sicherheit und weniger Unfälle auf den Straßen. Auch die Bremer Verkehrswacht ist überaus aktiv. Sie unterhält eine Verkehrsschule in der Vahr, wo seit zwei Jahren auch Pedelec-Kurse stattfinden, bildet Schülerlotsen aus und bietet Fortbildungen für Polizisten, Lehrkräfte und Kita-Personal an. Hinzu kommen Angebote rund um die Mobilitätssicherheit. Nähere Informationen unter www.verkehrswacht-bremen.de.

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