Mit kurzen Hosen schlendert Stephan Pierre-Pascal am Freitagabend über den Freimarkt. Das entspreche nun einmal seiner körperlichen Konstitution, klärt seine Partnerin Mareike Bredehorn auf Nachfrage auf. "Pullis braucht der Mann nicht, die liegen ungenutzt im Schrank." Das Paar aus Nordenham ist mit Sohn Ben-Luca zum Auftakt der fünften Jahreszeit nach Bremen gekommen. Zu einem Freimarkt, der ein bisschen anders ausfällt als gewohnt. Das Volksfest ist kleiner als üblich, das Feuerwerk zur Eröffnung fiel ins Wasser, der Freimarktsumzug ist abgesagt.
Zudem herrschen strenge Einlasskontrollen, es gilt die 3G-Regel. Nur wer nachweisen kann, geimpft, genesen oder getestet zu sein, darf das rundum eingezäunte Freimarkt-Gelände auf der Bürgerweide betreten – ausgenommen Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Anders als üblich gibt es nur zwei Eingänge: einer beim Hauptbahnhof, der andere auf der Findorff-Seite beim Schlachthof. Ein stattliches Aufgebot von Security-Personal überprüft die Corona-Nachweise, am vorderen Eingang regeln Absperrgitter den Besucherstrom. Der Zugang ist begrenzt, höchstens 20.000 Menschen dürfen sich gleichzeitig auf dem Gelände aufhalten.
Und was sagen die Freimarkt-Besucher zu den 3G-Regeln? Aus Sicherheitsgründen sei das Konzept "auf jeden Fall vernünftig", sagt Karl-Heinz Gotter. Wo viele Menschen zusammenkämen, müssten nun einmal Vorkehrungen getroffen werden. Mit seiner Meinung steht der 62-Jährige aus Findorff nicht allein da. Ohne 3G-Regel wäre Lea Ruschke nicht gekommen. "Weil so viele Leute hier keine Masken tragen", so die Psychologiestudentin. "Man ist nicht nur selber besser geschützt, das sind auch die Schausteller", sagt Jan Scheffold. Der 46-Jährige findet es einfach nur schön, dass der Freimarkt überhaupt wieder stattfindet.
Die Freimarkt-Atmosphäre genießt auch Kai Stoltenberg. Mit seinen beiden halbwüchsigen Töchtern ist der 51-Jährige per Bahn aus Hamburg angereist. "Bremen ist immer eine Reise wert", sagt er. Was ihm aufgefallen ist: Beim Hamburger Dom seien die Einlassregeln noch weitaus strenger gehandhabt worden. "Auch Kinder und Jugendliche mussten Nachweise vorzeigen."
Zu langen Wartezeiten führen die 3G-Kontrollen nicht, zumindest nicht am Freitagabend. "Das war kein Problem, das ging ratzfatz", sagt Kevin Krüger aus Wilhelmshaven. Zahlreiche andere Freimarkt-Besucher bestätigen seine Erfahrung. Wobei es am hinteren Eingang am Schlachthof noch nicht einmal zu Schlangenbildungen kam wie am Vordereingang beim Hauptbahnhof. Doch auch dort ging es im Gänsemarsch zügig vorwärts. So wie bei Finn Gissel und Jasmin Welzel aus dem Landkreis Cuxhaven. "Wir sind in einem Rutsch durchgegangen", sagt der 21-Jährige.
Einiges Rätselraten ruft die Zählweise hervor. Viele Menschen können sich nicht erklären, wie genau der Besucherzustrom gezählt wird – und mutmaßen gar, es würde in Wahrheit gar nicht oder nicht richtig gezählt. Des Rätsels Lösung: Bevor die Besucherinnen und Besucher die eigentliche Kontrolle erreichen, passieren sie eine Lichtschranke, zusätzlich betätigen Wachleute einen Ticker. So werden alle Neuankömmlinge erfasst, in der Zentrale laufen die Daten zusammen. Wird die kritische Grenze erreicht, fällt die Schranke.
Einen denkbar kurzen Weg hatte das Ehepaar Scheffold aus Findorff. Erst mit den Kindern noch eine Runde Schaukeln im Bürgerpark, dann hinein ins Vergnügen – so die Marschrichtung am Auftakttag. Eher achselzuckend quittieren die meisten Besucher, dass der Freimarkt diesmal nicht die gewohnte Größe hat. Das gilt auch für die abgesagte Party in Halle 7. "Schade, dass die nicht auf hat", sagt Ardon Tasholli, der erst im Frühjahr aus Zeven nach Bremen gezogen ist. "Da muss man eben das Beste draus machen." Der angehende Industriekaufmann hat auch schon eine Idee, wie das gehen könnte – zusammen mit seinen Kumpels will der 20-Jährige "was trinken" und ein paar Fahrgeschäfte abklappern.
Doch es gibt nicht nur gestählte Freimarkt-Veteranen, die froh sind, endlich wieder unbeschwert über die Bürgerweide zu flanieren. Zum ersten Mal erleben Ramona und Matthias Rosch die fünfte Jahreszeit im norddeutschen Tiefland. Das Ehepaar aus dem ostwestfälischen Herford weilt seit Dienstag zum Urlaub in Bremen. Für den Nachwuchs sei die Besuchergrenze gar nicht einmal so schlecht, sagt Vater Matthias. "Gerade mit kleinen Kindern kann man jetzt ordentlich überall durchgehen."
Für jüngere Jahrgänge ist der Bummel über einen Jahrmarkt oft genug eine ganz neue Erfahrung. Zu Hause in Herford habe es lange keinen Kirmes gegeben, sagt Ramona Rosch, für die Kleinen sei der viel größere Freimarkt eine echte Sensation. Das empfindet offenbar auch der dreijährige Ben-Luca so, der Sohn von Stephan Pierre-Pascal aus Nordenham. Zwei Mal in Folge ist der Roonkarker Mart als größter und ältester Jahrmarkt der Wesermarsch ausgefallen, auch wieder in diesem Herbst. Weshalb der Freimarkt für den Kleinen beträchtlichen Erlebniswert hat. Mit großen Augen betrachtet er das Riesenrad – und merkt kritisch an, dass in drei Gondeln das Licht nicht eingeschaltet sei.