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Videoüberwachung Wie die Polizei am Bremer Hauptbahnhof alles im Blick behält

Der Bremer Hauptbahnhof gilt als Kriminalitätsschwerpunkt. Bei der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten setzt setzen sowohl Bundes- als auch Landespolizei vor allem auf ein Mittel.
10.07.2022, 05:00 Uhr
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Wie die Polizei am Bremer Hauptbahnhof alles im Blick behält
Von Ralf Michel

Die offizielle Statistik liegt noch nicht vor, aber die Bundespolizei rechnet für Bremen mit rund 500 Gewaltdelikten im vergangenen Jahr, von denen sich der weitaus überwiegende Teil im Hauptbahnhof abgespielt hat. Holger Jureczko, Sprecher der Bundespolizei in Bremen, hält den Bahnhof trotzdem für keinen unsicheren Ort. Im Gegenteil, er spricht von einem „Höchstmaß an Sicherheit“. Und zählt auf: „Wir haben 127 Kameras im Bahnhof, wir haben die hohe Dichte unserer Streifen, dazu die Sicherheitskräfte der Bahn und eine gut vernetzte Händlerschaft mit kurzen Meldewegen...“ 

Auch die Aufklärungsquote der Bundespolizei, die für alles zuständig ist, was im Bahnhof passiert, kann sich sehen lassen. Egal ob Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Laden-, Taschen- oder Gepäckdiebstahl – vier von fünf Straftaten im Bahnhof werden aufgeklärt. "Mindestens!", betont Jureczko und rät deshalb auch jedem Bestohlenen zur Anzeige. "Dank der Videotechnik können wir Straftaten über mehrere Tage zurückzuverfolgen."

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Dass sich viele Touristen, Pendler und andere Besucher des Bahnhofs dort trotzdem unsicher oder zumindest unwohl fühlen, ist für den Polizeisprecher in erster Linie eine Frage des optischen Eindrucks des gesamten Bahnhofsbereichs, dominiert von der Szene der Drogen- und Alkoholkranken. Doch Pöbeleien, Auseinandersetzungen und vor allem Straftaten wie Körperverletzungen fänden fast immer innerhalb dieser Szene statt. "Reisende sind davon so gut wie nie betroffen."

Reisende kaum betroffen

Ausnahme sei dabei das aggressive  Betteln. "Dadurch fühlen sich die Leute schon belästigt, das führt zu Hinweisen an uns." In der Regel führe dies zu Ermahnungen und Platzverweisen oder im Zusammenspiel mit der Bahnschutzgesellschaft zu Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs. Und dies wiederum, weil die Täter häufig alkoholisiert seien, zu lautstarkem Widerstand und Handgreiflichkeiten. "Dann müssen sie zu Boden gebracht werden und die Handschellen klicken. Auch das beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl der Reisenden – obwohl sie selbst auch hier nicht direkt betroffen sind."

Wovon Jureczkos Kollegen von der Bremer Landespolizei ein Lied singen können. Sie sind zuständig, sobald etwas auf dem Bahnhofsvorplatz und den angrenzenden Bereichen passiert. Freitag, kurz vor zwölf Uhr mittags auf dem Bahnhofsvorplatz – ein Vorfall, wie geschaffen zur Beantwortung der Frage, woher eigentlich der Hauptbahnhof seinen schlechten Ruf hat: Polizisten wollen einen 24-Jährigen kontrollieren, den sie zuvor beim Verkauf von Drogen beobachtet haben. Der Mann, ein der Polizei bestens bekannter Intensivtäter, reagiert aufbrausend und aggressiv. Er sperrt sich vehement, verletzt zwei Polizisten und kann nur mit der Hilfe weiterer Polizisten überwältigt werden. Ein Riesenspektakel für alle, die sich in diesem Moment auf dem Bahnhofsvorplatz aufhalten. "Da sieht man es mal wieder – typisch Bremer Hauptbahnhof..."

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Auch die Landespolizei setzt bei ihrer Arbeit am Hauptbahnhof auf Videotechnik. Insgesamt hat sie hier 58 Kameras installiert. Die Kameras sind rund um die Uhr in Betrieb und zeichnen auf, erklärt Pressesprecher Bastian Demann. Soweit sie nicht als Beweismittel für eine Straftat gebraucht werden, werden die Aufnahmen nach 48 Stunden überschrieben. Drei weitere Kameras gibt es an der Diskomeile. Sie zeichnen nur nachts auf. Tagsüber  übertragen sie lediglich Live-Bilder.

Kontrolle rund um die Uhr

Videoüberwachung am Hauptbahnhof gibt es seit 2002. Doch lange Zeit liefen die Bilder in der Einsatzzentrale der Polizei quasi nebenher auf Monitoren mit, noch dazu in eher mäßiger Qualität. Das ist seit Mai 2019 anders. Nicht nur, dass die veralteten Kameras gegen neue, hochauflösende Modelle ausgetauscht wurden, die Aufnahmen werden in der Leitstelle der Polizei an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr kontrolliert.

Durch die Videoleitstelle konnten zahlreiche Straftaten aufgeklärt und Täter identifiziert werden, berichtet Demann – von Diebstahl über Raub bis hin zu gefährlichen Körperverletzungen. Doch es gehe nicht allein um die Aufklärung von Straftaten, heißt es seitens der Polizei. Sondern auch darum, Taten schon in ihrer Entstehung zu unterbinden, zum Beispiel Auseinandersetzungen oder Tumulte. "Wir wollen vor die Welle kommen."

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Die Videoüberwachung gilt damit als ein wichtiger Baustein im Sicherheitskonzept für den Hauptbahnhof, aber nicht als einziger. Neben weiteren technischen Möglichkeiten, wie zum Beispiel den nächtlichen Bahnhofsvorplatz auf Knopfdruck hell erleuchten zu lassen, setzt die Polizei gerade zuletzt auf verstärkte Kontrollen und die erhöhte Präsenz sowie konsequentes Vorgehen gegen die Drogenszene.

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Wie berichtet ging die Innenbehörde Mitte Juni in einer konzertierten Aktion gegen den Missbrauch von Alkohol und Drogen vor. Mehrere Personen wurden festgenommen, in 14 Fällen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet und 52 Platzverweise erteilt. An der Aktion waren auch Kräfte des Ordnungsamtes sowie der Bundespolizei teil. Die enge Zusammenarbeit mit der Bundespolizei, nach außen hin auch durch eine gemeinsame Wache bekräftigt, gilt als weiterer Eckpfeiler des  Sicherheitskonzeptes für den Hauptbahnhof.

Neue Großwache bleibt Traum

Ein Signal sollte das neue Innenstadt-Revier am Hauptbahnhof aussenden: "Wir werden mit mehr Polizei vor Ort präsent sein und schlagkräftiger agieren können", lautete die Botschaft von Ulrich Mäurer (SPD) im Dezember 2019 bei der Inbetriebnahme der Wache. Klare Worte des Innensenators, allerdings von begrenzter Wirkkraft – das gemeinsam mit der Bundespolizei genutzte Gebäude "Beim Handelsmuseum 1" war von Anfang an nie mehr  als eine Außenstelle des Polizeikommissariats am Wall.

Anfangs war die Wache von 10.30 bis 17.30 Uhr geöffnet und mit neun Beamten besetzt – zwei zur Anzeigenaufnahme, zwei zur Verkehrssachbearbeitung, dazu vier Kontaktbeamte (Kops) und der Dienststellenleiter. Die Kops und die Verkehrssachbearbeiter haben inzwischen ins Polizeirevier Steintor gewechselt, sodass die Wache heute ausschließlich als eine von drei zentralen Stellen der Polizei zur Aufnahme von Anzeigen dient, werktags von 8 bis 20 Uhr, sonnabends von 10 bis 18 Uhr. Darüber hinaus wird die Wache als Ausgangspunkt für Einsatzmaßnahmen am Hauptbahnhof genutzt und verfügt über Möglichkeiten, Straftäter kurz in Gewahrsam zu nehmen.

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Ursprünglich gab es weit größere Pläne für diesen Standort. "Wir haben Lust auf mehr", spielte Ulrich Mäurer schon bei der Eröffnung mit dem Gedanken, hier mittelfristig das gesamte Kommissariat Mitte anzusiedeln. Auch der damalige Polizeipräsident Lutz Müller hoffte seinerzeit auf eine Großwache an diesem Standort – "in drei bis vier Jahren". Möglich machen sollten den Umzug vom Wall an den Bahnhof weitere Räumlichkeiten desselben Vermieters in unmittelbarer Nähe. O-Ton 2019: Noch seien diese Räume zwar belegt, "könnten in absehbarer Zeit aber der Polizei zur Verfügung stehen".

Doch dieser Traum ist offenbar geplatzt. Die Suche nach einem neuen Standort für das Kommissariat Mitte sei noch nicht abgeschlossen, sagt Polizeisprecher Bastian Demann. In der Vergangenheit seien diverse Standorte geprüft worden, aus den unterschiedlichsten Gründen aber wieder verworfen worden. Insbesondere die notwendigen gesicherten Stellplätze für bis zu 30 Dienstkraftfahrzeuge in Garagen oder nicht einsehbaren Grundstücken stellten eine Herausforderung dar. Momentan würden weitere Standorte  geprüft, der Flächenbedarf von mehr als 3000 Quadratmetern erschwere jedoch die Suche im Innenstadtbereich.

Die Frage der Zuständigkeit

Keine Diskussion um Sicherheit und Sauberkeit am Hauptbahnhof, ohne dass Innensenator Mäurer darauf hinwies, dass die Probleme dort nicht allein von der Innenbehörde gelöst werden könnten und schon gar nicht alleine von der Polizei. Hier seien auch andere Ressorts gefragt.

Die Sozialbehörde sieht sich allerdings nur am Rande involviert. Von den 29 Verabredungen, die im „Aktionsprogramm Hauptbahnhof“ getroffen worden sind, stünde seine Behörde für sechs Verabredungen in der Pflicht, erläutert Bernd Schneider, Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Und von denen ziele aber keines in den Kernbereich der Probleme, die lägen außerhalb der Zuständigkeit des Sozialressorts. Maßnahmen, für die die Sozialbehörde federführend verantwortlich zeichnet sind unter anderem der Szenetreff, dessen Vergrößerung sowie die Öffnung der dortigen Toilette oder die Nutzung frei stehender Geschäfte im Dienstsitz der Senatorin (Tivoli-Hochhaus). 

Die Situation rund um den Hauptbahnhof sei nicht einfach zu lösen, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher von Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke). Für Anwohner, Reisende und Pendler sei das Aufeinandertreffen mit Wohnungslosen, Drogenkonsumenten und Alkoholabhängigen eine große Herausforderung und Belastung. Gleichzeitig benötigten die oft Wohnungslosen aus der Drogen- und Alkoholszene Angebote und Räume, an denen sie Unterstützung und Hilfe bekommen können. Aufgabe des Gesundheitsressorts sei es vor allem, sich um die gesundheitliche Versorgung der Betroffenen zu kümmern. „Gleichzeitig wollen wir natürlich, dass die Szene vom Bahnhof wegorientiert wird.“ Allerdings gehe es hier um Menschen, betont Fuhrmann. „Die können wir nicht per Zwang von heute auf morgen von einem Ort an den anderen schaffen und denken, dass sie dann dort bleiben.“

Für die Gesundheitsbehörde gebe es im gemeinsamen Aktionsplan mehrere Arbeitspakete. Dazu gehören unter anderem die Ausgestaltung von Aufenthaltsorten und Toleranzflächen, der Drogenkonsumraum und der Ausbau des Bereichs Streetwork, wo mehrere neue Stellen neu geschaffen und besetzt worden seien. „Eine Verbesserung können die beteiligten Ressorts nur gemeinsam schaffen, der Prozess dafür ist gestartet und von unserer Seite sind bereits wichtige Teile umgesetzt, die jetzt nach und nach Wirkung entfalten können.“

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