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Interview mit Uni-Rektor Scholz-Reiter "Es gibt einen Bremer Spirit"

Die Bremer Uni wird 50, im Wintersemester 1971/72 nahm sie den Lehrbetrieb auf. Mit dem WESER-KURIER spricht Rektor Bernd Scholz-Reiter über aktuelle Themen und die Zukunft des Campus.
15.09.2021, 20:00 Uhr
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Von Jürgen Theiner

Herr Professor Scholz-Reiter, die Uni Bremen wird 50, erreicht also ein Alter, das bei Menschen manchmal eine Midlife-Crisis bewirkt – die Besorgnis, die beste Zeit könnte vielleicht schon vorbei sein. Wie steht es um die kollektive Gemütsverfassung der Universität?

Bernd Scholz-Reiter: Als Universität ist man mit 50 Jahren noch relativ jung. Wenn man das bundesdeutsche Umfeld betrachtet, dann gibt es Universitäten, die 600, 400 oder 100 Jahre alt sind, aber eben auch eine ganze Reihe mit ähnlichem Gründungsdatum wie in Bremen. Diese Einrichtungen wurden mit einem Reformanspruch ins Leben gerufen, und der ist für uns immer noch ein Leitgedanke. Er hat sich natürlich gewandelt und den gesellschaftlichen Veränderungen entsprechend angepasst. Aber wir empfinden uns nach wie vor als junge Universität. Wir sind fortschrittlicher und durchaus auch wettbewerbsorientierter als viele Universitäten, die deutlich älter sind als wir. Es gibt da einen erkennbaren Bremer Spirit.

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Was macht den aus?

Wir gehen oft voran, wir erkennen frühzeitig die Notwendigkeit für Veränderungen oder initiieren sie sogar. Solche Impulse werden dann häufig von Hochschulen in anderen Bundesländern aufgegriffen.

Welche Beispiele können Sie nennen?

Wir haben in den vergangenen Jahren Karrierepfade eingeführt, die früh nach der Promotion schon eine Lebenszeitstelle in Aussicht stellen – allerdings gewissermaßen unter Bewährung. Wir nennen das Tenure-Track im Mittelbau. Das bedeutet: Man bekommt ein, zwei Jahre nach der Promotion eine befristete Anstellung und wird dann anhand einer Evaluationsvereinbarung nach vier Jahren überprüft. Wenn die Ziele erfüllt sind, die darin niedergelegt wurden, wird die Stelle entfristet. Man hat dann eine Lebenszeitstelle, wie sie auch für Professorinnen und Professoren üblich ist.

Damit greifen Sie die Kritik vieler Nachwuchswissenschaftler auf, bei denen sich in der Vergangenheit häufig Kurzzeitvertrag an Kurzzeitvertrag reihte, richtig?

Genau. Wir haben unser Modell vor drei Jahren eingeführt, und jetzt kommen andere Bundesländer wie Hessen, Brandenburg et cetera und fragen bei uns Beratungsleistungen zu diesem Thema an. Der Bremer Spirit hat aber noch eine weitere Seite.

Not macht erfinderisch?

Ich würde es etwas anders ausdrücken. Unsere materielle Ausstattung ist natürlich nicht so gut wie die manch anderer Universitäten in anderen Bundesländern. Deshalb mussten wir lernen, mit dem wenigen Geld viel zu machen und uns trotz der Beschränkungen zu einer national und international angesehenen Wissenschaftseinrichtung zu entwickeln. Wir haben eine niedrige Grundfinanzierung durch das Land, stellen uns aber sehr stark dem Wettbewerb um sogenannte Drittmittel. Das sind üblicherweise keine Gelder aus der Privatwirtschaft, sondern ganz überwiegend von Bund, EU und Deutscher Forschungsgemeinschaft. Bei der Einwerbung solcher Mittel stehen wir ziemlich gut da. Wir sind eine der drittmittelstärksten Universitäten Deutschlands. Unser Gesamthaushalt speist sich nur zu etwa 40 Prozent aus der Grundfinanzierung vom Land Bremen.

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Würden Sie vor diesem Hintergrund uneingeschränkt von einer Erfolgsstory der Universität Bremen sprechen? Oder gab es auch Fehlentwicklungen, die man im Rückblick kritisch ansprechen muss?

50 Jahre Bremer Uni sind ein Zeitraum, den ich gar nicht vollständig überblicken und deshalb auch nicht beurteilen kann. Es ist aber sicherlich eine Erfolgsstory. Was man in Archiven und Büchern, die andere nach 30 oder 40 Jahren geschrieben haben, nachlesen kann, ist, dass die ersten zehn Jahre recht turbulent waren. Als bisher sechster Rektor bin ich jetzt bald zehn Jahre und damit vergleichsweise lang im Amt.

In der ersten Dekade ihres Bestehens hatte die Uni allein drei Rektoren.

Daran wird deutlich, dass die Aufbaujahre schwierig waren. Erstens weil man sich damals wissenschaftspolitisch insgesamt in einer bewegten Zeit befand. Zweitens weil auch in Bremen damals nicht alle für die Universität waren. Und drittens weil man mit Ansätzen Forschung und Lehre gestalten wollte, die sich auf Dauer so radikal nicht haben umsetzen lassen.

Hat denn von diesen Ansätzen nichts überdauert?

Doch. Interdisziplinarität und forschendes Lernen sind zwei solche Elemente. Andere Universitäten haben diese Gedanken später aufgegriffen, sie sind heute Gemeingut in der akademischen Welt.

In den 80er-Jahren wurden die Natur- und Ingenieurwissenschaften hier neu aufgebaut. Wie hat das die weitere Entwicklung der Universität beeinflusst?

Es hat sie pragmatischer gemacht und auch wettbewerbsfähiger – bis hin zu der Fähigkeit, sich an den Wettbewerben der Exzellenzinitiative zu beteiligen und zu behaupten. Rückblickend kann man auch sagen, dass an unserer Universität frühzeitig inhaltliche Schwerpunkte gesetzt wurden, die jetzt eine hohe gesellschaftspolitische Bedeutung haben. Ein paar Beispiele: Geowissenschaften und Meereswissenschaften sind klimarelevant. Diese Disziplinen können die Frage beantworten, was man tun muss, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Auch unsere Sozialwissenschaften haben eine hohe Relevanz. Dort geht man Fragen von Gleichheit und Ungleichheit nach. Was bedeuten die Antworten für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt? Wer meint, dass die Demokratie eine wünschenswerte und erhaltenswerte Staatsform ist, sollte daran interessiert sein.

Das Land Bremen hat 2019 den Wissenschaftsplan 2025 aufgelegt, der Mehrausgaben und einen Ausbau der akademischen Einrichtungen vorsieht.  Gemessen an den finanziellen Möglichkeiten eines Haushaltsnotlagelandes war das sehr ehrgeizig. Zwischenzeitlich hat die rot-grün-rote Koalition Abstriche vorgenommen. Wie sehr hat Sie das enttäuscht, und was ist mit den jetzt eingeplanten Mitteln noch möglich?

Wir haben den Wissenschaftsplan 2025 begrüßt, weil das Land Bremen im nationalen Vergleich der Ausgaben pro Student beziehungsweise Studentin lange Zeit auf dem letzten Platz lag. Der Wissenschaftsplan sollte uns an den Bundesdurchschnitt heranführen. Dieser Aufholprozess verlangsamt sich jetzt, und das enttäuscht uns natürlich. Ist ja logisch: Zuerst gab es einen Hoffnungsschimmer, und plötzlich verdunkelt sich der Horizont wieder. Gefreut hat uns allerdings, wie in der Bremer Öffentlichkeit auf diese Entwicklung reagiert wurde. Sehr viele Akteurinnen und Akteure außerhalb der Universität – von den „Unifreunden“ über die Handelskammer und die Arbeitnehmerkammer bis zu den Gewerkschaften – haben sich kritisch zu den Kürzungen geäußert. Dieses breite Echo hat die Politik schon erstaunt, das war klar zu erkennen. Es hat dann ja auch dazu geführt, dass sich der Budgetrahmen für den Wissenschaftsbereich bei den Haushaltsplanungen für 2022/23 noch mal positiv verändert hat.

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In ausreichender Weise?

In seiner ursprünglichen Form kann der Wissenschaftsplan mit den Mitteln, die jetzt in Aussicht stehen, nicht vollständig umgesetzt werden. An dieser Feststellung führt kein Weg vorbei.

Mindert der enge finanzielle Rahmen der Uni Bremen die Chancen, sich in der nächsten Förderperiode wieder als Exzellenz-Universität etablieren zu können? Diesen Status besaß Bremen von 2012 bis 2019.

Eine Komponente für den Erfolg in der Exzellenzstrategie ist natürlich die finanzielle Ausstattung der Universität. Da muss man sich nichts vormachen. Es braucht auf bestimmten Forschungsfeldern über viele Jahre eine Konzentration von Mitteln, von Professuren und Ausstattung, die es dann ermöglicht, exzellente wissenschaftliche Vorleistungen zu erbringen. Was dann noch hinzutreten muss, ist eine gute Idee für die Weiterentwicklung dieser Forschungsfelder, um dann mit einer gewissen Erfolgsaussicht in das Antragsverfahren für ein sogenanntes Exzellenzcluster gehen zu können.

Wagen wir noch einen Ausblick. Was steht in den nächsten Jahren auf dem Campus an, wie sieht die Universität Bremen im Jahr 2030 aus?

Wir wollen uns weiterentwickeln als internationale Forschungsuniversität, nicht als reine Bildungsorganisation, die das, was andere erarbeitet haben, einfach nur übernimmt und lehrt. Ich betone dabei das Internationale. Es gibt dafür auch ein neues Fundament, das langsam entsteht – nämlich die europäische Universitätsallianz Yufe – Young Universities for the Future of Europe. In diesem Verbund haben sich zehn junge europäische Hochschulen zusammengeschlossen, die ein ähnliches Alter haben wie die Uni Bremen. Ziel ist es, Studium im Sinne des forschenden Lernens internationaler zu gestalten, das heißt: auch mehrsprachig und an mehreren Standorten in Europa.

Heißt konkret?

Wir könnten aus einem größeren Potenzial an Studierenden schöpfen. Wir würden mehr junge Leute aus anderen Ländern hier an den Ort bekommen. Dadurch würde sich zugleich der internationale Horizont unserer deutschen Studierenden erweitern, weil sie im Gegenzug an die anderen Standorte gehen könnten. Also beispielsweise nach Nikosia auf Zypern, nach Madrid in Spanien, Essex in England oder nach Maastricht in den Niederlanden. In der Praxis könnte das langfristig so aussehen: Als Bremer schreibt man sich hier ein und studiert innerhalb eines dreijährigen Bachelor-Studiengangs vor Ort. Im zweiten Jahr geht man beispielsweise nach Spanien, im dritten etwa nach Finnland, am Ende gibt es einen Abschluss der Yufe-Universität Bremen. Das hieße zugleich: Hier an der Uni würde sich immer nur ein Drittel der ursprünglich Eingeschriebenen aufhalten. Alle anderen der etwas mehr als 19.000 Studierenden kämen aus Spanien, Zypern et cetera. Wir hätten dann eine ganz andere Diversität. Wir würden junge Menschen ausbilden, die viel europäischer denken und leben, als das heute noch der Fall ist. Das ist eine Vision für das nächste Jahrzehnt.

Das Gespräch führte Jürgen Theiner.

 

Zur Person

Bernd Scholz-Reiter (64)

ist seit 2012 Rektor der Universität Bremen. Der promovierte Wirtschaftsingenieur ist auf dem Gebiet der industriellen Informationstechnik und Logistik profiliert. Von 2007 bis 2012 war er Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Im kommenden Jahr scheidet Scholz-Reiter aus der Uni-Leitung aus.

Info

Neues Magazin: 50 Jahre Universität Bremen

50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK|Geschichte gibt es ab 18. September in den Kundenzentren des WESER-KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421/36716616. 108 Seiten, 9,80 Euro. Außerdem als In-App-Kauf in der E-Paper-App erhältlich.

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