"Dreißig sind besser als eins": Solche Sprüche hat Andy Warhol am laufenden Meter gekloppt – und mit dieser Devise nicht schlecht verdient. Der geniale Einfall, Prominentenköpfe und allseits bekannte Ikonen comichaft, als Negativ oder farblich variiert als Serien in hohen Auflagen zu reproduzieren, machte den privat eher scheuen Grafikdesigner mit den weißblonden Haaren zum Pop-Künstler schlechthin.
Ob die Mona Lisa, Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Mao, ob Campbell's Suppendosen, Brillo-Putzmittel, Micky Maus oder Freiheitsstatue: Das kapitalistische Prinzip, Markenzeichen (inklusive sich selbst) zu vermarkten, steigerte Warhol ins Aberwitzige und stellte mit der Fließbandproduktion seiner "Factorys" in New York City auch die Vorstellung vom Kunstwerk als Original und die Idee vom autonom schaffenden Künstler in Frage. Am 6. August wäre er, der 1987 nach einer Gallenblasenoperation starb, 95 Jahre alt geworden.
Mit den millionenfach reproduzierten Siebdrucken, die sich der Nachwelt stärker eingebrannt haben als seine "Piss Paintings" oder Filme, hat Warhol überall Spuren hinterlassen, auch in Bremen. Im Magazin der Kunsthalle etwa ruhen die Serien „Flash November 22“, die an das tödliche Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy 1963 in Dallas erinnert, und eine aus restauratorischen Gründen nicht zugängliche Dreierserie mit dem Porträt von Joseph Beuys, die mit einer feinen Schicht Diamantstaub überzogen ist.
Im Rahmen eines Museumsbesuchs ansehen kann man sich Warhol in der Weserburg. Dort hängt im zweiten Obergeschoss ein Blatt aus der "Flower"-Serie von 1964. Denn auch Motive wie Kühe, Blumen oder Bananen bearbeitete der unermüdliche Verwerter. "Flower" – vier kleine Blüten im handlichen Quadrat-Format – ist das vergrößerte Detail eines Hibiskusblüten-Fotos, das Warhol in einer US-Fotozeitschrift fand. Stark vereinfacht und überbelichtet, setzt seine Version vor allem auf knallige Farben. Hier ein leuchtendes Gelb auf schwarz-weißen Gräsern.
An der Wand daneben hängt eine andere Version des Bildes, mit drei orangefarbenen und einer roten Blüte auf neongrünem Gras. Aber – Überraschung: Die ist kein "echter" Warhol, sondern stammt von Sturtevant (1924-2012). Die New Yorker Künstlerin, die bewusst auf ihre Vornamen Elaine verzichtete, um als Frau nicht sofort abqualifiziert zu werden, hatte es zum Konzept erklärt, Werke anderer Künstler zu imitieren. Marcel Duchamp, Joseph Beuys, Sherrie Levine und Claes Oldenburg waren darunter. Als sie bei Warhol anklopfte, stellte dieser ihr seine Siebstöcke zur Verfügung, damit sie perfekte Kopien herstellen konnte: Ihre "Warhol Flowers" sind von den Originalen nicht zu unterscheiden.
"Das Werk ist keine Fälschung, es ist ja nicht auf Mehrgewinn aus und entstand mit Billigung des Schöpfers", bemerkt Kurator Ingo Clauß von der Weserburg dazu. "Wir erleben vielmehr ein intellektuelles Spiel. Was ist Originalität, was Authentizität, was ist das Künstlergenie im 20. Jahrhundert?" Diese Fragen habe Sturtevant ins Zentrum ihres Werks gestellt und bei Warhol offene Türen eingerannt, der gezielt das Unechte und Banale, Plastik und Massenware feierte. Clauß zitiert seinen Warhol-Lieblingsspruch: "Das Schönste in Tokio ist McDonald’s. Das Schönste in Stockholm ist McDonald’s. Das Schönste in Florenz ist McDonald’s. Peking und Moskau haben noch nichts Schönes.” Für Moskau würde das heute sogar wieder stimmen.
Dass beide Arbeiten in der Weserburg in Dialog treten können, verdankt das Haus einem spanischen, in Berlin lebenden Sammler, der beide Arbeiten gezielt kombiniert hat. Die Leihgabe der SU Collection wird mehrere Jahre in Bremen bleiben. "In der Anfangszeit standen die offiziellen Institutionen dem Konzept, die Ästhetik anderer Künstler zu übernehmen, sehr reserviert gegenüber", weiß Clauß. "Seit den 1980er-Jahren war die Appropriation Art (Aneignungs-Kunst) dann eine anerkannte Stilrichtung."
Ob Warhol oder seine Nachschöpferin Sturtevant – beide nahmen eine radikale Gegenposition zu den Leinwand-Giganten der vorherigen US-Künstlergeneration ein, etwa zu Farbfeldmalern wie Mark Rothko oder Barnett Newman. Comic statt Roman, Alltagskunst statt Riesenschinken in Öl, Flowerpower statt Muskelspiel. Der Sprücheklopfer Warhol hatte die Zeichen der hektischen Zeit erkannt: „Ist das Leben nicht eine Serie von Bildern, die sich verändern, während sie sich wiederholen?”, fragte er – und machte für sich großes Kino daraus.